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"Ich glaube, ich bin der Sohn der Königin."

Stille trat zwischen uns ein. War es keine gute Nachricht? Schockierend, aber dennoch Klarheit verschaffend? Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, hatte Angst, etwas Unangebrachtes zu sagen. Joshua schien zu betroffen, als dass er auch nur irgendetwas Positives darin sehen konnte. Falls die Königin tatsächlich seine Mutter war... Etwas abwegig schien es schon.

Zur Sicherheit steckte ich wie Joshua einige weitere Dokumente und Briefstapel in meine Tasche, bevor ich sie wieder unter meinem Umhang verschwinden ließ. Unsere Blicke trafen sich. Ich entschied mich, einfach still zu bleiben.

Joshua holte tief Luft. Gerade als er zu sprechen beginnen wollte, rissen uns laute Stimmen aus den Gedanken. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen wurde etwas in die goldgelbe Tür gerammt. Erschrocken fuhren wir auf, machten uns weiter daran, die Luke unter den lockeren Holzdielen zu finden. Schlag für Schlag begann das metallbeschlagene Holz der Tür zu ächzen und knirschend zu splittern.

Endlich stießen meine Finger auf den massiven Eisenring, mit dem sich der Boden in einem schmalen Rechteck ausheben ließ. Joshua hatte Recht behalten, was die Geheimgänge in diesem Schloss anging. Er half mir, hektisch die Platte anzuheben, während draußen die Zwillinge beinahe die Tür aufgebrochen hatten.

Eine schmale Leiter führte hinab in die Dunkelheit, ihr Ende war nicht auszumachen. Joshua schickte mich vor, während er versuchte, den Eisenring aus der morschen Bodenklappe zu brechen, sodass man sie kein zweites Mal so leichtfertig herausheben konnte.

Ich schulterte mit klopfendem Herzen meine Tasche und setzte vorsichtig einen Fuß auf die dünne Sprosse. Ich sah meine Knöchel in der Dunkelheit verschwinden, meine Knie, meine Hüfte. Ich hatte mich an den Rand der Luke geklammert, doch um tiefer zu klettern musste ich loslassen.

Eine Hand an die eiskalte, rostige Leiter, die zweite. Und dann stieg ich mit zusammengekniffenen Augen in die pechschwarze Ungewissheit hinab. Der lange Umhang machte das Klettern nicht gerade einfacher, ständig verhedderte ich mich in dem Saum. Joshua folgte mir keine Sekunde später - ich hörte seinen Atem und das Krachen der Bodenplatte, als er sie über uns zurück in ihre Form fallen ließ.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis meine Zehen auf etwas anderes als eine weitere Leitersprosse stießen. Erschrocken versuchte ich halt auf dem steinernen Boden zu finden. Auch zu meinen Seiten schien nichts als massiver Fels zu sein... hoffentlich waren wir nicht in einer Sackgasse gelandet, einem Versteck, welches sich als grausame Falle entpuppen würde.

"Lauf an der Leiter vorbei, da müsste sich ein Gang befinden." Joshua verharrte angespannt über mir auf der Leiter. Der Raum war zu beengt, um zwei Menschen gleichzeitig Platz zu bieten. Ich versuchte einen Spalt zwischen Wand und Leiter zu ertasten, und nach etlichen Sekunden stießen meine Finger endlich auf eine Kuhle in der Wand, durch welche ich an den Eisenstangen vorbeischlüpfen konnte.

Ich tastete mich weiter, aber Joshua folgte mir mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er schon hunderte Male durch diesen Gang geschlichen.

"Wir befinden uns in einem Hohlraum zwischen der Turmaußenwand und den eigentlichen Innenräumen", raunte mir Joshua nach einer Weile zu, in der wir langsam bergab gingen, immer und immer im Kreis, und ich bereits einen Anflug von Panik bekam. Es war klaustrophobisch eng und stickig, die rauen Felswände scheuerten an meinen Schultern und es war noch immer kein einziger Lichtstrahl auszumachen. "Wir müssten im Ballsaal auf der Rückseite des Schlosses enden. In Richtung des Gartens."

Ich musste an all die hübschen, bunten Blüten und sorgfältig gestutzten Heckenlabyrinthe denken, die ich durch das schlierige Fenster im Turm hatte erahnen können. An all die kleinen Teiche, die in der Sonne geglitzert hatten, an all die hellen, sandigen Steinwege, die von Beet zu Beet, durch Labyrinthe zu den Teichen führten, gewundene Pfade an Bänken und Brunnen vorbei. Mit jedem Schritt durch diesen schmalen, kalten Tunnel, in dem einem die feuchte Dunkelheit auf die Augen drückte, sehnte ich mich mehr nach diesem Garten, nach Sonnenlicht und frischer Luft. Freiheit.

Golden FairytaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt