Durch einen langen, viel zu stillen Gang, an dutzenden Türen vorbei, lief ich mit hastigen Schritten neben Joshua her. Er ging schnell, ich hatte Mühe mitzuhalten.
"Was hat Maren zu Euch gesagt?", zischte er zu mir herüber. Überrascht runzelte ich die Stirn. Ich stellte mich dumm.
"Wann denn? Als du weg warst?"
"Nein, gerade eben, als sie Euch festgehalten hat - was hat sie in jenem Moment gesagt?"
"Wieso?" Seine unruhige Stimmlage machte mich nervös.
"Stellt einfach keine Gegenfragen. Was hat sie gesagt?"
"Nichts...", murmelte ich schulterzuckend. Ich wollte nichts stumpf wiedergeben, was ich nicht einmal selbst verstand. Außerdem nervte mich sein befehlender Tonfall. "Naja, ich habe zumindest nicht begriffen, was sie meinte."
Joshuas Blick hellte sich auf. "Noch besser. Und was hat sie gesagt?"
"Warum? Sag mir erst, was das bedeutet, bevor ich nachher etwas Falsches sage. Was ist los?"
"Bitte, sagt es einfach. Ich versuche lediglich seit längerer Zeit, Marens Worte zu deuten, mehr nicht."
Er drehte sich zu mir um und drückte mir den schweren Messingschlüssel in die Hand. "Zimmer 36, das letzte im Gang. Und, was hat sie nun gesagt?"
Er wollte es unbedingt wissen. Ich nahm den Schlüssel entgegen, versuchte Zeit zu gewinnen, während ich Marens Worte im Geiste auf die Goldwaage legte. "Frag sie doch selbst", murmelte ich, während ich mich an die Sätze erinnerte.
"Das ist unmöglich. Ich muss trotzdem zurück, Maren kann meine Hilfe im Gastraum gut gebrauchen, aber es ist wichtig, dass ich jetzt erfahre, was sie gesagt hat."
Ich gab auf, obwohl ich ein ungutes Gefühl bei der Sache hatte. Es gab einen Haken, irgendwo, ganz sicher.
"Sie meinte", begann ich gedehnt, "etwas von 'sich um dich Sorgen' zu machen. Dass ich dir keinen Ärger bereiten solle, dass du genug Probleme habest, und das Schloss das nicht gerne sehe. Und außerdem, dass ich mir bei dir sicher sein könne. Aber ich weiß nicht genau, was sie mir damit wirklich sagen wollte... was bedeutet das Schloss? Ich hab's schon gehört, aber es scheint ja etwas zu bedeuten."
Aufmerksam hatte Joshua mir zugehört. Dann zog er misstrauisch die Augenbrauen zusammen. "Jetzt verwundert mich ihre Sprache auch. Aber ich verstehe. Vielleicht bekomme ich noch etwas aus ihr heraus... danke. Und was das Schloss angeht - ich arbeite für das Königshaus, wie unschwer zu erkennen ist. Und jeder Arbeitsgeber hat seine eigenen Regeln, aber das ist etwas anderes... geht erstmal, ich werde nach Mitternacht wiederkommen." Er tippte sich auf das kleine Zeichen auf seiner Brust. Erst jetzt erkannte ich die winzige weiße Lilie, von Grün und Gold umschlungen. Ein Wappen.
Er drehte sich weg, ohne auf meine Antwort zu warten, und ließ mich stehen. Er hatte mich Richtung Tür geschoben.
Mit eher minder guter Laune schlürte ich den dunklen Gang entlang, den Blick auf die Zahlen an den Türen gerichtet. Neunundzwanzig, dreißig... Die Holzdielen knarrten unter meinen Schritten. Zweiunddreißig. Warum hatte Joshua so einen Aufstand gemacht? Nur wegen einiger verwirrender Zeilen? Fünfunddreißig.
36
war kunstvoll in dunkelgrün und -rot auf die nächste und letzte Tür gepinselt.
Behutsam öffnete ich das massive, eiserne Schloss, das grauenhaft quietschte, und ließ meine Tasche in das Zimmer vor mir fallen.
Im Raum war es dämmrig; nur einige wenige Kerzen brannten und warfen einen unheimlichen Schimmer in die Dunkelheit. Helle Leinenvorhänge waren vor einem Fenster zugezogen worden.
Es war still. Still genug, um all meine verworrenen Gedanken und unbeantworteten Fragen laut werden zu lassen.

DU LIEST GERADE
Golden Fairytale
FantasyDiese fremde, neue Welt sprengte alle Grenzen der Realität. Der Wissenschaft. Der Grausamkeit. Der Wunder. Der Unendlichkeit. Meines öden Alltags. Diese Welt überstieg sogar die Ausmaße meiner eigenen Phantasie. Wie oft hatte ich hiervon geträumt? E...