Es war Abend, als wir einen Wald erreichten, der größer und gewaltiger, undurchdringbar und mächtiger schien als alle Wälder, die ich in beiden Welten je gesehen hatte. "Ist das der Wald der Vogelfreien?" Ich hatte meine Stimme gesenkt, halb andächtig, halb ängstlich.
Ich hatte jede Orientierung verloren. Wo hatte die Hexe Isanah gelebt? Wo lag dieser Wald? Und am Wichtigsten - wo war der Frühling?
"Ja, aber wir haben neue Landkarten - also kaum noch einen Weg durch den Wald, wir können neue Straßen daran vorbei nutzen. Aber... dieses Stück liegt nun trotzdem vor uns." Joshua sprach ebenfalls leise, die abendliche Stille hatte sich über das Land gelegt. Er versuchte in den Wald zu spähen, doch die Bäume tauchten ihr Umfeld in pechschwarze Dunkelheit.
"Sag Hallo zu unseren neuen Freunden", murmelte Joshua geistesabwesend. Fragend sah ich ihn an, doch er schien in den Wald zu horchen.
Da, da war es wieder... leises Gelächter, so hämisch und rau, so böse und so unbeschreiblich hinterlistig. "Neumondsittiche?"
Ein Nicken als Antwort. "Aber diese klingen anders..." Seine Hand wanderte an den Griff des Schwertes. Meine an das Feuerzeug. Was für ein schwaches Gefühl der Sicherheit, wie nutzlos. Feuer würde nur die Aufmerksamkeit auf uns lenken.
Joshua ging voraus, fand nach kurzer Zeit einen Pfad, den wir vorsichtig betraten. Jetzt brauchten wir die Flamme tatsächlich. Auch wenn unsere provisorische Leuchte aus einem handlichen Ast und dem halben Ärmel Joshuas Hemdes bestand, den wir darumwickelten und anzündeten. Nicht optimal, aber Licht war Licht und Licht bedeutete sehen zu können. Die Risiken mussten wir eingehen.
Es dauerte nicht lang, bis die ersten seltsamen Dinge auftraten. Runen in den Rinden, Asche am Boden, Metallspäne in der Struktur der Pflanzen. Blut, das von den Bäumen tropfte. Der Lichtschein der Fackel reichte nicht hoch genug, um zu zeigen, von was das Blut zu uns hinabregnete, doch etwas in mir wollte es gar nicht erst wissen. Meine Phantasie reichte vollkommen aus.
Das leise Lachen kam näher, wir schienen uns direkt darauf zuzubewegen. Es wurde allerdings erst ein Problem, als das Gelächter nicht mehr allein war. Es stimmten weitere ein, jagten mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Aus dem Lachen wurden Worte, man konnte eine gesamte rege Gesellschaft belauschen. Es waren nicht nur Neumondsittiche gewesen.
"Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir es geschafft haben, SillyDans Truppe einzuholen?", flüsterte ich unruhig.
"Gering." Konzentriert verlangsamte Joshua seine Schritte, ließ ruckartig die Fackel fallen. Gerade als ich losschimpfen wollte, bedacht auf die Waldbrandgefahr, sah ich, was er bezwecken wollte.
Kleine, grüne Geschöpfe in verschiedensten Variationen hüpften vor dem Licht in Deckung hinter Grashalme und erstarrten, verschmolzen mit dem Untergrund und wurden fast gänzlich unsichtbar. Phantasiewesen, mit großen, durchsichtigen Augen, die uns fragend anblinzelten und kleinen, grünen, gläsernen Ärmchen, die sich an die dünnen Pflanzen klammerten. Sie waren spindeldürr und schienen so zerbrechlich, dass ich Angst hatte, der nächste Windhauch könne sie zersplittern lassen.
Ohne eine Erklärung streckte Joshua seine Hand aus, wartete einige Augenblicke ab, bis die kleinen Wesen sich aus ihrer Starre lösten und an seinen Fingern versuchten, seinen Arm zu erklimmen. Sie waren nicht halb so groß wie Liona, die goldgierige Elfe, und sie waren absolut still. Nur manchmal gaben sie klirrende Geräusche von sich, wenn zwei aneinanderstießen.
Ein leises Lächeln tauchte auf Joshuas Gesicht auf. "Sie nähern sich nur Elben", flüsterte er an mich gewandt, "Ich mag zwar keiner sein, aber sie vertrauen mir mehr als einem normalen, gebürtigen Menschen."

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Golden Fairytale
FantasyDiese fremde, neue Welt sprengte alle Grenzen der Realität. Der Wissenschaft. Der Grausamkeit. Der Wunder. Der Unendlichkeit. Meines öden Alltags. Diese Welt überstieg sogar die Ausmaße meiner eigenen Phantasie. Wie oft hatte ich hiervon geträumt? E...