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Ich wurde von selbst wach.

Öffnete die Augen.

Brauchte eine Sekunde zur Orientierung, zur Erinnerung, bis der letzte Tag mit voller Einsicht über mir zusammenbrach. Hätte ich nicht schon gelegen, wäre ich in diesem Moment gefallen.

Es war zu viel geschehen. Und das Ergebnis war, dass Joshua verletzt und ich immer noch in dieser Welt war. Wie gefangen.

Ich rappelte mich auf. Hatte ich tatsächlich auf dem Boden geschlafen? Ich hatte kaum bemerkt, wie mir die Augen zugefallen waren.

Joshua war zur Seite gesunken, es war eine Kunst, ohne ihn zu wecken aufzustehen. Allerdings sah man ihm an, wie vorsichtig er eine Hand über die unnatürlich halb verheilte Schusswunde gelegt hatte. Dennoch schlief er tief und fest.

Vor dem Fenster dämmerte es bereits. Das Licht fiel durch die schmutzige Scheibe, alle Kerzen waren heruntergebrannt und erloschen. Nebel zog über den Baumwipfeln umher.

Ich fühlte mich, als wäre ich ein zweites Mal unfreiwillig in einer, in dieser, fremden Welt gelandet. Doch dieses Mal wusste ich, wonach ich suchen musste. Dieses Mal wusste ich mehr, hatte ein Ziel, war voller neuer Zuversicht.

Das Amulett. So schwer konnte es doch nicht werden, es zurückzuholen, oder?

Ich schlich auf Zehenspitzen zur Tür, öffnete sie so geräuschlos es eben ging und trat hinaus in die Morgendämmerung. Ich wollte den See sehen.

Hinter der Ecke der kleinen Hütte tauchte er auf, still und klar, kühl, aber mit der tagtäglichen Verheißung auf Hitze und Sonne in der frischen Luft.

Die ersten Sonnenstrahlen tauchten die Szenerie in rosa Licht, scheuchten den Nebel über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Wolkenfetzen hingen tief über den Berggipfeln, die den See umrahmten.

Es wäre besser, aufzubrechen, bevor die Sonne die Welt ganz erobert hätte, doch ich wollte Joshua unter keinen Umständen so früh wecken. Auch wenn es nicht wirklich bequem gewesen war, auf dem Holz zu schlafen...

"Mayra? Ich dachte schon...", Joshua lachte hinter mir auf. Ich fuhr herum. Ich hatte ein gutes Gehör - wie schaffte er es nur, sich immer wieder in der Stille anzuschleichen?

"Guten Morgen", lächelte ich.

Er fuhr sich durch das schöne, braune Haar und richtete den Blick auf die Wasseroberfläche. Plötzlich verfinsterte sich der Ausdruck in seinen Augen, er ließ die Arme sinken. "Welchen Tag haben wir heute?"

Ich zuckte mit den Schultern. Hier gab es nichteinmal wechselnde Jahreszeiten, wie konnte ich mir dann ein Datum merken? Falls es hier überhaupt dieselbe Zeitrechnung gab...

"Heute sollten wir die Wassermänner zum Schweigen bringen, verdammt! Ich vergesse alles." Er knirschte mit den Zähnen und knöpfte sich das blutbefleckte weiße Hemd zu. Anscheinend war sein Vorrat neuer Kleidung zur Neige gegangen. Ich schaffte es nicht mehr, einen Blick auf die Schusswunde zu erhaschen. Es war eigentlich absolut unmöglich, dass es ihm schon wieder so gut ging, aber diese Welt war das wahre Land der unbegrenzten Möglichkeiten...

"Braucht die Garde dich nicht langsam wieder?", hakte ich nach kurzer Stille nach. Er nickte.

"Genau da liegt das Problem", antwortete er seufzend, während er den letzten Knopf schloss, "ja. Aber erst bekommst du dein Amulett."

Achja. Da war ja was. Ich wandte mich zerknirscht ab und schaute sehnsüchtig auf das kühle Wasser. Meine Welt lag so nah - und konnte doch nicht ferner sein.

"Dann los", rief Joshua hinter mir motiviert und drückte mir meine Tasche in die Hand. Vor Überraschung fehlten mir die Worte, ich hob nur fragend eine Augenbraue.

Golden FairytaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt