42 Tick Tack

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Verdammt. Nur mühsam konnte er sich zusammenreißen. Am liebsten würde er mit der Faust gegen die harte und trockene Rinde des Baumes schlagen, gegen den er sich lehnte. Verdammt. 

Warum musste alles so schwer sein? Warum waren Gefühle so kompliziert? Sie war das Beste, das ihm in letzter Zeit passiert war und gleichzeitig das Schlimmste, was ihm hätte passieren können. Durch sie hatte er sich in Irland lebendig gefühlt. Sie hatte ihn aus dem tiefen Loch geholt und mit ihr konnte er sich eine Zukunft in Dublin vorstellen. Die Stadt, die ihm erst  kalt und verschlossen vorkam, erschien mit Kate an seiner Seite so lebensfroh und offen. 

Aber er gehörte hier her. Nach Caracas. In die kleine Lehmhütte, die sein Vater erbaut hatte, als er noch klein war. Hinter die grauen Vorhänge, die vor Ewigkeiten ihre leuchtende Farbe verloren hatten. Zu seiner Familie, seinen Freunden. Wollte er das wirklich für ein Mädchen in Frage stellen?

Zwischen seinen Finger zermalmte er eine vertrocknetes Blatt. Es zerbröckelte und wurde vom Wind in die Luft gewirbelt. Die Sonne stand hoch am Himmel, keine einzige Wolke schwächte ihre Intensität. Taylor konnte die Wärme ihrer Strahlen auf seiner Haut spüren. Er schloss die Augen. Und es fiel eine Entscheidung.

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Mit Schwung öffnete er die angelehnteTür und riss den Vorhang zur Seite. Im Inneren der Hütte war es noch angenehm kühl, da alle Fenster mit schwerem Stoff verhängt waren. Nur durch die Risse drang das helle Sonnenlicht in den Raum. Mamá und Adamina saßen an einer Handarbeit. Adamina hatte geschickte Hände, doch nicht die Geduld eines ihrer Kleider fertigzustellen. Sie blickten auf.

"Taylor, Liebling" begann meine Mutter. 

"Ich gehe zurück. Ich muss zurück." sagte er schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte. Es war die richtige Entscheidung. Zumindest hoffte er das.

"Ach wirklich? Sie hat nur einen Tag gebraucht und schon kriechst du ihr wieder hinterher?" zischte seine Schwester ihn an. Ihre Augen funkelten böse. Aber er konnte sie verstehen

"Ihr seid meine Familie. Nichts kann mich von euch trennen." 

"Klar. Außer ein Mädchen."

"Sie ist nicht nur irgend ein Mädchen. Sie ist mein Mädchen. Und ob du es glaubst oder nicht, sie ist die Richtige für mich. Kate lebt in Dublin. Sie liebt Dublin genau so sehr, wie ich Caracas liebe, aber sie kann hier nicht leben. Ich komme in Dublin zurecht, aber sie wird hier nie aufgenommen werden. Wir gehören zusammen auch wenn das bedeutet, dass ich in Irland lebe." erklärte er.

Adaminas Gesichtszüge entspannten sich und Mamá seufzte.

"Mein Sohn..." murmelte sie, aber er wusste, dass sie es akzeptierte.

"Du liebst sie wirklich oder?" fragte Adamina leise.

"Ja."

"Und sie macht dich glücklich?" 

"Immer."

"Dann beeil dich und lass sie nicht gehen. Ich werde sauer, wenn du hier so einen Aufstand machst und sie dann doch nicht einholst. Ich kann Kate zwar nicht leiden, aber es beruhigt mich, dass du immerhin nicht allein bist, wenn du in Dublin arbeitest. Solange wir die selbe Sonne sehen und die selben Sterne zählen können, bist du bei uns. Auch wenn du in Irland sein willst." sagte sie schließlich und zum ersten Mal seit Tagen umspielte ein Lächeln ihre Lippen.

Taylor ging auf sie zu und hob sie in die Luft.

"Du bist die Beste" rief er, als er sich um sich selbst drehte.

Mamá lachte und weinte gleichzeitig als sie die beiden umarmte. "Ruf jeden Tag an, und vergiss nicht wer du bist, Taylor Sanchez." sagte sie, als sie ihn auf die Wange küsste.

In Windeseile wurde ein Koffer gepackt, Antonio und Maria herbeigerufen und alle verabschiedeten sich unter vielen Tränen von Taylor. Er selbst wusste nicht, ob er sich auf Dublin freuen konnte, wenn er Caracas jetzt schon so sehr vermisste. Aber erst musste er Kate einholen.

Er rannte so schnell er konnte in Richtung Bahnhof. Ihre Hütte lag etwas außerhalb der Stadt, doch zum Bahnhof war es trotzdem weit und er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm noch blieb. Regelmäßig starteten Flieger und flogen über seinen Kopf hinweg in Richtung Europa, nach Nordamerika oder weiter nach Süden. Und jedes mal blieb ihm das Herz für eine Sekunde stehen, weil er befürchtete, Kate könnte in einem von ihnen sitzen.

Mit keuchendem Atem und schwerem Gepäck rannte er also über die staubige Straße und jede Sekunde die verstrich, verringerte seine Chance, Kate noch zu erwischen.

Tick Tack.


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