21 Toxic

89 9 5
                                    

Mein Herz klopfte so heftig gegen meine Brust, dass Taylor es wahrscheinlich als Hammerschläge gegen seine wahrnahm. Wir atmeten beide schwer, doch niemand wollte vom anderen ablassen. In diesem Moment waren wir eins, und keiner von uns wollte den Moment vorzeitig beenden.

Trotzdem lösten wir uns irgendwann von einander und rangen nach Luft. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er lächelte und seine Wange wurde fester als ich gedacht hatte. Mit meinem Kiefer schlug ich dagegen.

"Autsch" entfuhr es mir, während Taylor anfing zu lachen.

Sein Lachen war so wunderschön, dass ich es nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden sehen wollte. Ich sah nur ihn, seine Augen, seine Lippen, die wuscheligen Haare, das verwaschene T-Shirt, das sich leicht über seine Brust spannte.

Das klingelnde Telefon riss uns aus der Idylle.

Seufzend riss Taylor seinen Blick von mir und suchte in den Tiefen seiner Hosentasche nach dem Handy, das in einer endlosen Schleife "Toxic" abspielte. Ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen. Als er es endlich gefunden hatte, war der Ton schon verstummt.

"Warst du das?" fragte er

"Magst du das Lied etwa?" presste ich zwischen zwei Lachanfällen aus mir.

"Das ist nicht lustig." stellte er fest, während er auf sein Handy schaut, dass wieder zu blinken angefangen hatte.

"Doch, irgendwie schon," lachte ich ihn weiter aus "wie hast du das bis jetzt nicht mitgekriegt?"

"Zum Glück hatte ich mein Handy die letzten Wochen auf lautlos gestellt. Stell dir vor, es wäre in der Schule losgegangen." nach dem letzten Satz schaute er entsetzt.

"Das war der Plan..." kicherte ich.

"Also du warst das doch?"

Mit einem Satz hatte er mich über seine Schulter geworfen. Kreischend trommelte ich mit den Händen auf seinem Rücken, aber er ließ keine Gnade walten. Wie verrückt hüpfte er in der Wohnung umher, wechselte alle paar Sekunden die Richtung, in die er rannte und drehte sich atemberaubend schnell im Kreis.

"Mir wird schlecht." keuchte ich, damit er mich endlich wieder herunterließ.

Vorsichtig setzte er mich auf meine eigenen Füße und grinste.

"Das hast du davon."

"Idiot."

"Selber."

Schließlich nahm er mich doch in seine Arme, aber nicht bevor er abgewartet hatte, ob mir wirklich schlecht war. An seinem alten Shirt schien ihm doch etwas zu liegen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit befreite ich mich aus seiner Umarmung und sah ihn entschuldigend an. Er griff sofort nach meinen Händen und hielt sie fest in seinen.

"Ich muss nach hause. Entweder meine Eltern haben mich schon vermisst gemeldet und alle Behörden suchen mit Sondereinsatzkommandos nach mir oder sie haben noch nicht bemerkt, dass ich nicht in meinem Zimmer bin. In beiden Fällen werden sie irgendwann herausfinden wo ich bin."

"Mhm" machte Taylor nur, ließ aber meine Hände los und gab mir einen letzten Kuss.

"Hab dich lieb." rief ich noch über meine Schulter, als ich meine Schuhe vom Boden aufgesammelt hatte, sie mir trotz der Schmerzen übergezogen hatte und schon auf dem Weg zur Tür war.

"Wir sehen uns morgen." bekam ich als Antwort.

Auf dem qualvollen Weg nach unten strich ich mit einer Hand meine Haare glatt und rief mir mit der anderen ein Taxi. Mit jeder Bewegung meiner Füße rieb sich die harte Sohle der Schuhe gegen die kleinen Wunden. Im Moment hatte ich nichts gegen ein Paar gemütlicher und flauschiger Hausschuhe, auch wenn sie nicht zum Kleid passten.

