26 Can't breathe easy

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Meine Augen brannten wie Feuer. Auch die vereinzelten Tränen, die sich in den Winkeln sammelten, konnten den Brand nicht löschen. Immer wieder zog ich meine Nase nach oben, die schon seit Minuten unerbittlich lief. Genauso wie die Zeit.

Ich hatte noch etwa 2 Stunden, bis ich unbedingt am Flughafen sein musste. Viel zu wenig Zeit, um sich gebührend von allen zu verabschieden, aber es musste reichen. Wenn ich nicht heute abflog, würde ich es nie tun. Ich konnte es schon jetzt kaum übers Herz bringen, sie zu verlassen. Ein weiteres Mal würde es mir nicht gelingen. Allein die Gewissheit, dass sie alleine an dieser alten Wand stand, so blass, mit ihren funkelnden Augen und ihren weichen, hellen Haaren brachte mich um den Verstand. Niemand sollte so im Stich gelassen werden, schon gar nicht jemand wie sie.

Trösten konnte ich mich nur mit dem Gedanken daran, dass man sie auffangen würde. Sie hatte eine Schwester, die sie liebte und eine schnöselige Familie, die trotz ihres Geld- und Machtwahns für sie da sein würden. Das hoffte ich zumindest. Außerdem war da noch Jake.

Auf dem Weg zu ihm, musste ich mich zurückhalten nicht einfach umzukehren und ihm die Aufgabe zu überlassen, sich selbst wieder einen Weg zu ihr zu bahnen. Nach unserer kleinen Auseinandersetzung in der Schule hatte ich ihn ein weiteres Mal ohne Kate getroffen - dafür aber mit ihrer Schwester. Wie auf frischer Tat ertappt waren sie rot geworden. Noch etwas, das Linn mit ihrer kleinen Schwester überein hatte. Sie waren wild knutschend fast durch die Schwingtür in den Pub gefallen, hatten kichernd und über ihre eigenen Füße stolpernd an der Bar Platz genommen und waren ganz plötzlich verstummt, als sie mich sahen. Zu gerne erinnerte ich mich an die erschrockenen Gesichter. Nicht so gerne, an all die Momente, in denen Kate gedrängt hatte, ihr endlich die ganze Geschichte zu erzählen. Sie hatte ja keine Ahnung. Jake musste das jetzt wieder geradebügeln. Sie brauchte ihren besten Freund jetzt.

Bis sie über mich hinweg war. 

Der Gedanke daran, dass sie mich irgendwann vergessen würde und dass sie vielleicht jemanden anderen, besseren als mich kennenlernen würde schmerzte. 

Als ich an seiner Tür klingelte, sah ich abermals dieses verdutzte Gesicht. Bevor er irgendetwas sagen konnte, begann ich schon. 

"Du musst es ihr sagen."

Er fuhr sich nervös durch die hellbraunen Haare, bedacht darauf mich nicht anzusehen.

"Wirklich. Das ist wichtig." hielt ich fest.

"Wieso sagst du es ihr denn nicht? Wenn es so wichtig ist..." weichte er jetzt aus. Ich hatte schon immer gewusst, dass er ein mentaler Waschlappen war.

"Weil.... ich gehen muss. Zurück nach Venezuela. Sie braucht ihren besten Freund jetzt. Und zwar einen ehrlichen, wenn es schon du sein musst. Und wenn es gleichzeitig der Liebhaber ihrer Schwester ist."

Er keuchte auf.

"Was?! Du lässt sie im Stich und greifst mich dann an?"

"Ich muss gehen. Meine Familie braucht mich. Sei für sie da." Weiter wollte ich nicht gehen. Ich war ihm keinerlei Rechenschaft schuldig und er musste nicht alles wissen. Der selbstgerechte Ausdruck in seinem Gesicht sagte schon genug, was er über mich dachte. Er dachte, ich hätte sie ausgenutzt und würde jetzt abhauen. Das traurige war, dass ich niemandem das Gegenteil beweisen konnte.

Noch immer stand Jake mit erhobener Augenbraue an seinen Türrahmen gelehnt, als wartete er darauf, dass ich noch etwas sagte.

"Kannst dich ja jetzt um beide Schwestern kümmern. Das wünschen sich doch Jungen, wie du."

Mit diesen harten Worten drehte ich um, und stiefelte die Einfahrt entlang weg von der Villa.

"HEY! Gute Reise, du Penner!" rief er mir hinterher. "Und ich bin nicht ihr Liebhaber!"

Natürlich nicht. Schmunzelnd bog ich um die Ecke. Weniger als 2 Stunden Zeit.

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Mit zitternden Händen hob ich mein Fahrrad vom Boden auf. In meiner Brust fühlte ich nichts. Nur eine Leere, die sich langsam in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich sehnte mich nach etwas oder jemanden, an dem ich mich festhalten konnte. Meine Knie waren keine festen Gelenke mehr, sondern Wackelpudding. So wie alle meine Glieder.

Ich hatte keine Erinnerungen daran, wie ich nach hause gekommen war, aber ich musste wohl mehrmals gestürzt und mit anderen Menschen zusammengestoßen sein. Das Schimpfen der älteren Dame mit ihrem Pudel hallte noch in meinen Ohren. 

"Kleine Göre!"

Die fuchtelnden Armbewegungen des Taxifahrers, dem ich die Vorfahrt genommen hatte, wurden in meinem Kopf immer wilder. Wie eine Windmühle umkreisten seine Arme den Körper. 

"Pass doch auf wo du hinfährst!"

Taumelnd schaffte ich es irgendwie nach oben in mein Zimmer. Vor meinem inneren Auge spielte sich immer wieder die gleiche Szene ab. Taylors Lippen auf meinen, seine Hand in meiner. Als ich die Augen öffnete war er weg. Der Kloß in meinem Hals wurde immer schwerer. Ich konnte kaum noch atmen. Als ich die Tür hinter mir schloss, konnte ich nicht mehr. 

Heulend warf ich mich auf mein Bett. Mein Gesicht vergrub ich in den weichen Kissen. Das Schluchzen ließ sich nicht mehr unterdrücken. Und dann kam alles raus. Die Wut, die Trauer, die Ungläubigkeit. Ich biss mir in die Faust, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Meine Knöchel spürte ich kaum. 

Hinter mir fiel die Tür abermals ins Schloss. Ich hörte vorsichtige Schritte über das Parkett gehen.

"Alles ok?" fragte die sanfte Stimme meiner Schwester.

"Ja." schluchzte ich, gefolgt von einem Schluckauf. Meine Nase lief und die Tränen hatten sich in meinem ganzen Gesicht verteilt. 

Linn setzte sich auf meine Bettkante und streichelte meinen Oberarm. 

"Alles wird gut." 

"Nein." schrie ich jetzt.

"Was ist passiert?" 

Ich wusste, dass diese Frage irgendwann auftauchen würde. Und ich wollte die Antwort nicht wahrhaben.

"Taylor. Ich - " weiter kam ich nicht. Ein weiterer Heulkrampf blockierte meine Stimme.

Linn schien mich zu verstehen. Vielleicht nicht, was vorgefallen war, aber was ich fühlte. Wobei jeder Idiot erkennen konnte, dass es mir wunderbar ging.

In Zeitlupe setzte ich mich auf, neben meine Schwester. Sie hielt mir schon ein Taschentuch hin, das ich lächelnd annehmen wollte. Aber ich konnte beim besten Willen meine Mundwinkel nicht anheben. Keinen Millimeter. Wieder brach ich in Tränen aus.

"Er ist ein Arschloch." tönte eine Stimme von der Tür. Es war Jake.

Auch er kam zum Bett herüber. In einer Gruppenumarmung verschlungen ließ ich die Tränen laufen, bis meine Augen brannten.

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Hört euch das Lied an :) Einer meiner All-Time-Favorites und auf jeden Fall passend zu den Gefühlen der armen Kate.







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