Das Wetter war vielversprechend und der Wind trieb die Mary Lane gut voran. Seit gut einer Woche waren sie nun unterwegs. In Kürze sollten sie den Hafen von Benshep erreichen. Eliza war selber überrascht, dass sie sich so schnell wieder an das Bordleben gewöhnt hatte. Die Mary Lane war im Vergleich zur Star of Hope ein Stück kleiner und benötigte daher nicht ganz soviel Besatzung. Die Mannschaft war also übersichtlicher und viele der Männer gehörten auch zur Stammbesatzung. Daher begleiteten diesmal mit Eliza auch nur vier Frauen die Mannschaft. An Bord spielte Eliza's neuer Status als Tochter des alten Kapitän's und als Ehefrau des Teilhabers keine Rolle, an Bord musste Jeder und Jede anpacken und hatte seine Aufgaben. Die strenge Kleiderordnung und klare Verhaltensregeln galten allerdings auch hier. Eliza schlief mit den anderen Frauen in einem eigenen Bereich und Tom bei der Mannschaft. Lediglich der Kapitän hatte seinen eigenen privaten Bereich. So hatten Tom und Eliza nur wenig Privatsphäre miteinander. Aber dennoch fanden sie immer kurze Augenblick für einen liebevollen Kuss und vielsagende Blicke. Eliza genügte es schon, Tom in ihrer Nähe zu wissen und genoss diese kurzen Begegnungen um so mehr.
Der Wind hatte über den Tag böig aufgefrischt und der Kapitän ließ vorsorglich Anweisung geben, die Segel zu reffen. Tom war mit einigen Matrosen in die Takelage gestiegen, um der Anordnung des Kapitäns Folge zu leisten. Plötzlich war ein Aufschrei zuhören und die Männer an Deck wurden hektisch. Einer der Matrosen hatte sich in den Seilen verfangen, war abgerutscht und hing nun unglücklich kopfüber in der Takelage fest. Der Wind und der Seegang hatten inzwischen weiter zugenommen was eine Rettung zusätzlich erschwerte. Atemlos sah Eliza vom Deck aus zu, wie Tom sich zu dem Abgestürzten hinunterhangelte. Tom hatte teilweise Mühe, sich ausreichend Halt zu verschaffen, doch letztlich gelang es ihm, den Unglücklichen aus seiner misslichen Lage zu befreien. Eliza war heilfroh als Tom wieder wohlbehalten auf dem Deck stand. Einerseits war sie erleichtert, dass ihm nichts passiert war, andererseits war sie auch ein bisschen wütend, dass er sich dieser Gefahr ausgesetzt hatte. Tom zuckte mit den Achseln: "An Bord ist Jeder für Jeden da. Wir halten eben zusammen." Sie nickte: "Du hast ja recht. Aber darf ich mir trotzdem Sorgen machen, wenn du dich solchen Gefahren aussetzt?" Tom lachte: "Darfst du, Liebling. ICH würde mir Sorgen machen,wenn du es nicht tätest." Eliza stieß ihm ihren Ellbogen in die Rippen und erwiderte schnippisch grinsend: "Sei dir nicht so sicher, beim nächsten Mal überlege ich es mir vielleicht anders, Tom Foulder." Sie drehte sich sich mit erhobenen Kopf um und ließ ihn stehen. Er sah ihr kopfschüttelnd nach: "Was für ein Weib!"
Eliza hatte sich zwar auch während Tom's letzter Überfahrt Sorgen gemacht, doch war ihr nicht wirklich bewusst gewesen, welchen Gefahren Tom an Bord tatsächlich ausgesetzt war. Jetzt wo sie unmittelbar dabei und Tom ihr so wichtig war, wühlten sie solche Aktionen mehr auf als ihr lieb war. Abends wenn sie dann mit ihren Gefühlen allein in ihrer Koje lag, vermisste sie die Gespräche und die beruhigenden Worte ihrer besten Freundin. Die Nacht war stürmisch und unruhig, an viel Schlaf war nicht zu denken. Und wenn sie dann in einen unruhigen Schlaf viel, quälten sie Alpträume. Immer wieder sah sie, wie Tom von hoch oben aus der Takelage ihr vor die Füße stürzte. Entsetzt sah sie, wie sich die Planken mit Blut rot färbten, aber sie war wie gelähmt. Sie wollte ihm helfen, konnte es aber nicht. Sie wachte dann schweißgebadet auf. Sie bekam einfach die Bilder nicht aus ihrem Kopf. Der Gedanke, Tom zu verlieren und es nicht verhindern zu können, war für sie unerträglich. Rose hätte bestimmt die richtigen, beruhigenden Worte gefunden. Ihre Freundin fehlte ihr so.
Erst als die Sonne aufging, beruhigte sich der Wind wieder. Die Küste von Benshep war bereits am Horizont zu sehen und die Mannschaft bereitete das Schiff auf die Einfahrt in den Hafen vor. Eliza stand an der Reling und kurz gesellte sich auch Tom zu ihr. "Alles klar bei dir, Liebling?", fragte er. Sie nickte. "Ja, alles gut.", antwortete sie kurz. "Sobald die Ladung gelöscht ist, habe ich hoffentlich Zeit für dich. Ich möchte dir die Stadt zeigen und dir etwas hübschens kaufen. Wir werden ein paar Tage in Benshep bleiben, um einige wichtige Geschäfte abzuwickeln. Ich werde mir aber auch genug Zeit nehmen für dich, Liebling, keine Angst. Betrachte es als unsere nachgeholte Hochzeitsreise." Sie lächelte und nickte. Er küsste sie liebevoll in den Nacken und entfernte sich dann wieder. Sie drehte sich rum und sah ihm hinter her. Seit ihr wieder so stark bewusst war, dass das Leben und das Glück so vergänglich sein konnten, würde sie noch mehr jede einzelne Minute mit Tom zusammen genießen. Jetzt freute sie sich erst einmal auf den Aufenthalt in Benshep und das Treiben der großen Stadt. Benshep war ein großer Warenumschlagplatz für Waren aus vielen Ländern, dem entsprechend bunt soll es dort auch zugehen. Die Stadt war gerade jetzt für sie ein willkommene Abwechslung und würde ihr helfen, ihre Ängste und Sorgen hoffentlich erst einmal zu verdrängen.
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Eliza - zwischen Schicksal und Liebe
Historical FictionEliza gehört als Dienstmagd einer Handelsfamilie auch zur Besatzung des Handelsschiffs, der "Star of Hope". Auf einer der Handelsfahrt wird sie brutal von Mitglieder der Crew vergewaltigt. Doch trotz ihres jungen Alters ist Eliza stark und überlebt...