16 Glück

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Wieder einmal schaltete er sein Gehirn einfach aus. Als ob sein Herz und sein Gehirn nicht gleichzeitig arbeiten konnten, wenn sie in seine Nähe kam. Als wäre er ein kleines Magnetsystem und sie der Nordpol, der jedes Signal einfach abfing und zu sich zog.

Tausende Sinneseindrücke strömten gleichzeitig auf ihn ein. Die sanfte Herbstsonne, die seine Haut erwärmte und deren Helligkeit er trotz seiner geschlossenen Augen sehen konnte. Fast wie in Venezuela. Das Rascheln der Blätter, die von den dürren Ästen der Bäume geweht wurden, sich am Boden zu einem Blätterteppich zusammenschlossen, der bei jedem Windstoß abzuheben schien. Das Zwitschern der letzten Vögel bevor sie sich auf den Weg in den Süden machten, über den Atlantik, vielleicht über die Landmassen auf der Reise in die Wärme. Und das Mädchen in seinen Armen, ihre Lippen auf seinen, ihre weichen Haare unter seinen Händen.

Als sie sich von ihm löste, atmete er tief ein. Er roch das Gras, den feuchten Boden, die Bäume, den Wind, der fremde Gerüche in den Park brachte ,und sie.

Dann öffnete er die Augen.

"Bitte renn nicht weg" bat sie ihn und lächelte dabei, sodass er die Grübchen in ihren Wangen sehen konnte. Hatte er je zuvor so ein Lächeln sehen? Ihre Augen leuchteten wie alle Sterne des Universums zusammen und trotzdem blieben in sie tiefgrün.

Mit einem Schmunzeln nahm er ihre kalten Hände und umschloss sie mit seinen.

"Wenn ich wegrenne, dann mit dir."

Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

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Mein Herz schlug gegen meinen Brustkorb, als wollte es sich befreien und hinaus in die weiter Welt fliegen. So fühlte ich mich. Als könnte ich mit meinem Herz als Motor und Taylor an meiner Seite einfach abheben.

Er nahm wieder meine Hand. Zusammen liefen wir aus dem Park.

Während wir langsam aus dem Park schlenderten, erzählte mir Taylor Geschichten über die Sonne in Venezuela und wie er früher dachte, dass sein Vater sie abends vom Himmel nahm, damit er besser schlafen konnte. Denn die goldene Scheibe hatte ihn immer geblendet, wenn er in seinem kleinen Bett unter dem Fenster lag. Dann wurde er still. Das Thema schien ihn an etwas zu erinnern, das ihn bedrückte.

Ich drückte vorsichtig seine Hand und lächelte ihn ermutigend an. Er würde mir heute nichts davon erzählen, aber ich hoffte, dass er mir eines Tages genug vertrauen würde, um mir zu sagen, warum er hier war, tausende Kilometer von seiner Familie entfernt.

Taylor führte mich in die Innenstadt. Obwohl uns tausende Menschen sehen konnten, ließ er meine Hand nicht los. Schämte er sich nicht dafür, dass er mit einem Mädchen, das verweinte Augen und zerzauste Haare hatte, herumzulaufen?

In dem Pub angekommen, wo ich ihm das erste mal begegnet war, blieb ich stehen.

"Keine Angst, wir gehen rein, nicht in die Seitenstraße" beruhigte er mich und wackelte mit seinen Augenbrauen.

Schaudernd dachte ich an den verregneten Abend zurück, an dem er mich vor ihm gewarnt hatte. An dem er mir gesagt hatte, ich sollte ihm nicht zu nah kommen. Und jetzt stand er mit offenen Armen ein paar Meter von der kalten Mauer weg und lächelte mich an.

Seine Augen waren nicht mehr eisig, sie waren warm. Sein Blick tat mir nicht mehr weh. Er würde mir nichts tun. Oder?

Ich entschloss mich, vorsichtig zu sein, solange ich nicht wusste, ob er immer noch mit mir spielte. Vielleicht hatte er eine Wette um mich abgeschlossen, wie ich es aus so vielen Büchern kannte. Vielleicht wollte er sich an mir rächen, dafür, dass ich ihn beleidigt hatte.

Aber war die Party bei Bella nicht Strafe genug gewesen?

"Ok." sagte ich nur.

Taylor schaute mich verwirrt an, nahm mich dann aber in seine Arme und schleuste mich durch die Tür. Ich verschluckte mich, als er mich plötzlich hochhob und auf einen Hocker genau vor der Bar setzte, hinter der er jetzt verschwand.

Hinter den Regalen, auf denen alle Arten von Getränken, Gläsern und Früchten standen, war ein kleiner Raum. Dort zog er sich seinen Pullover vom Körper. Noch einmal verschluckte ich mich und wurde knallrot. War ihm nicht klar, dass man durch die Gläser hindurchsehen konnte? Oder war das Absicht gewesen, damit er mich endgültig auf "Tomate" taufen konnte, wie vorhin seine Freunde? Gott sei Dank, hatte er mir seinen Rücken zugewandt, sodass er mich nicht sah.

Wie ein Idiot fächelte ich mir Luft zu, um mein Gesicht abzukühlen.

Er summte vor sich hin, während er seine Arbeitskleidung anzog.

Als er wieder hinter den Regalen hervorkam und mich sah, brach er in Lachen aus. Es war so ansteckend, dass ich einfach mitlachen musste.

"Was machst du da?" japste er, als er genug Luft gesammelt hatte.

"Äh... Ich atme?" versuchte ich mich herauszureden.

"Du atmest mit deinen Händen?"

Wieso konnte ich absolut nie peinlichen Situationen ausweichen? Taylor sah nicht so aus, als ob er nachgeben wollte.

Hilflos sah ich mich im Raum um. Da es noch früh war, war kaum Kundschaft da. Eine Frau mittleren Alters saß an einem Tisch und las die Zeitung. Weiter hinten lachte eine Gruppe Studenten. Auf dem Tresen lag ein Putzlappen.

"Die Gläser sind durchsichtig" rief ich.

Dann nahm ich den Lappen und warf ihn in Richtung Taylor. Wie durch ein Wunder traf ich ihn (es war wirklich ein Wunder).

Er warf ihn zurück und der schmutzige Lappen landete genau auf meinem Kopf. Als ich kichernd mich von ihm befreit hatte, war Taylor schon bei mir.

Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich diesen Moment für die Ewigkeit festgehalten.

Denn so wie es zu dieser Sekunde war, würde es nie wieder sein.

Wir waren wunschlos glücklich.


Danke für 600 ! <3

Das geht so unglaublich schnell in letzter Zeit :o

Ja, nach 16 Kapiteln haben Kate und Taylor endlich zueinander gefunden. Zeit für einen Shipname oder? :D

Schaffen wir 100 Votes?


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