36 Hello Venezuela

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Mein Herz zog mich unerbittlich in Richtung Flughafen, aber ich hatte noch etwas zu erledigen. Meine innerliche Lähmung der letzten Wochen hatten meiner Freundschaft mit Jake ebenso wenig gut getan, wie die Tatsache, dass ich mehr Zeit mit Kyle Grahams verbracht hatte, als mit meinem besten Freund. Obwohl mir aufgefallen war, dass er ungewöhnlich oft vor unserem Haus herumlungerte, hatte auch er Abstand zu mir gehalten, als ob ich eine tickende Zeitbombe wäre, die jeden Moment explodieren könnte. Und er wollte dann nicht in der Nähe sein. Jedes mal bat ich Linn darum, sich mit ihm zu unterhalten, damit er nicht so allein dastand. In mir hatte sich das Gefühl aufgebaut, dass ich wirklich gefährlich war, für mich und die Menschen in meiner Umgebung. Seit Taylor weg war, plagte ich alle mit Stimmungsschwankungen, wie sie im Buche standen. Von einer Sekunde auf die andere konnte meine Laune von Wolke 7 in den Keller fallen. Vor allem der sensible Jake litt darunter. Deshalb zwang ich meine Beine dazu, nicht zum Flughafen zu rennen, sondern zu ihm. Naja, ich rannte nicht wirklich, denn mein Gepäck war schwerer, als es aussah.

Völlig durchgeschwitzt ließ ich meine Reisetasche auf den Teppich vor seiner Haustüre fallen. Warum hatte ich mich nochmal nicht für einen Koffer entschieden? Noch bevor ich die Klingel betätigen konnte, öffnete sich schon die Haustür und Jake stand vor mir. Anscheinend war er gerade dabei Sport zu machen, denn auch er war verschwitzt und sein Gesicht war leicht gerötet. Bei seinem Anblick musste ich sofort lächeln. Ich würde ihn vermissen.

"Hey, Tomate" begrüßte er mich.

"Selbst." lachte ich zurück. 

Stirnrunzelnd betrachtete er erst mich und dann mein Gepäck. 

"Ich wusste, dass das früher oder später passiert. Ich kenne diese Aufbruchsstimmung in deinem Blick. Den gleichen hatte Taylor auch." seufzte er.

"Taylor war hier?" Ich riss meine Augen auf und Jake wusste, was jetzt kam. "Hat er was gesagt? Warum er gegangen ist, meine ich. Hat er?"

"Ehm..." begann er. "Ich sollte auf dich aufpassen. Tut mir Leid, dass ich versagt habe."

"Du meinst, ich bin ihm nicht egal?" meine Mine erhellte sich. 

"Nein. Definitiv nicht." 

Ich quietschte und zog Jake in eine kurze Umarmung. Wie ein kleines Kind sprang ich vor ihm auf der Stelle und bedankte mich bei allen höheren Mächten, dass es ihn gab.

"Du bist der beste. Hab dich lieb. Aber ich muss los." noch einmal umarmte ich meinen besten Freund, dann hob ich meine Tasche wieder auf und ging die Auffahrt hinunter. Jetzt musste ich mich beeilen, um meinen Flug nicht zu verpassen, aber so wie ich mich gerade fühlte, könnte ich auch ohne Flugzeug vom Boden abheben.

"Gute Reise." rief mir Jake hinterher und aus irgendeinem Grund hatte er ein Déjà-Vu.

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20 Stunden später setzte ich zum ersten mal in meinem Leben meine Füße auf südamerikanischen Boden. Die warme Luft schlug mir ins Gesicht und mir fiel das Atmen anfangs schwer. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel und brannte hinab auf die Straße. Nachdem ich im Gewühl der Menschenmenge meinen Koffer fand, kramte ich in meinem Handgepäck nach meiner Sonenbrille und setzte sie auf. Als ich vom Flughafengelände ging, war mir schon wieder so heiß, wie nach einem Marathonlauf im Sommer. Nicht, dass ich jemals einen Marathon gelaufen wäre, doch es musste sich wohl so anfühlen. Ein Taxi stoppte vor mir und ich setzte mich samt Gepäck auf die Rückbank. Auf englisch versuchte ich, dem Fahrer mein Ziel zu nennen, aber entweder er verstand kein Englisch, oder mein irischer Akzent bereitete ihm Probleme. Nach einiger Kommunikation mit Hände und Füßen, verstand er endlich und fuhr los.

Die Landschaft zog an mir vorbei wie ein Film, aber ich versuchte alles in mich einzusaugen und nichts mehr zu vergessen

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Die Landschaft zog an mir vorbei wie ein Film, aber ich versuchte alles in mich einzusaugen und nichts mehr zu vergessen. 15 Kilometer und wir waren in der Hauptstadt angekommen. Als wir in die äußersten Stadtgebiete einfuhren, erschrak ich. Die aus der Ferne romantisch wirkenden kleinen Gebäude waren in Wirklichkeit marode Blechhütten. Die Menschen am Straßenrand wirkten ausgemergelt und liefen gebückt. Nur die Kinder versprühten Energie, doch die meisten Jungen waren nur mit einer halb zerrissenen Hose bekleidet und liefen Barfuß durch Scherben und Müll, der neben den Hütten lag. Ich machte dem Fahrer deutlich, dass er langsamer fahren sollte, um niemanden zu gefährden, doch er wollte so schnell wie möglich aus dem Gebiet sein. 

Nach wiederholtem Flehen meinerseits ging er dann doch etwas vom Gaspedal und mein Herzschlag beruhigte sich etwas, doch nur um sofort wieder auszusetzen. Vor uns war ein kleines Mädchen in einem hübschen orangen Kleid auf die Straße gelaufen. Nur durch eine Vollbremsung konnte verhindert werden, dass sie verletzt wurde, doch hinter dem Auto begann jetzt jemand zu schimpfen und der Fahrer stimmte in das Fluchen ein. Ich öffnete mit etwas Gewalt meine Tür und stieg aus, um nach dem Mädchen zu sehen.

Ihre Haare waren zersaust, doch sie glänzen noch sauber und rochen gut. Ich hob die Kleine vorsichtig von der Straße und trug sie von der Fahrbahn. Plötzlich rempelte mich jemand an, schimpfte weiter auf spanisch und streckte die Arme aus, um mir das Kind abzunehmen. Als ich den Kopf hob, blieb mir die Luft weg. Auch der Schwall der Beleidigungen stoppte und mein Gegenüber atmete geräuschvoll ein.

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Mein Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust und hinderte mein Gehirn daran, zu arbeiten. Der einzige Gedanke, der mir immer wieder durch den Kopf ging war:"Sie war hier". Und sie hielt meine kleine Schwester in den Armen. Ich hatte sie samt ihrem Taxifahrer zur Hölle geschickt, weil sie Maria fast überfahren hatten. Und jetzt stand sie hier wie ein Engel.

"Kate." presste ich hervor. Mehr konnte ich nicht sagen, denn ihr Anblick verschlug mir den Atem und meine Kehle schnürte sich zusammen.

"Taylor." hauchte sie und ließ die mittlerweile schon zappelnde Maria auf den Boden zurück, wo sie auch gleich zu ihren Freundinnen lief. Mein Blick folgte ihr, bis sie bei ihnen angelangt war. Auch Kate blickte ihr hinterher. 

Keine Sekunde länger hielt ich es aus. Keinen Atemzug wollte ich verstreichen lassen. Ein großer Schritt und sie lag in meinen Armen, wo sie hingehörte. Das hier war immer mein zuhause gewesen, die Straßen in Caracas. Sie war hier völlig fremd und doch fühlte es sich genau richtig an, sie hier zu halten, in der Mittagssonne, die ihre Haare erhitzte. 

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Ich bin ehrlich gesagt ziemlich unzufrieden mit diesem Kapitel, deshalb kann es sein, dass es später noch einmal geändert wird. Aber ich wollte euch nicht noch länger auf die Folter spannen. :D


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