Thoughts

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Dort angekommen musste ich klingeln, da ich ja noch keinen Schlüssel besaß. Als ein Summen ertönte, drückte ich die Tür auf und schlüpfte hinein.
Aus der Küche hörte ich Geschirr klappern und ein herrlicher Duft füllte die ganze Wohnung. Sofort machte sich mein Magen wieder lautstark bemerkbar. Ich zog meine Jacke aus und lief in die Küche, um beim Tischdecken mitzuhelfen.

Nach einer ausgiebigen Mahlzeit ließ ich mich in meinem Zimmer auf das Bett fallen und fühlte mich seit Tagen wieder einigermaßen zufrieden.
Beim Abendessen hatten wir uns ausschließlich auf koreanisch unterhalten und mein Handy hatte ich auch schon auf Hangul umgestellt. Da ich ja jetzt hier lebte, musste ich die Sprache so schnell wie möglich wieder beherrschen, sonst konnte ich mir soziale Kontakte oder einen Job abschminken.

Ich zog mir einen meiner alten Pyjamas an, da ich bisher noch nicht die Zeit dafür gefunden hatte, den Inhalt meines neuen Kleiderschrankes zu inspizieren. Nachdem ich mich auch noch soweit bettfertig gemacht hatte, ließ ich mich in meine Kissen fallen und starrte an die Decke. Vor meinem inneren Auge ließ ich die Geschehnisse des Tages noch einmal Revue passieren.

Erst der tränenreiche Abschied am Flughafen, dann der nervenaufreibende Flug, das neue Haus und dann noch diese merkwürdige Begegnung im Café, die man eigentlich nicht wirklich als 'Begegnung' bezeichnen konnte.

Die Decke über mir nahm ich schon gar nicht mehr wahr, ich hatte die ganze Zeit das Bild des Jungen mit den mintgrünen Haaren vor mir. Zugegeben, er ist hübsch gewesen, doch er hatte so verbissen auf seine Arbeit gestarrt und im Nachhinein, wenn ich so drüber nachdachte, sah er so aus, als hätte er Tage nicht geschlafen.

'Über was du dir schon wieder Gedanken machst, du kennst diesen Typen doch gar nicht, geschweige wirst du ihn je wieder sehen', wurde ich mal wieder von meiner inneren Stimme zurechtgewiesen.
Aber das lag nun einmal in meiner Natur, die Gefühle und Verhaltensweisen anderer Menschen zu beobachten und verstehen. Ich fand es lustig und interessant, Vermutungen über das Verhalten von Menschen aus meiner Umgebung aufzustellen und freute mich dann, wenn ich richtig lag, was zu meiner Überraschung auch relativ oft vorkam. Deshalb war es auch schon fast zur Gewohnheit geworden, andere Leute eher zu beobachten als mit ihnen ein Gespräch zu suchen. Vielleicht fand ich diesen Jungen deshalb so anziehend, er wirkte irgendwie verschlossen. Außer dass er kränklich aussah, was hauptsächlich an seinem blassen Gesicht lag, wusste ich nichts damit anzufangen, wie er sich verhielt.

'Warum denke ich überhaupt über die Probleme eines wildfremden Typen nach, den ich nur einmal gesehen habe?' Seufzend drehte ich mich auf die Seite und schloss meine Augen. Aber es schien, als hätte sich sein Gesicht auf meine Netzhaut gebrannt, ich konnte ihn einfach nicht vergessen.
Und wieder fing mein Kopf an, Geschichten zu erstellen, diesmal allerdings ungewollt und mit ihm in der Hauptrolle, bis ich langsam in einen ruhigen Schlaf abdriftete.


Am nächsten Morgen wurde ich von einem hellen Licht, das stechend durch meine Augenlider drang, geweckt. Ich hatte gestern Abend wohl vergessen, die Vorhänge zu schließen, weshalb mein Zimmer komplett hell war.

Ich verfluchte mich deshalb erst einmal selbst und drehte mich stöhnend zur Wand. Ich war der totale Morgenmuffel und auch zu faul aufzustehen, um sie jetzt zuzumachen, deshalb legte ich einfach mein Kissen über die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Allerdings drängte sich da ein Gedanke in meinen Kopf, der mich nicht ließ.

'Was ist eigentlich los mit dir, jetzt denkst du schon direkt nach dem Aufwachen an ihn? Du kennst ihn nicht!' Meine innere Stimme hatte schon immer mehr Vernunft als ich, aber es änderte leider nichts an der Tatsache, dass dieser Typ aus dem Café immer noch in meinem Kopf herumspukte.

Seufzend nahm ich das Kissen von meinen Augen und setzte mich auf. Ich blinzelte kurz, weil das helle Sonnenlicht mich blendete, stand dann aber auf und schaute auf mein Handy, um zu sehen, wie spät es war. Es war kurz nach neun, wie sich herausstellte, aber etwas ganz anderes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte eine Nachricht von einer mir nicht ganz unbekannten Nummer. Allerdings war ich mehr als nur verwirrt, dass es ausgerechnet er war, der mir schrieb.

>>Yuna, ich halte es nicht aus, dass du nicht hier bei mir bist! Ich weiß nicht, was ich ohne dich mit meinem Leben anfangen soll. Ich brauche dich! Es hat so weh getan, dich zu verlieren, ich werde dich nie vergessen können<<

Das klang so krass verzweifelt. Warum hatte er mir das geschrieben? Wollte er es mir noch schwerer machen, als es ohnehin schon war?
Wieder traten mir Tränen in die Augen, aber diesmal ließ ich sie einfach laufen. Ich vermisste ihn so sehr, aber ich durfte nicht. Warum war das Leben so unfair?
Leise schluchzend drückte ich mein Gesicht in mein Kissen. Normalerweise war ich nicht so nah am Wasser gebaut und heulte gleich wegen so einer Nachricht, allerdings lief in meinem Leben im Moment so einiges nicht normal, also konnte man meine Reaktion in dem Moment irgendwie verstehen.

Eigentlich sollte ich wütend auf ihn sein, dass er mir geschrieben hatte, obwohl ich mit ihm Schluss und ihm klar gemacht hatte, dass wir vergessen sollten, weil es sonst für uns beide zu schwer werden würde, aber in dem Moment war ich einfach nur verzweifelt. Ich wollte ihn vergessen und dann schrieb er mir so eine Message.
"So ein Idiot!", flüsterte ich in mein Kissen, "Das bringt uns doch beiden nichts!"
Antworten würde ich ihm nicht, dass wussten wir beide, dafür hatte ich keine Kraft, aber es war wahrscheinlich einfach ein Verzweiflungsakt seinerseits gewesen, vielleicht der letzte Schub, um das loszuwerden.

Ich setzte mich langsam wieder auf, als meine Tränen versiegt waren, wischte mir noch einmal mit dem Handrücken über die Augen und legte mein Gesicht in meine Hände. Ein letztes Mal wollte ich mir sein Gesicht ins Gedächtnis rufen, ein allerletztes Mal für immer. Dann musste ich mich ganz einfach damit abfinden, dass er nie wieder eine Rolle in meinem Leben spielen würde. Allerdings spielten meine Gedanken nicht mit, denn langsam verwandelte sich sein Gesicht in ein anderes. In einen Jungen mit Beanie und... grünen Haaren? Was?!
Dadurch wurde ich noch verwirrter als ich ohnehin schon war. Warum tauchte dieser Typ immer wieder in meinen Gedanken auf? Was war nur los mit mir?!

Entsetzt über mich selbst riss ich meine Augen wieder auf und schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Langsam stand ich auf und nahm mir ein paar Sachen aus meinem Koffer zum Anziehen, ohne wirklich darauf zu achten, was ich mir griff.

Noch einmal fuhr ich mir über die Augen und machte mich auf den Weg ins Bad. Schnell zog ich mich an und putzte mir die Zähne. Zum Schminken konnte ich mich in dem Moment nicht wirklich aufraffen, außerdem bestand in meinem derzeitigen Zustand die Gefahr, dass das nicht allzu lange halten würde.

Meine Mum schlief offenbar noch, denn es war gestern doch recht spät geworden. Aber ich brauchte jetzt einfach ein bisschen frische Luft um wieder runterzukommen, also legte ich ihr einen Zettel hin mit den Worten "Ich bin spazieren, mach dir keine Sorgen um mich, bin gegen Mittag wieder da", schnappte mir die Schlüssel von der Kommode und schloss leise dir Tür hinter mir.

Ich atmete einmal tief ein, was mich schon sichtlich entspannte und ging los in Richtung Hauptstraße, während ich, in meinen Gedanken vertieft, auf den Boden starrte.

Plötzlich traf ich auf einen Widerstand. Ich verlor kurz die Orientierung und wäre beinahe hingefallen, konnte mich aber gerade noch abfangen. Ich schaute hoch, um zu sehen mit was oder besser wem ich da zusammengestoßen war.

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Can this be my new life?  [ BTS/Suga - FF ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt