Kapitel 15

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Sami und Nathan saßen noch immer im Wohnzimmer, die Hände verschränkt. Die Stille um sie herum war schwer. Die Spannung der letzten Minuten hing wie ein dunkler Schatten zwischen ihnen. Sami hatte Nathans Erklärungen verstanden. Doch seine Worte belasteten ihn. Nathans Vergangenheit war präsent und bedrohlich. Sie ließ ihn an ihrer Zukunft zweifeln. Die Enthüllungen hatten Ehrlichkeit gebracht, aber auch Unsicherheiten. Sami spürte, wie seine Ängste und Zweifel zurückkamen.

Er nahm schließlich einen tiefen Atemzug und löste seine Hand langsam aus Nathans Griff. „Vielleicht" begann er zögernd, „sollte ich einfach gehen und mein eigenes Leben leben." Es gibt bestimmt jemanden, der besser zu dir passt, der... der einfacher ist. Ohne all diese Probleme, ohne dieses Chaos, das ich mit mir bringe."

Nathan sah ihn lange an, seine Augen dunkel und voller Intensität, die Sami beinahe den Atem nahm. Dann, bevor Sami reagieren konnte, lehnte Nathan sich vor. Er packte ihn fest an der Taille und zog ihn entschlossen näher zu sich. Die Nähe ließ Sami die Kontrolle verlieren. Für einen Moment spürte er nur Nathans Griff – fest und unnachgiebig.

„Halt den Mund, Sami", sagte Nathan, und seine Stimme war tief und ruhig, aber gefährlich leise. „Du verstehst es nicht. Keiner wird jemals so nah an mich herankommen wie du. Das hier", er legte eine Hand auf Samis Brust, dort, wo sein Herz schlug, „ist kein Zufall. Das ist nichts, was ich leichtfertig aufgebe."

Samis Atem stockte, und sein Herz schlug schneller, als er in Nathans Augen sah. Die Worte drangen tief in ihn ein und brachten seine Zweifel zum Schweigen, wenn auch nur für einen Moment. Er spürte, dass Nathan es ernst meinte. Diese so komplizierten und verwirrenden Gefühle waren echt. Doch die Sorge, wieder verletzt zu werden, blieb. Sie lauerte in den dunklen Ecken seines Verstandes und ließ ihn nicht los.

„Nathan", flüsterte er schließlich, und seine Stimme zitterte leicht. „Ich... ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um das hier durchzustehen. Was, wenn ich..., wenn ich wieder enttäuscht werde? Wenn all das hier nur vorübergehend ist?"

Nathan ließ seine Hand sanft an Samis Taille hinabgleiten. Dann legte er sie an dessen Kinn und brachte ihn dazu, ihm in die Augen zu sehen. „Sami", sagte er leise, aber fest, „ich kann dir nicht versprechen, dass es immer leicht sein wird. Ich kann dir nicht sagen, dass ich perfekt bin oder dass ich dich nie verletzen werde. Aber ich kann dir versprechen, dass ich kämpfen werde. Für dich. Für uns. Du bist für mich nicht irgendein Mensch, den ich einfach vergessen könnte."

Sami spürte, wie seine Zweifel sich ein wenig lockerten, wie der Schmerz in seiner Brust ein wenig nachließ. Er wusste, dass Nathan es ernst meinte, dass diese Worte aus tiefster Überzeugung kamen. Aber die Angst ließ sich nicht so leicht vertreiben. Sie war ein ständiger Begleiter, ein Schatten, der ihn nicht losließ.

„Warum ich, Nathan?", fragte er schließlich leise, fast schon verzweifelt. „Warum hältst du an mir fest, obwohl ich dir ständig Probleme bereite?"