Vor der Tür wartete ich fröstelnd auf das Taxi, das nach etlichen Minuten endlich um die Ecke brauste. Ich ließ mich auf den Rücksitz fallen, nannte dem Fahrer die Adresse und begann mich seelisch und mental auf die Reaktion meiner Familie vorzubereiten.

Meine Eltern würden mein Verschwinden als Familientragödie bezeichnen, mich anschreien und es dann schließlich vergessen. Tante Silva würde mich wie immer das schwarze Schaf der Familie nennen und meinen Eltern Vorwürfe machen, wie sie mich nur so weit hatten kommen lassen, bis Linn auftauchen würde, die ihrer Meinung nach noch viel schlimmer war.

Linn würde als einzige wirklich sauer auf mich sein, weil ich sie ohne eine Wort zu sagen auf dem Ball stehen gelassen hatte. Also überlegte ich mir überwiegend, wie ich es Linn plausibel erklären konnte.

Zu schnell für meinen Geschmack wurde ich aus den Gedanken gerissen, als der Taxifahrer sein Geld verlangte. Ich drückte ihm die letzten verknitterten Scheine, die ich bei mir fand, in die Hand und stieg schnell aus.

Wie auf glühenden Kohlen ging ich über den Kiesweg auf unsere Haustür zu.

Es war Sonntag Mittag, Mitte November und ein eisiger Wind wehte um meine Nase. Von Innen konnte ich keine Stimmen vernehmen, aber wie ich schon einmal gesagt hatte: Hier trügte der Schein.

Bevor ich es mir anders überlegte drückte ich auf die Klingel, die man im Hausflur widerhallen hören konnte. Irgendjemand näherte sich der Tür und öffnete sie.

"Miss, wir haben uns Sorgen um sie gemacht." begrüßte mich die tiefe Stimme von Mr.Gaardt.

"Tut mir Leid." gab ich zu. Und es tat mir wirklich Leid.

Der Butler geleitete mich in den Salon, wie alle meine Familienmitglieder verteilt auf den Sitzmöglichkeiten saßen, von denen sie allerdings auffuhren, als sie mich sahen.

"Wo warst du, junges Fräulein?" polterte mein Vater.

"Was fällt dir ein, einfach zu verschwinden?" fügte meine Mutter an.

"Ich habe doch gesagt, dass sie sich nur herumtreibt" näselte Tante Silva.

"Gehts dir gut?" fragte Linn zögerlich.

"Ja." antwortete ich ihr. Die anderen versuchte ich zu ignorieren. Aber eine Erklärung war ich ihnen schon schuldig.

"Mir war schlecht, ich hab es nicht mehr ausgehalten auf dem Ball. Alles hat sich gedreht, es war einfach zu viel. Tut mir Leid."

Kleinlaut faltete ich meine Hände vor dem Schoß.

"Das wird Konsequenzen haben!" rügte mich mein Vater noch einmal, dann wandte er sich wieder seinen Laptop zu, an dem er gerade arbeitete.

Meine Mutter seufzte, nahm dann aber meine Hand in ihre und rieb sie etwas warm.

"Erschreck uns nicht so." flüsterte sie.

Dann ließen sie mich nach oben gehen. Linn verfolgte mich nur mit ihrem Blick und ich wusste, dass sie später zu mir kommen würde, um sich alles ganz genau anzuhören.

Aber zuerst musste ich mich um meine Füße kümmern.

Und mir überlegen, wie ich Kyle und Taylor in der Schule am effektivsten von einander fernhalten sollte.


Huhu!

Dieses Buch hat mittlerweile über 1000 reads! Unglaublich, das habe ich nur euch zu verdanken, also DANKE an jeden einzelnen von euch, der so weit gelesen hat.

Nur durch eure Unterstützung ist das Buch so weit gekommen.












So wie du bistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt