Hunderte rote Kapuzen liefen vor meinen Augen durcheinander, vereinigten sich zu einem einzigen flimmernden Bild. Paare waren Seite an Seite unterwegs, spielende Kinder bahnten sich ihren eigenen Weg durch die Beine der Menschenmasse. Hier und da zogen größere Gruppen Furchen durch die Menge. Kirchenglocken begannen zu läuten, vermischten sich mit dem summenden Lärm der sich Unterhaltenden. Gaukler spielten wirre Melodien voll märchenhafter Klänge auf hölzernen Zupfinstrumenten, welche ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Das mittelalterliche Treiben auf dem sonnigen Platz schien einem alten Film entsprungen. Nur die kraftvolle rote Farbe der Umhänge passte nicht ganz in das Bild, was ich von alten Märkten hatte, als dieser Farbton noch selten war. Doch es ließ alles nur noch bunter und fröhlicher wirken.
Ich mag den Frühling schon jetzt.
Ganz versunken in den Anblick vor meinen Augen, bemerkte ich kaum, wie sich mir eine hochgewachsene Gestalt näherte. Erst als eine Hand auf meiner Schulter lag, schreckte ich auf. Das Gesicht war von der roten Kapuze verdeckt, der Umhang vollständig um den Körper geschlungen.
Groß, breite Schultern, ging auf mich zu... Joshua. Er legte sich einen Finger in den Schatten, wo ich seine Lippen vermutete. Also sollte ich ruhig sein? Oder unauffällig? Schnell zog ich mir ebenfalls den roten Mantel über, schlug die Kapuze hoch und zog sie tief in mein Gesicht. Joshua zog mich sachte am Arm in Richtung des riesigen Schlosses. Wie ein Disneyschloss ragte es in die Lüfte. Die Turmspitzen waren mit Kupfer beschlagen worden, welches sich über viele Jahre in ein sanftes, helles Grün verwandelt hatte.
Mit jedem schnellen Schritt näherten wir uns einem hohen Holzportal. Die Gruppe, die ich in der Menschenmenge beobachtet hatte, betrat durch die hölzernen Flügeltüren das Schloss. Joshua und ich taten es ihnen nach.
Meine Augen brauchten einige Sekunden, um sich an den kühlen Schatten in dem Schlossgewölbe zu gewöhnen. Marmor. Er hallte kalt unter unseren Stiefeln, er spiegelte schemenhaft unsere roten Gestalten. Weißer Marmor, schwarzer Marmor, wohin das Augen reichte, aber nicht ein einziger Goldakzent. Kein goldener Bilderrahmen, keine vergoldeten Türklinken, nichts. Es musste hierzulande tatsächlich extrem selten sein, wenn es nicht einmal für die Dekoration des Schlosses herhalten durfte. Es wäre ein unvergleichliches Statussymbol.
Die Gruppe, mit ihren tief in die Gesichter gezogenen Kapuzen, verschwand in einem Seitengang. Joshua legte den Arm um meine Schultern und zog mich hinter ihnen her, ohne ein Wort zu sagen.
Schmale Treppen wanden sich an den steinernen Wänden entlang, manche in Nischen versteckt, andere begannen offen mitten im Raum. Joshua zog mich die marmornen Stufen hinauf, stieß mich vorwärts. Empört blieb ich stehen.
"Mach schon, Zuckerpüppchen."
Ich erstarrte. Zuckerpüppchen? Alarmiert fuhr ich herum.
"Halt, wer bist du?!" Panisch wich ich zurück, stolperte über die Stufen. Strauchelnd ruderte ich mit den Armen, wurde von dem Fremden abgefangen. So schnell ich konnte machte ich mich wieder von den Händen der Person los, die leise zu lachen begann. Das Lachen, der Körperbau, die Stimme... all das ähnelte Joshua so sehr, aber war dennoch unbekannt.
Die langen Finger des Mannes fuhren unter den Rand seiner Kapuze und strichen sie zurück. Mit ängstlicher Erwartung starrte ich meinem jungen Gegenüber in die kalten, graubraunen Augen. Hellbraunes Haar fiel ihm in die Stirn, die porzellanreine Haut und die feinen Gesichtszüge verzogen sich zu einem zufriedenen Grinsen und er begann zu sprechen: "Schneiders. Nicht Henkers. Schneiders - ich bin ein eheliches Kind." Stolz ließ seine Brust schwellen.
"Und ich auch." Eine zweite, ruhigere Stimme mischte sich ein. Ich fuhr herum - dasselbe Gesicht, ein zweites Mal. Panik ergriff Besitz von mir.
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Golden Fairytale
FantasyDiese fremde, neue Welt sprengte alle Grenzen der Realität. Der Wissenschaft. Der Grausamkeit. Der Wunder. Der Unendlichkeit. Meines öden Alltags. Diese Welt überstieg sogar die Ausmaße meiner eigenen Phantasie. Wie oft hatte ich hiervon geträumt? E...