Es vergingen Wochen, in denen Sami und Nathan einen Alltag aufbauten, der ihnen beiden half, alte Lasten loszulassen. Während Nathan intensiv an seinem Buch arbeitete, verbrachte Sami mehr Zeit mit eigenen Interessen, die er lange vernachlässigt hatte. Es war ein ruhiger Rhythmus, ein Leben, das Raum für sie beide ließ, ohne dass die Vergangenheit über ihnen schwebte.
Doch an einem kühlen Herbstmorgen, als Sami in das Café ging, in dem er immer noch aushalf, spürte er eine plötzliche Unruhe in sich. Die Luft war frisch und klar, doch etwas nagte in ihm – eine vage Unruhe, die er nicht benennen konnte. Nathan war seit dem frühen Morgen unterwegs, und obwohl Sami wusste, dass alles gut war, hatte er das Gefühl, dass etwas auf sie zukam.
Am Nachmittag, als Sami im Café eine Pause machte, vibrierte sein Handy. Eine Nachricht von Nathan:
„Bin im Park. Magst du vorbeikommen? Ich habe etwas, das ich dir zeigen möchte."
Sami spürte, wie die Neugier in ihm aufstieg, und schrieb ihm zurück, dass er bald dort sei. Er verabschiedete sich von seinen Kollegen und machte sich auf den Weg. Der Park war ihr Ort geworden, ein Rückzugsort, an dem sie oft ihre tiefsten Gespräche geführt hatten. Sami fragte sich, was Nathan so dringend mit ihm besprechen wollte.
Als er den Park erreichte, sah er Nathan an einem abgelegenen Tisch sitzen, vor sich ein Notizbuch und einen Becher Kaffee. Nathan blickte auf, und als sich ihre Blicke trafen, lächelte er auf eine Art, die gleichzeitig aufgeregt und ein wenig unsicher wirkte.
„Da bist du ja", sagte Nathan und machte eine einladende Geste.
Sami setzte sich ihm gegenüber. „Was gibt's denn so Dringendes?", fragte er mit einem Lächeln.
Nathan schob das Notizbuch über den Tisch. „Ich habe gestern Abend das letzte Kapitel geschrieben. Es fühlt sich noch unfertig an, aber ich wollte es dir zeigen."
Sami nahm das Notizbuch, und seine Finger zitterten leicht, als er die Seiten aufschlug. Die Worte waren Nathans, doch die Geschichte schien in ihren Emotionen und Begegnungen verwoben. Er las, ließ sich von den Worten tragen, während Nathan ihn aufmerksam beobachtete.
Als Sami schließlich aufsah, waren seine Augen feucht. „Das ist... kraftvoll, Nathan. Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Er blinzelte und legte die Hand auf das Notizbuch. „Du hast wirklich alles hineingelegt, oder?"
Nathan nickte langsam. „Ja. Es war, als hätte ich jedes Stück von mir auf diese Seiten gebannt. Und weißt du, was das Beste ist?" Er lehnte sich vor, seine Stimme klang ruhig, aber voller innerer Spannung. „Zum ersten Mal fühle ich mich frei. All die Schatten, all das, was mich zurückgehalten hat... es ist, als hätte ich es endlich losgelassen."
Sami spürte eine Welle des Stolzes, und ohne weiter nachzudenken, griff er nach Nathans Hand. „Das hast du großartig gemacht. Und ich bin so froh, dass ich dabei sein durfte."
Nathan erwiderte den Händedruck, sein Blick intensiv. „Sami, ohne dich hätte ich das nie geschafft." Er zog Sami sanft näher und hielt seine Hand fest, als wollte er den Moment festhalten.
In der Stille, die folgte, schien sich die Welt um sie zu verlangsamen. Sie saßen nur da, und das Wissen um ihre gemeinsame Reise füllte die Luft zwischen ihnen.
Die Monate vergingen, und Nathans Manuskript nahm Gestalt an. Er fand einen kleinen Verlag, der bereit war, sein Werk zu veröffentlichen, und die Erleichterung und das Glück, das ihn dabei erfüllten, waren greifbar. Auch Sami blühte auf; er nahm an Kursen teil, fand Freude an Dingen, die er lange vernachlässigt hatte, und ihr Leben entwickelte sich in harmonischer Balance.
Am Abend vor der Veröffentlichung hielt Nathan eine kleine Lesung, die sie gemeinsam organisiert hatten. Sie fand in einem gemütlichen Café statt, das von Kerzenlicht und gedämpfter Musik erleuchtet war. Freunde und einige Literaturinteressierte hatten sich versammelt, und Sami beobachtete stolz, wie Nathan sich auf der kleinen Bühne auf den Stuhl setzte, die erste Seite seines Buches aufschlug und zu lesen begann.
Die Worte, die aus Nathans Mund kamen, waren ruhig, sicher und voll Wärme. Sami spürte, wie ihn die Geschichte erneut berührte, als würde er sie zum ersten Mal hören. Die Zuhörer lauschten gebannt, und als Nathan endete, erfüllte Applaus den Raum.
Nathan sah auf, suchte mit dem Blick nach Sami und fand ihn lächelnd in der Menge. Für einen Moment tauschten sie einen stummen Blick voller Stolz und Dankbarkeit.
Nach der Lesung blieben sie noch eine Weile mit den Gästen im Gespräch, doch schließlich, als das Café langsam leer wurde, nahm Nathan Samis Hand und zog ihn sanft zur Tür hinaus in die klare Nachtluft.
„Danke, dass du an meiner Seite warst", sagte Nathan leise. „Dieser Abend... er wäre ohne dich nicht möglich gewesen."
Sami erwiderte das Lächeln und zog ihn ein Stück näher. „Es ist schön, das sagen zu hören. Aber, Nathan... das hast du ganz allein geschafft. Ich bin nur froh, dass ich ein Teil davon sein durfte."
Sie gingen schweigend durch die dunklen Straßen, die Lichter der Stadt funkelten über ihnen, und alles fühlte sich ruhig und voller Frieden an. Als sie schließlich vor Nathans Wohnung ankamen, blieb Sami stehen und drehte sich zu ihm um.
„Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt", begann er, „aber ich weiß, dass ich diesen Weg mit dir gehen möchte."
Nathan lächelte, und ohne ein weiteres Wort zog er Sami in eine Umarmung, die alles ausdrückte, was Worte nicht sagen konnten.
DU LIEST GERADE
Whisper of the Scars
Romance⚠ Trigger Warnung ⚠ Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie entführt dich in die dunklen Abgründe der Seele, wo Schmerz, Sehnsucht und Angst ein gefährliches Spiel treiben. Inhalte, die dich triggern könnten: Tiefe emotionale Isolation...