Nathan lächelte leicht und strich sanft über Samis Wange. „Weil ich in dir etwas sehe, das ich in keinem anderen Menschen gefunden habe. Du verstehst mich, wie ich bin, und du siehst mich so, wie ich mich selbst oft nicht sehe. Vielleicht klingt das kitschig, aber... du gibst mir das Gefühl, dass ich mit all meinen Fehlern ich selbst sein darf. Bei dir muss ich mich nicht verstellen, nicht so tun, als wäre ich jemand anderes."

Diese Worte trafen Sami tief, und er spürte, wie die Tränen ihm in die Augen stiegen. Er hatte nie gedacht, dass jemand ihn so sehen könnte. Dass ihm jemand das Gefühl geben könnte, wirklich genug zu sein – genau so, wie er war. In diesem Moment fühlte er sich so nah bei Nathan, dass die ganzen Zweifel, die Fragen und Ängste leiser wurden.

Doch so schnell das Gefühl von Nähe kam, so schnell kam auch die Angst. Die Fragen kreisten erneut in seinem Kopf. „Aber...", begann er. Nathan legte ihm sanft den Finger auf die Lippen. So hinderte er ihn am Weitersprechen.

„Sami", sagte Nathan leise und sah ihm fest in die Augen, „manchmal muss man nicht alles hinterfragen. Manchmal reicht es einfach, den Moment zu genießen und das, was man hat, zu schätzen. Ich weiß, dass es für dich nicht leicht ist, dass du Angst hast – aber lass uns das gemeinsam angehen. Schritt für Schritt."

Sami nickte langsam. Seine Stimme versagte, also lehnte er sich in Nathans Umarmung. Die Worte, die Nathan gesagt hatte, berührten ihn tief. Er wusste, dass nur er die Entscheidung treffen konnte. Er konnte sich entscheiden, weiter in seinen Ängsten zu leben. Oder einen neuen Weg an Nathans Seite zu gehen.

Eine Weile saßen sie so, eng aneinander gelehnt, während sich der Raum um sie herum in Dunkelheit hüllte. Schließlich hob Nathan den Kopf, und ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen. „Vielleicht sollten wir ein bisschen frische Luft schnappen. Ein Spaziergang könnte uns beiden guttun."

Sami erwiderte das Lächeln zaghaft und nickte. Die Anspannung, die seit dem Gespräch auf ihm gelastet hatte, schien ein wenig zu weichen. Sie standen auf und zogen die Jacken über. Dann verließen sie die Wohnung. Die kühle Nachtluft hieß sie willkommen. Die Straßen waren still, nur das leise Summen der Laternen und das entfernte Rauschen der Stadt waren zu hören.

Sie gingen schweigend nebeneinanderher. Es war ein angenehmes Schweigen, das sie nicht stören wollten. Der Weg führte sie zurück zu dem kleinen Fluss, an dem sie sich schon einmal getroffen hatten. Sami spürte, wie die Erinnerungen an diese Begegnung in ihm aufstiegen. Es waren die Worte, die sie damals gesprochen hatten, und die Nähe, die sich schon damals angedeutet hatte.

Als sie schließlich an einer Bank anhielten, die zum Wasser zeigte, setzte Nathan sich. Dann zog er Sami sanft zu sich, sodass er neben ihm saß. „Sami", begann er nach einer Weile. Seine Stimme war leise und nachdenklich. „Ich möchte, dass du eines weißt: Egal, was passiert, ich werde immer für dich da sein. Du bist kein Fehler, kein Problem. Du bist jemand, der mir wichtig ist. Jemand, der mir... mehr bedeutet, als ich sagen kann."

Sami senkte den Blick. In diesem Moment wusste er, dass er Nathans Worte nicht anzweifeln konnte. Er fühlte sich zum ersten Mal seit langem gesehen, verstanden und... geliebt. Eine Liebe, die nicht perfekt war, aber die echt war – und das war mehr, als er jemals erwartet hatte.

Ohne weiter nachzudenken, lehnte er sich an Nathan und flüsterte: „Danke, Nathan. Danke, dass du an mir festhältst."

Whisper of the ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt