Schicksalsnacht

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In den nächsten Wochen strebte die Mary Lane bei durchweg gutem Wetter der heimatlichen Küste entlang Richtung Heimathafen. Eliza's Stimmung wurde mit jeder Seemeile, die sie dem Hafen näherten, positiver. Inzwischen war auch hier der Sommer eingekehrt, so dass auch die Nächte angenehm warm waren.
Es war späterer Nachmittag als Eliza voller Freude an der Reling stand. Der ablandige Wind trug vertraute Gerüche von Land aufs Meer. Sie atmete tief ein und schloss die Augen. Dann wurde sie jedoch jäh aus ihren Träumen gerissen. Es wurde plötzlich hektisch auf Deck und aufgeregte Stimmen holten sie wieder in die Gegenwart. Sie drehte sich um und sah in besorgte Gesichter. Als sie gerade fragen wollte, was denn los sei, sah sie die dunkele, schwarze Wand, die sich am Horizont auftat. Oh nein, nicht jetzt wo das Ziel so nah war und dennoch war in diesem Augenblick der rettende Hafen noch zu weit weg. Der Kapitän gab ruhig seine Befehle und jeder tat was nötig war, um das Schiff auf den drohenden, schweren Sturm vorzubereiten. Tom nahm seine Frau stumm in den Arm. Dann flüsterte er: "Es wird schlimm werden. Sowas habe ich noch nie gesehen." Dann löste er sich, sah ihr noch mal tief in die Augen: "Ich liebe dich." Dann eilte er davon.
Die schwarze Wand kam schnell näher und der Wind nahm bedrohlich zu.  Die Frauen hatten sich in ihrem Quartier versammelt. Eliza saß stumm in der Ecke. Sie hatte seit langem wieder ein ungutes Gefühl, eine düstere Vorahnung. Es war das Gefühl, dass diese Nacht ihr Schicksal besiegeln würde. Draußen entwickelte sich die Lage bedrohlich. Die Felsen der Küste kamen bedrohlich nah, es war bei dem Seegang kaum noch möglich die Mary Lane auf Kurs zu halten. Riesenbrecher schlugen über das Schiff und immer mehr Wasser brach ein. Als die bedrohliche Lage sich zuspitzte, kam Tom zu den Frauen unter Deck. Er brüllte gegen den Sturm: "Wir verlieren das Schiff, ihr müsst hier raus." Er half den Frauen aus dem Quartier durch knietiefes Wasser und Trümmer an Deck. "Wir binden euch zusammen, damit keine vorzeitig über Bord geht." Tom nahm ein Seil und band es um die Hüften der Frauen. Als er seine Frau als Letzte festband, sah er sie besorgt an. "Sag meinem Sohn, dass ich ihn liebe.", sagte Tom und strich kurz über ihren Bauch. In diesem Augenblick gab es einen lauten Krach, ein heller Feuerschein blendete Eliza, so dass sie erst einmal nichts sah. Als sie dann wieder etwas sehen konnte, war Tom verschwunden. Die Frauen kreischten, der Wind heulte und es krachte im Minutentakt. Der Wind peitschte ihnen den Regen ins Gesicht und Wellenbrecher schlugen über ihnen zusammen. Im nächsten Feuerschein eines Blitzes sah sie Tom ein letztes Mal in dieser Nacht. Bei dem nächsten Brecher riss das Seil und sie wurde von Bord gespült. Durch das Tosen des Sturmes hörte sie noch weit entfernt ihren Namen, dann versank sie in den aufgewühlten Fluten. Sie kämpfte sich zurück an die Oberfläche und holte kurz Luft bevor die nächste Welle sie wieder Unterwasser drückte. Sie kämpfte verzweifelt gegen das aufgewühlte Meer um jeden Atemzug, der sie am Leben hielt. Plötzlich spürte etwas hartes an ihrer Schulter, es war ein größere Holzplanke und sie griff instinktiv danach und klammerte sich daran fest so gut sie konnte. Dennoch schluckte sie auch immer wieder Wasser. So langsam ließen ihre Kräfte nach. Sie klammerte an der Holzplanke und betete nur noch, dass sie nicht gegen die Felsen geschleuderte werde. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Tom wollte zurück zu den Frauen, als ein riesiger Brecher über das Deck schlug, er konnte sich gerade noch festhalten. Als er das nächste Mal auf sah, war Eliza verschwunden, nur ein abgerissenes Seilende war zusehen. Entsetzt brüllte er durch den Sturm ihren Namen, aber er wusste, er würde keine Antwort mehr bekommen. Ein weiterer Brecher machte ihm klar wie verzweifelt die Lage für die noch an Bord Überlebenden war. Er schaffte es irgendwie zu den anderen Frauen zurück. Es gelang ihm, die Frauen an einem großen Teil des Mastes festzubinden. "Wenn ihr über Bord geht, dann klammert euch daran fest und bleibt wenn möglich zusammen.", brüllte er den Frauen zu. "Das Ufer ist nicht mehr weit, aber passt in der Brandung auf." Die Frauen nickten nur völlig verängstigt. Die nächste Welle legte das Schiff auf die Seite und Tom ging über Bord. Er kämpfte sich durch die brechenden Wellen. Die nächste Wellen schleuderte an den Strand, um ihn dann wieder mit ins Meer zu reißen. Bei der nächsten Welle versuchte er mit letzter Kraft den Strand weiter rauf zu kommen bevor die Welle ihn wieder ins Wasser reißen konnte. Erschöpft brach er schließlich am Strand zusammen, hinter sich immer noch das tobende Meer.

Am nächsten Morgen wurde er wach. Alles war wieder friedlich, so wie wenn nichts geschehen wäre. Dann hörte er leise Stimmen und sah auf. Er erkannte eine kleine Gruppe Menschen. Sie mussten Überlebende der Mary Lane sein. Eliza! schoss es ihm durch den Kopf, vielleicht hatte sie ja doch irgendwie überlebt. Getrieben von einem Funken Hoffnung rappelte er sich auf. Suchend sah er sich in der Gruppe um, die Gesichter waren noch von dem Horror der Nacht gezeichnet. Seine Hoffnung wich und Verzweiflung macht sich langsam breit. Er fragte immer wieder, doch alle schüttelten niedergeschlagen den Kopf. So lief er verzweifelt den Strand ab, doch außer einigen Trümmerteilen der Mary Lane und zwei Leichen fand er nichts, was auf Eliza hindeutete. Als er aufs Meer raus sah, konnte er das Wrack der Mary Lane auf einer Sandbank liegen sehen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Sie waren ihrem Ziel so nah gewesen. Völlig niedergeschlagen und verzweifelt kehrte er zu der Gruppe zurück, setzte sich in den Sand und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Keiner sollte seine Verzweiflung und seine Tränen sehen. "Ich kann nicht..... Ich kann nicht ohne dich leben. Eliza.....wo bist du?", stammelte er tränenerstickt.

Eliza - zwischen Schicksal und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt