34 Der Morgen danach

74 4 7
                                    

Etwas über mir bewegte sich. Mein Arm wurde zur Seite geschoben und etwas höher gelegt. Dann ließ sich irgendetwas auf meiner Brust nieder. Ich blinzelte. Alles war weiß. Gleißendes Sonnenlicht schien durch die den Spalt in den Vorhängen auf meine Gesicht. Brummend neigte ich den Kopf etwas zur Seite und hielt plötzlich inne. Auf meinem Oberkörper waren lange, blonde Haare verteilt. Zierliche Armen waren um meinen Bauch geschlungen und ein Gesicht  vergrub sich in meiner Brust. Ich stöhnte.

Vorsichtig löste ich mich aus der Umarmung, hob den Kopf von mir und legte ihn sanft auf die warmen Kissen. Ein paar Griffe und ich hatte meine Klamotten vom Boden aufgeklaubt. Mit diesen in der Hand verließ ich leise das Zimmer. Unterwegs zog ich mir eine Boxershorts über. Als ich die Tür schloss, seufzte es hinter mir. Ein Blick über die Schulter bestätigte meine Bedenken. Sie war aufgewacht. Schnell zog ich die Tür hinter mir zu und schlürfte in die Küche. Ich kannte diese Wohnung nur zu gut.

 Mein bester Freund Ramiro hauste seit Urzeiten hier. Seit er das Geschrei seiner kleinen Geschwister nicht mehr ertragen konnte. In so vielen Punkten waren wir uns ähnlich, aber nicht in diesem. Auch er arbeitete in den örtlichen Minen, um die Nahrung für seine Familie kaufen zu können. Aber er kam nicht mit der Dankbarkeit und vor allem nicht mit Verantwortung zurecht. Deshalb mietete er seit Jahren diese Wohnung. Es war ein Blockbau, hunderte Menschen gingen hier ein und aus und niemanden interessierte, was neben einem geschah. Schon unzählige Male waren wir völlig zugedröhnt mit Mädchen hier gelandet, wo wir keine Rücksicht nehmen mussten, wo wir uns gehen lassen konnten. Ich schüttete Kaffeepulver in einen Plastikbecher und kippte lauwarmes Wasser darüber. Ramiros neueste Investition sollte keine Maschine sondern seine Stromrechnung sein, denn die Flamme brannte nur spärlich auf dem Herd und ich gab es auf, das Wasser vollständig zu erhitzen. Mit dem Becher setzte ich mich an den Tisch und nippte an der Brühe.

Ich hatte keine Ahnung, was in mich gefahren war, aber es fühlte sich nicht mehr an wie früher. Nichts mehr war wie früher. Nicht umsonst war ich als der Badboy der Gegend bekannt. Mittlerweile hatte Ramiro wohl alle Mädchen des Baus durch, doch mir ging nur eine durch den Kopf. Und leider war es nicht diejenige, die nur mit einem langen Shirt bekleidet verschlafen in die Küche tapste.

"Hier bist du." stellte sie fest.

"Jo." sagte ich und nahm einen weiteren Schluck. Auf dem Tisch lagen alte Zeitungen und ich begann eine davon durchzublättern.

Esma sah sich etwas verloren um, aber sie bemerkte nicht, dass ich sie aus dem Augenwinkel beobachtete. Schließlich entschied sie sich dazu, nicht auf eine Erklärung meinerseits zu waren, denn die würde sie nicht bekommen. Ich hatte selbst keine. Das Mädchen ging leichtfüßig zur Spüle, füllte sich ein Glas mit Wasser und lehnte sich dann an das Holz.

"Taylor?" fragte sie vorsichtig.

Ich hob meinen Blick und biss mir auf die Lippe. Das Shirt bedeckte nur knapp ihren Po, ihre langen, braunen Beine waren nackt und ihr Haar reflektierte die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster schienen und immer stärker wurden. Langsam hob ich eine Augenbraue.

"Das..." begann sie zu stottern.

"Was?" ich hatte keine Lust, ihr irgendeine Information zu entlocken, die mir nicht weiterhalf mein Problem zu lösen. 

"Du warst der Erste." flüsterte sie und ließ mich von meinem Stuhl auffahren. Schnell ließ ich mich wieder zurückfallen. 

"Mierda." stöhnte ich. "Nicht dein Ernst."

"Ich dachte, du hättest das bemerkt." 

"WIE soll ich das bemerken? Bin ich hellsichtig?!" fuhr ich sie jetzt an. Erschrocken wich sie an die Spüle zurück.

"Tut mir Leid." entschuldigte ich mich sofort, "ich wusste das nicht."

"Schon gut." murmelte Esma.

"Nein, nichts ist gut. Das Prozedere hatte ich schon mal. Und am Ende musste Ramiro sie mit all seinen Mitteln und seinem unschlagbaren Charme dazu bringen, abzutreiben." ich verdrehte die Augen. "Ich meine, welches Mädchen, nimmt denn NICHT die Pille?" lachte ich jetzt erleichtert.

An der Spüle verschränkte Esma langsam ihre Arme vor ihrem Bauch. Ihre Hände zitterten.

"Nein." hauchte sie.

Dieses mal riss ich den Stuhl mit, als ich aufsprang. Er krachte auf den harten Boden und ließ das Mädchen abermals zusammenzucken.

"Sag mir, dass das nicht wahr ist." brüllte ich.

In mir brodelte es und ich konnte niemandem garantieren, dass ich meine Gefühle im Zaum halten konnte. Ihre nächsten Worte konnten mein Leben zerstören. Soweit ich noch eines hatte, dass man zerstören konnte. Irgendwo, tausende Kilometer weiter, schlug ein Herz, dass ich gerne hören würde. Und wenn Esma mich jetzt zerstörte, würde ich ihr nie mehr so nah kommen können, dass ich es hörte. 

"Ich..." stotterte sie wieder, doch ich unterbrach sie.

"DU gehst jetzt. Sofort. Zum Arzt oders o. Krankenschwester. Von mir aus zu einem Heilpraktiker, aber was auch immer passiert, ich werde nicht Vater. Verstanden?" 

Ihr blonden Haare fielen ihr wieder wie ein Vorhang vor das Gesicht. Trotzdem wusste ich, dass sie mit den Tränen rang, genauso wie auch ich. Mit einer Hand bedeckte ich meine Augen und wischte dann über meine Gesicht. Esmas Augen glitzerten zu meinen, dann drehte sie sich um. Wie versteinert stand ich da in der Küche und versuchte, das Brennen in meinem Magen zu ignorieren. Ich versuchte, die Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass Esma nichts dafür konnte, dass ich gerade alles verlor, auszublenden. Nach einer Minute kam sie wieder in die Küche, voll bekleidet und mit roten Augen. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich zum Gehen.

"Und kein Wort zu Adamina!" rief ich ihr hinterher, dann schlug die Haustür zu.

Mit dem Knall löste sich etwas in mir und die Tränen flossen. Mir war klar, dass ich gerade nicht nur ein Herz gebrochen hatte. Wie konnte ich jemals wieder unter Kates wunderschöne Augen treten. Wie konnte ich nach dieser Nacht und diesem Morgen überhaupt jemanden ansehen, ohne vor Scham im Boden zu versinken? Gedankenverloren suchte ich nach meinem Telefon in der Wohnung. In meiner Jacke fand ich es schließlich. Unbewusst tippte ich die Nummer ein. Meine Finger erledigten den Job von alleine, so oft hatte ich diese Nummer schon gewählt. Dann klingte es und jemand nahm ab.

"Ramiro? Ich hab Mist gebaut."

_____________________________________________________

Haters gonna hate, Potatoes gonna potate.



So wie du bistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt