Kapitel 23

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Die Stille zwischen ihnen war kalt und endlos. Der See lag ruhig da, als hätten die Worte, die sie eben ausgetauscht hatten, keine Bedeutung. Doch in Sami tobte ein Sturm, und als er Nathan ansah, erblickte er nur Leere in dessen Blick.

Sami presste die Lippen aufeinander. „Vielleicht sollten wir zurückfahren."

Nathan nickte knapp. Sie gingen zum Auto, die Schritte schwer und in einem Rhythmus, der nichts mehr von der Harmonie ihrer ersten Begegnung trug. Während der Fahrt blieb Sami stumm, die Augen auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet, die ihn nicht beruhigen konnte. Seine Gedanken kreisten um die Worte, die gefallen waren – wie Messer, die immer wieder an derselben Stelle schnitten.

Zurück in der Stadt verabschiedeten sie sich ohne ein weiteres Wort. Nathan schloss sich in seiner Wohnung ein, und Sami stand eine lange Minute vor seiner eigenen Tür, bevor er hineinging. Die Leere im Raum spiegelte die Leere in ihm wider, und er ließ sich erschöpft auf das Sofa sinken, die Hände in die Haare vergraben.

Am nächsten Tag versuchte Sami, sich abzulenken. Er ging zur Arbeit, sprach mit Kollegen, erledigte alles Mechanische, doch Nathans Stimme hallte immer wieder in seinem Kopf wider. Die Fragen, die Nathan aufgeworfen hatte, nagten an ihm – ob sie wirklich dasselbe wollten, ob das alles einen Sinn hatte. Aber gerade diese Fragen ließen ihn nicht los. Er konnte Nathan nicht einfach aufgeben, auch wenn sie beide sich oft wie Fremde vorkamen.

Spät am Abend nahm er sein Handy zur Hand. Er zögerte, ehe er Nathans Nummer eintippte und ihm eine kurze Nachricht schrieb: „Lass uns reden. Nicht so wie gestern. Ich... ich brauche Klarheit."

Zwei Stunden später klingelte es an der Tür, und als Sami öffnete, stand Nathan vor ihm. Seine Augen wirkten müde, aber auch entschlossener als zuvor. Ohne ein Wort betrat er die Wohnung und setzte sich auf das Sofa. Sami setzte sich ihm gegenüber und wartete.

„Ich weiß, dass ich gestern hart war," begann Nathan leise. „Es war nicht fair von mir, dich im Ungewissen zu lassen. Aber ich weiß manchmal selbst nicht, was ich will. Es ist, als würde ich zwischen zwei Welten stehen."

Sami nickte langsam. „Aber gestern... du hast gesagt, ich bin vielleicht nicht das, was du suchst."

„Das war dumm," sagte Nathan und seufzte. „Ich wollte dich verletzen, weil... weil ich selbst unsicher war."

„Unsicher?" Samis Stimme zitterte leicht, doch er hielt Nathans Blick. „Wenn du dir so unsicher bist, warum bist du dann hier?"

Nathan presste die Lippen zusammen. „Weil ich nicht aufgeben will. Nicht so. Ich weiß, dass wir beide uns oft verletzen, aber ich kann nicht anders. Da ist etwas an dir, das mich immer wieder zurückzieht."

Sami spürte, wie die Worte etwas in ihm lösten – Wut und Verzweiflung, aber auch Hoffnung. „Dann kämpfe dafür," flüsterte er. „Ich kann das nicht allein."

Eine lange Stille trat ein. Nathan beugte sich vor und legte die Hände auf die Knie. „Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, Sami. Ich habe Angst, wieder zu versagen. Dass ich dir nicht das geben kann, was du verdienst."

„Niemand erwartet Perfektion, Nathan," entgegnete Sami. „Ich brauche dich nur, wenn du wirklich bereit bist, zu bleiben. Das ist alles."

Nathan nickte langsam. Dann stand er auf und ging zum Fenster, starrte hinaus in die stille Straße. „Weißt du, was das Schlimmste ist? Ich weiß, dass ich mich selbst ständig hinterfrage, dass ich zweifle. Aber ich merke auch, dass ich jedes Mal, wenn ich mich von dir entferne, etwas verliere."

Sami trat näher und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich bin hier," sagte er leise. „Und ich werde es auch bleiben. Aber ich brauche jemanden, der nicht nur mit mir in dieselbe Richtung schaut, sondern der auch wirklich will."

Nathan sah ihn an, und Sami konnte sehen, dass die Entscheidung in ihm gereift war. „Ich werde es versuchen," sagte er schließlich. „Ich kann dir nichts versprechen, außer dass ich es versuche."

Sami nickte, und für einen Moment standen sie einfach da, das Gewicht des unausgesprochenen Versprechens zwischen ihnen. Sie wussten beide, dass es nicht einfach sein würde, dass es keine sofortige Lösung gab, aber in diesem Augenblick, unter den stillen Lichtern der Stadt, fühlte es sich zum ersten Mal an, als hätten sie eine Richtung.

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt