32 Fire inside me

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Die Sonne küsste den fernen Horizont, als ich mit Maria im Arm den nächsten Schritt in Richtung des Festes machte. Unsere Herzen schlugen im Rhythmus der Musik und meine kleine Schwester zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen, als sie ihre Locken schüttelte und mir mit der winzigen Hand den Weg wies. Der Geruch von gebratenem Mais stieg mir in die Nase und ich beschleunigte meine Schritte. Seit dem Morgengrauen hatte ich nichts gegessen und der Hunger hatte unbemerkt an meiner Laune gezehrt. Ich war es nicht mehr gewohnt, nicht regelmäßig Nahrung zu mir zu nehmen. 

Als wir am ehemals weißen Zelt ankamen, war es schon bis zum letzten Rand gefüllt. Die Menschen drängten hinein und hinaus, begrüßten sich auf in Mitten des Laufens stürmisch und küssten sich auf beide Wangen. Die Planen, der Boden, die Luft: alles schien in Bewegung zu sein. Das Lachen von so vielen Personen löste jeden aus dem trüben Alltag, aus den Gedanken an das Bergwerk, an die Fischerei an den kargen, trockenen Boden. Helle Mädchenstimmen sangen traditionelle Lieder und schon bald machten alle mit, groß und klein, jung und alt. Alle vereint.

Ich setzte Maria vorsichtig ab, als sie ihre Freundinnen entdeckte und sich aus meinem Arm zu winden versuchte. In der Sekunde, in der ihre Füße den Boden berührten, stolperte sie schon los. Mein Blick richtete sich wieder nach oben, ich suchte Adamina. Während ich durch die Menge sah, bemerkte ich, dass viele Augen auf mich gerichtet waren, die der Älteren, die sich ihres Stolzes beraubt fühlten, weil ich ausgerechnet nach Europa gegangen war, konnte ich mit einem höflichen Nicken zum Abwenden bringen, doch die vielen Mädchen liefen rot an und kicherten, sobald ich in ihre Richtung sah. Es war alles beim Alten.

Endlich fand ich Adamina bei einigen Mädchen ihres Alters. Auch einige von ihnen atmeten schneller, als ich näher kam, doch meine Schwester warf ihnen einen strengen Blick zu und die meisten sahen weg. Jedoch nicht alle. 

"Taylor, was willst du?" fragte mich Adamina, offensichtlich genervt davon, dass ich die Aufmerksamkeit bekam, obwohl sie ihr selbstgenähtes Kleid trug.

"Sehen, ob alles in Ordnung ist." antwortete ich. Sofort rollte sie mit ihren Augen.

"Wir sind nicht im East End, du musst dir keine Sorgen machen. Im Gegensatz zu Europa sind hier nicht alle Männer auf das eine oder das andere aus." immer noch genervt.

"Das East End ist in London, Adamina. Da war ich noch nie." merkte ich an, um ihren Vorwürfen auszuweichen.

"Ich finde nicht, dass alle Europäer böse sind."  sagte eine helle, klare Stimme neben Adamina. Es war das einzige Mädchen, das dem Gespräch noch folgte, die ihre Augen immer noch nicht von mir abgewendet hatte. Sie sah außergewöhnlich aus. Nicht schlecht, aber anders, als alle anderen Mädchen hier. Die hüftlangen Haare schienen zu leuchten, wie ihre Augen. Ihre von der SOnne geküsste Haut hob die hellen Haare und Augen noch mehr hervor.

"Siehst du." ging ich darauf ein.

"Deshalb solltest du dich auf Festen von mir fern halten. Jedes mal klaust du mir eine Freundin. Das ist übrigens Esma." murrte Adamina, aber dann lachte sie doch.

"Ich bin froh, dass du wieder da bist, irgendwie habe ich zu viele, um die ich mich kümmern muss." fügte sie an und zwinkerte.

Esma sah zwischen und beiden hin und her, aber die fast geflüsterten Worte meiner Schwester erreichten ihr Ohr nicht. Adamina kehrte auf dem Absatz um und schob sich durch die Menge. Ich dagegen sah mir ihre Freundin genauer an. Auch sie hatte ihr Festkleid selbst genäht, sorgfältig bestickt und gepflegt wie einen Schatz. Ihre Haare fielen ihr wie ein Vorhang ins hübsche Gesicht. 

"Darf ich?" fragte ich leise, aber wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.

Mit einer Hand strich ich ihr die Haare hinter die Schulter, mit der anderen zog ich sie an der Taille näher zu mir. Sie schloss kurz die Augen und öffnete sie dann wieder. Ein klares blau strahlte mich an, ihre Lippen öffneten sich und kamen näher, immer näher.

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"Zu zweit ist man stärker als allein. Wenn wir fallen, dann zusammen." flüsterte ich fortlaufend vor mich hin. Ein Mantra. Das brauchte ich jetzt.

Mit einer dampfenden Tasse Tee, einer kuschelig warmen Decke und einem Schmöker saß ich an der Heizung und starrte in den dunklen Nachthimmel. Kleine Schneeflocken rieselten auf die Erde, färbten sie weiß. Die Fensterscheibe beschlug, wenn ich zu dicht an ihr ausatmete. Noch war mein Atem warm. Ich hätte glücklich sein könne. Eigentlich hätte ich sogar glücklich sein müssen, aber ich konnte es nicht.

Seine kastanienbraunen Augen, dieses Funkeln in ihnen, wenn er lachte, dieses Glitzern, wenn sie sich mit Tränen füllten. Alles wegen mir. Das Grübchen an seiner Wange, wenn er lächelte. Das Gefühl, durch seine vom Regen nassen Haare zu fahren. Sein Herzschlag an meinem. Sein Atem in meiner Lunge. Seine sanften, weichen Lippen auf meinen. Seine Hände, die meine wärmten. Seine starken Arme, die einen festhielten, auch wenn nichts mehr blieb. Und das hier war der Moment, in dem mir nichts mehr blieb. 

Ich löschte das kleine Leselicht auf dem Fensterbrett und legte das Buch und die Tasse zur Seite. Wie oft hatte ich hier gesessen und nachgedacht? Bestimmt tausende von Malen, in denen ich jedes mal, wenn auch erst nach der zehnten Tasse Tee, eine Lösung gefunden hatte. Es gibt keine Alternativlosigkeit, hatte ich immer gedacht. Doch jetzt war alles anders. Ich war wie Sméagol, dem sein Schatz genommen wurde, wie Max ohne Moritz, wie Blair ohne Chuck: nicht vollständig.

Die ersten Tränen sammelten sich in meinen Augen. Meine Lunge brannte, mein Herz schrie. Meine Seele war still. Mein Verstand war ausgestaltet Wenn ich genug weinen würde, könnte ich vielleicht in einem Meer aus Tränen versinken und der Situation entgehen. Einfach ertrinken. Aber was war schon einfach?

In mir nahm langsam eine Idee Form an. Ein Plan, der noch aussichtsloser war, als der von Kyle. Danach würde es dunkel sein. Dunkel vor mir und dunkel in mir. Eine letzte Träne rollte meine Wange herab. Dann versuchte ich aufzustehen.



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