"Joshua!", schrie ich ihn aufgebracht an. Aber ich war nicht die Einzige, die mit blinder Panik in der Stimme seinen Namen rief. Er konnte den Kopf kaum wenden, die Klinge hätte bei der leisesten Bewegung eingeschnitten. Aber wer aus der Menge hervortrat, war unschwer zu erkennen.
Überrascht starrte ich das bildhübsche Mädchen an, das sich schwer atmend und zitternd einen Weg durch die Gaffenden gekämpft hatte. Sie stand einige Meter von Joshua entfernt auf dem Platz, unter den Umstehenden brach ein Raunen aus.
"Stop!", rief sie aufgebracht, legte mit beschwichtigendem Blick zu dem Mann, der das Messer hielt, die Hand auf die Klinge.
Der große, schlanke Körper, das lange, dunkelblonde Haar, das Gesicht, aus dem die Schönheit sprach. Ich erkannte Eléh sofort wieder. Sie war ihrem Halbbruder so unähnlich, aber die unbeschreibliche Schönheit verband sie beide. Elbische Abstammung. Letztes Mal war ich eifersüchtig geworden, als ich sie gesehen hatte, dann neidisch und letzten Endes erleichtert. Heute war ich einfach nur glücklich - auch wenn sie vielleicht nichts ändern konnte.
Aber wollte sie nicht ursprünglich zu den Elben? Joshua hatte sich den Menschen zugewandt, sie dem Elbenvolk. Und jetzt standen sie beide hier zwischen Wassermännern und Vogelfreien.
"Eléh, geh uns aus dem Weg! Was sollte uns noch aufhalten?" Widerwillig ließ der zornige Mann das Messer sinken, als sie ihre Finger über seine legte. Das Licht der kleinen Laternen in den Bäumen wurde von der Klinge reflektiert. Ich zuckte zusammen, als es mich traf. Mein Atem stockte.
Joshua richtete sich gerader auf, fuhr sich über die Kehle. Der Druck der Schneide hatte einen schmalen roten Schnitt in seiner Haut hinterlassen. Er stieß den Mann mit dem Messer schnell und grob von sich fort, hielt Abstand zu den feindlich gesinnten Menschen, die uns umzingelten. Er suchte meinen Blick.
"Joshua ist mein Bruder!", rief Eléh schnell, doch ihre Stimme wurde unsicher. Auf der Lippe kauend schaute sie zu ihm hoch, stellte sich dicht an seine Seite.
"Er ist ein Mörder!"
"Verdammt, es ist sein Befehl gewesen! Und ihr seid kein Stück besser!" Eléh kam dem Mann drohend näher. Dieser ließ die Fingerkuppen über die Messerklinge tanzen, den hasserfüllten Blick auf Joshua gerichtet. Die Umstehenden begannen aufgeregt zu Raunen, neugierig reckten sie die Hälse.
"So viele mussten wegen der Garde sterben! Unschuldige!", entgegnete der Mann, "Eléh... sie haben solche wie dich verfolgt." Den letzten Satz zischte er so leise, dass nur wir nah stehenden es verstehen konnten. Eléhs Blick verdunkelte sich schlagartig.
"Matheo. Ich warne dich. Er ist mein Bruder, schalte doch einmal deinen Kopf ein", fauchte Eléh. Ihr Blick hielt ihn fest.
Joshua zog das winzige, blassgrüne Männchen aus dem Hemdärmel. Klirrend und klingend zappelte es voll Abscheu zwischen den vielen Menschen herum. "Hier, sieh es an. Ich habe elbische Abstammungen, darum flieht es nicht. Das ist der Beweis. Es ist nicht mein Wille, was Auftrag der Garde ist - nicht in solchen Dingen."
"Wir wollen nichts als Vergeltung. Du hast uns eigenhändig verletzt - Auge um Auge... du kennst den Rest. Auch wenn du selbst als Halbelb betroffen bist, das ist keine Entschuldigung, jeden abzuschlachten, der dem Königshaus nicht passt." Matheo, der aggressiv mit dem Messer fuchtelnd gestikulierte, fuhr Joshua weiter an, auch wenn sich Zweifel in seiner Stimme widerspiegelten. Mir fuhr ein unwohler Schauer der Angst über den Rücken. Manchmal vergaß ich, wie brutal Joshuas Job war. Und die unschönen Konsequenzen, die daraus resultierten.
"Nein, es ist keine Entschuldigung." Joshua setzte das kleine Wesen auf den Boden ab, es flüchtete schnell in das dunkle Unterholz, fort von den Menschen. "Ich bin gezwungen, für das Königreich Lille zu handeln - aber was sagt es dir, dass ich elbische Wurzeln und eine Elbin als Schwester habe? Und sie, sie ist eine Weltenwandlerin." Er deutete auf mich, sah seinen Gegenüber dann eindringlich an. "Nochmal, was sagt es dir?" Er wurde ungeduldig. Konnte er sich das leisten?
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Golden Fairytale
FantasyDiese fremde, neue Welt sprengte alle Grenzen der Realität. Der Wissenschaft. Der Grausamkeit. Der Wunder. Der Unendlichkeit. Meines öden Alltags. Diese Welt überstieg sogar die Ausmaße meiner eigenen Phantasie. Wie oft hatte ich hiervon geträumt? E...