~36~ (p.o.v.)

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P.O.V. Joshua

Ich umarmte sie ein letztes Mal. Die Weltenwandlerin. Nun würde sie endgültig gehen. Auch wenn sie wiederkehren wollte, das war nur ein schwacher Trost.

Diese Welt, ihre Welt, ich wollte sie sehen. Zusammen mit Mayra.

Ich sah sie an. Ich wollte es nicht wirklich zugeben, doch sie würde mir fehlen, wenn sie fort war, sie würde-.

Ein Ruck fuhr durch meinen Oberkörper. Erst dann folgte der glühende Schmerz. Erst dann hörte ich den Schuss, der mich getroffen hatte.

Wasser umschloss mich, Wasser, Panik, Schmerz. Das Bild vor meinen Augen flimmerte, jeder Herzschlag bedeutete Höllenqualen.

Jede Kraft verließ mich innerhalb von Sekunden, ich verlor jede Macht, jede Kontrolle. Der Schmerz saß wie heißes Gift in meinen Venen, schoss mit jedem Augenblick tödlich durch meine Adern. Noch nie hatte ich mich so sterblich fühlen können.

Ich fixierte den goldenen Himmel über mir. Nein, nicht so einfach, nicht so schnell würde ich sterben. Dafür hatte ich schon zu viel durchgemacht - und zu viel überlebt.

Mayras Gesicht tauchte über mir auf, sie stützte mich, sprach auf mich ein.

Was sagte sie? Warum sah sie so ängstlich aus? War etwas Schlimmes geschehen? Ich konnte keine Gedanken mehr zusammenfügen... immer wieder driftete ich ab. Die Erinnerungen verließen mich.

Auch wenn ich sie kaum noch sah und hörte, ich spürte klar und deutlich ihre zitternden Fingerspitzen, die über mein Gesicht strichen. Wie schön so ein Tag mit ihr am See doch sein konnte... wenn alles anders liefe.

"Ich kann nicht sterben", flüsterte ich, nun doch von Erinnerungen überflutet. So leicht war ich einfach nicht zu töten. Und Mayra sollte keine Angst mehr haben.

Dann wurde alles schwarz.

***

Gold.

Wärme.

Frieden.

So sollte ich mir den Tod vorstellen? Nein. Ein Tod hatte bestimmt keine zu harte Matratze und eine Zimmerdecke aus morschem Holz.

Doch woher kam diese Benommenheit?

Sonnenschein vernebelte meine Sicht, Hitze drückte mich nieder.

Von irgendwoher kam Musik.

Die verführerischen Gesänge der Wassernymphen zogen an mir vorbei. Tausend Hände streckten sich nach mir aus.

Erinnerungen spukten durch mein Blickfeld, wurden mir von leisen Stimmen ins Ohr geflüstert.

"Komm mit uns", hauchten die Wassernymphen. Immer wieder wiederholten sie diesen Satz, solange, bis ich ihn beherzigte. Sie hauchten sanfte Küsse auf meine Brust, in der der Schmerz milder wurde, bis er versiegte.

Ihre Stimmen klangen so verheißungsvoll, so verträumt... und sie hüllten mich vollständig ein. Sie nahmen mein Leid. Nur sah ich sie nicht in dem sanften goldenen Schimmer, der mir die Sicht verblendete...

Und zwischendurch spürte ich Mayras Fingerspitzen auf meiner Haut, auf meiner Stirn, oder hörte ihre Stimme.

Realität und Trance vermischten sich, wurden untrennbar miteinander verbunden.

Die Angst seit Mayra. Die Angst, die mich an dem Abend überkam, als ich Eléh wiedergetroffen hatte. Sie hatte sich bewahrheitet.

Ich wusste es, dass ich ihre Welt nicht zu Gesicht bekommen würde. Dass mein Leben kürzer sein würde, als es mir lieb war. Dass ich nicht mehr sehen würde, was ich sehen wollte. Erleben. Leben.

Golden FairytaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt