24 Kalter Wind

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Mir war durchaus bewusst, in wessen Armen ich da lag, aber ich machte keinerlei Anstalten mich aus seinem diesmal sanften Griff zu befreien. Ich roch irgendein teures Parfum, aber auch den Duft der Kerzen vom großen Saal und ein bisschen Orange und Zimt, der in der ganzen Luft lag. Vorsichtig, aber doch bestimmt zog er meine Hände vom eisigen Geländer und versuchte sie in seinen zu wärmen. Seine weichen Finger fuhren immer wieder von meinem Handgelenk bis zu den Fingerknöcheln und langsam spürte ich diese wieder. 

Ich zog meine Nase leise hoch und drehte mich dann zu ihm um.

"Kyle... warum machst du das?" fragte ich ihn.

Er ließ meine Hände los und fuhr sich durch die perfekt sitzenden Haare, wobei das Jackett verrutschte und man etwas mehr von seinem Körper sah, an den sich das helle Hemd anschmiegte. Auch er zitterte, wenn auch nicht so stark wie ich. 

"Mir macht das auch keinen Spaß. Die ganzen Spiele um noch mehr Macht, diese Pläne jetzt... Das stand nicht auf meiner Wunschliste." antwortete er.

"Aber du spielst mit."

"Wenn du spielst, kannst du auch gewinnen. Wenn du nicht spielst, hast du schon verloren."

"Hm." machte ich nur.

Da war was dran, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich noch aus der Sache herauskommen sollte, wenn ich mich an die Regeln von Kyles Mutter hielt. Und von meiner. Ich teilte meine Bedenken mit ihm, aber er fasste sich nur an die Stirn.

"Du verstehst echt gar nichts. Du spielst, ja, aber nicht nach ihren Regeln. Spiel nach meinen und wir müssen nie heiraten. Aber das werden wir sowieso, denn du wirst dich früher oder später in mich verlieben." 

Ein kalter Schauer jagte über meinen Rücken und ich erschauderte. 

"Ist das dein Ernst? Ich bin grad nicht aufgelegt auf deine Scherze." 

Kyle zuckte mit den Schultern und beugte sich dann tief zu mir herüber. Sein Atem ging schnell, aber gleichmäßig und ich konnte wie von fern seinen Herzschlag hören.

"Spiel mit mir zusammen und du bist frei." flüsterte er, und wandte sich schon wieder in Richtung Tür.

In meinem Kopf ratterte es. Ich wollte frei sein, mehr als alles andere, aber genauso sehr wollte ich mich von Kyle fernhalten. Er und seine Familie waren gefährlich. Woher sollte ich wissen, ob man ihm trauen konnte? 

Noch während ich nachdachte drehte er sich noch einmal um.

"Ach ja. Ich mache keine Scherze."

Dann verschwand er zurück in das Innere seinen Hauses.

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Immer wieder ballte ich meine Hände zu Fäusten und ließ sie dann wieder locker. Ich fuhr mir durch die zerzausten Haare, kämmte sie mit den Fingern durch, nur damit die nächste Windbö sie wieder durcheinander brachte. Im Sekundenrhythmus hüpfte ich. Zwei Sprünge nach vorne, einen nach hinten. Zwei nach vorne, einen nach hinten. Wieder spürte ich die Wut in mir aufkochen, es brodelte und zischte, aber kochte nicht über. Ich wurde immer nervöser und angespannter. Nach zwei weiteren Sprungrunden um den Teich hielt ich es nicht mehr aus. In einer Bewegung riss ich den Reißverschluss meiner Trainingsjacke auf, zog sie mir grob vom Körper und warf sie irgendwo gegen einen Baum.

Einfach nur laufen, nicht nachdenken, sondern einen Schritt vor den anderen setzen und mit jedem weggekickten Kieselstein auch eine Erinnerung aus dem Kopf verbannen.  Mit jedem Auftreten meiner Füße auf den Boden brannten meine Beine ein Stück mehr und immer mehr Schweiß rann mir von den Schläfen. Die Haare klebten längst an meiner Kopfhaut und selbst das Shirt drückte sich an meinen Oberkörper. Kilometer für Kilometer wurde ich langsamer, aber stehen bleiben konnte ich nicht. Und vor allem wollte ich nicht. 

Als mir kaum noch Luft zum Atmen blieb und meine Lunge brannte wie die Hölle stoppte ich.  Das Blut wurde mit rasendem Tempo durch meine Adern gepumpt. Mein Oberkörper bebte , verzweifelt schnappe ich nach Luft. Mit einer Hand stütze ich mich an einem Baum ab, mein Gesicht gegen die schattige Seite des Holzes gewandt. Die Wut und meine Verzweiflung kamen wieder auf. Mit aller Kraft schlug ich gegen den Stamm. Etwas Rinde bröckelte herab. Ein stechender Schmerz fuhr meinen Arm nach oben bis in meinen Kopf. Mein Entschluss war gefasst. 

Ich musste hier weg. Weg von ihr, von Grahams, von diesem Schmerz. Zurück nach Venezuela.

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Nachdem ich Linn und Jake von dem misslungenem Besuch bei den Grahams gestern Abend erzählt hatte, schwiegen wir alle. Niemandem fiel etwas ein. Meine Lage war also genauso aussichtslos, wie ich sie eingeschätzt hatte.

Seitdem Taylor mit Jake geredet hatte war er ungewöhnlich still. Die Wochen über hatte er nur das nötigste mit mir geredet und war mir außerhalb der Schule aus dem Weg gegangen. Noch immer sah er immer Linn in die Augen, nur um nicht zufällig zu mir zu sehen. Weder Taylor, noch Jake wollten mir sagen, was los war. Und Taylor konnte ich nun nicht mehr fragen. 

Seit dem Streit auf dem Schulflur hatte er auf keine meiner Nachrichten und meiner unzählbaren Anrufe reagiert. In der Schule war er seit  3 Tagen nicht aufgetaucht. Ich hatte noch keine Gelegenheit gefunden, zu ihm zu fahren, aber jetzt wurde mir bewusst, dass das die einzige Chance war, die ich noch hatte. Ich wusste nicht, was er vorhatte oder warum er jeglichen Kontakt mit mir verweigerte, aber wenn ich nicht mit ihm sprechen konnte, nicht sein Gesicht sehen konnte und seinen Herzschlag nicht mehr wahrnahm, würde ich druchdrehen.

"Ich muss zu ihm." sagte ich in die Stille hinein.

"Zu Kyle? Denkst du das ist eine gute Idee nach gestern Abend?" zweifelte meine Schwester.

"Nein. Zu Taylor."

Als ich seinen Namen aussprach senkte Jake seinen Kopf und starrte auf seine Beine. Linn, die neben ihm auf der Couch in ihrem Zimmer saß, tätschelte seine Schulter. Irgendetwas wusste sie mehr als ich. Oder sie verheimlichte es vor mir, weil es zu schlimm war.

"Ich dachte, wir brauchen einen Plan, wie wir Kyle loswerden?" fragte jetzt Jake. Offensichtlich wollte er das Thema wechseln.

"Taylor ist wichtiger." stellte ich fest, als ich vom Bett aufstand, meine Hose richtete und in Richtung Tür ging.

"Sei vorsichtig." flüsterte Linn noch, aber ich hatte schon die Tür geschlossen und war die Treppe heruntergerannt. 

Es dämmerte und ich wollte keine Sekunde länger warten, ihn zu sehen. Mir wurde klar, wie sehr ich ihn vermisste. Jede meiner Zellen wollte ihn beobachten, ihn küssen, ihn umarmen. Vor allem wollte ich, dass er nicht mehr sauer auf mich war und wieder mit mir redete. Der sanfte Klang seiner tiefen Stimme war schon lange in meinem Gehörgang verhallt und mein Körper lechzte nach mehr.

Der kühle Wind schlug mir entgegen, als ich auf die Straße trat, aber meine Haut war so warm, dass ich nichts davon spürte. Wie von allen guten Geistern verlassen trat ich in die Pedale meines Fahrrads, rollte durch den Park, nahm Autos die Vorfahrt, brauste ohne mich umzusehen um Ecke, um möglichst schnell bei ihm zu sein.

Mir war nicht klar, wie nah ich schon war.











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