Kapitel 1

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Ich lebe in einer Welt, in welcher Freiheit ein Fremdwort ist. Kontrolle steht an oberster Stelle und wer sich widersetzt wird bestraft. In meiner Gesellschaft ist es üblich unterdrückt zu werden und keine eigene Meinung haben zu dürfen. Das heisst solange man nichts gegen das System sagte und brav ihre Spielchen mitspielte konnte man überleben.

Mit starrem Blick lief ich geradeaus. Vor und hinter mir gingen ca. 100'000 weitere Menschen. Alle marschierten geordnet in einer Reihe. Niemand wusste wo man uns hinführte. Niemand traute zu fragen.

Als wir kurz zum Stoppen kamen schweifte mein Blick in der Menschenmenge umher. Kleine Kinder, Erwachsene, Jugendliche und Senioren. Eins hatten sie alle gemeinsam. Sie hatten bereits aufgegeben zu kämpfen. Ich konnte es an ihrem Blick, ihren Augen erkennen. Sie glänzten nicht so wie sie sollten. Es ist als hätten sie jegliche Willenskraft verloren. Wie sie hier durch die Gegend wanderten: Emotionslose Gesichter, schlaffe Schultern und tiefe Augenringe. Was diesen Menschen wohl schon alles zugestossen ist? Ich wollte es mir gar nicht vorstellen.

Als wir seit einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht weiterliefen, hüpfte ich neugierig auf meine Zehenspitzen, um etwas sehen zu können. Was sich bei so vielen Menschen nicht als einfach herausstellte.

Was geht hier vor?

Die Menge wurde langsam ungeduldig und tanzte aus den Reihen. Es fing an Chaos zu herrschen. Ich nutzte die Chance um mich weiter vor zu drängen. Wir mussten ja aus irgendeinem Grund angehalten haben und den wollte ich herausfinden. Je weiter ich nach vorne kam desto lauter wurden die Schreie.

Plötzlich wurde ich grob am Handgelenk gepackt.

"Einen Schritt weiter und ich werde dich eigenhändig verprügeln.", zischte ein junger Mann neben mir.

Zornig sah ich erst zu ihm und dann auf mein Handgelenk.

"Lass mich los!", funkelte ich ihn an.

Er war ein Soldat der zuständig war alles und jeden unter Kontrolle zu haben.

Ein weiterer gequälter Schrei dröhnte durch meine Ohren und sofort zuckte ich zusammen. Ich hatte das verlangende Bedürfnis dieser Person zu helfen. Da der Soldat kurz abgelenkt war konnte ich mich flink von seinem eisernen Griff befreien. Ich wusste, dass ich mich damit selber in Schwierigkeiten brachte, doch das war mir gerade egal. So schnell mich meine Beine trugen rannte ich los.

"Bleib sofort stehen!", rief der Soldat hinter mir.

"Ergreift sie!", schrie ein anderer.

Die eiligen Schritte der Soldaten die mich verfolgten, trieben mich nur noch mehr an schneller zu laufen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich wusste, wenn sie mich erwischen, würde ich nicht nur mit einem blauen Auge davon kommen. Die anderen Leute um mich herum machten mir den Weg frei und nun konnte ich erkennen was oder besser gesagt wer der Auslöser für die vielen Schreie war.

Vor mir wurde ein Mann mittleren Alters auf brutalste Weise ausgepeitscht.

"Sofort aufhören!", brüllte ich und kam abrupt zum Stehen.

Der Mann mit der Peitsche hielt inne in seiner Bewegung und sah mich wütend und gleichzeitig überrascht an. Ein dreckiges Grinsen zierte sein Gesicht. Er legte seinen Kopf schief und kam langsam auf mich zu.

Die Menschen um mich herum schienen die Luft anzuhalten.

Der Blick des Mannes war kalt und einschüchternd, doch ich starrte nur trotzig zurück.

Bevor der Mann vor mir stand fand ich meine Stimme wieder.

"Wofür wird der Mann beschuldigt?", fragte ich ein wenig ausser Atem und zeigte auf den älteren Mann, der mittlerweile am Boden lag und sich kaum noch regte. Sein ganzer Rücken war in Blut getränkt und mit Narben übersäht. Mitleidig sah ich ihn an. Was musste man getan haben um auf diese Weise bestraft zu werden?

Lässig und immer noch mit diesem dreckigen Grinsen im Gesicht fing der Mann mit der Peitsche an zu sprechen.

"Er wusste nicht wie man sich benimmt.", lachte er laut los und drehte sich um. Bevor ich überhaupt reagieren konnte bohrte sich seine Peitsche erneut ins Fleisch des armen Mannes. Immer und immer wieder. Das Blut spritze in alle Richtungen. Es war ein grauenhafter Anblick.

Für einen Moment war ich wie festgewachsen und nicht im Stande mich zu bewegen. Aber mit einem Mal überkam mich solch eine Wut gemischt mit Adrenalin, welches durch meinen ganzen Körper floss. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und ohne weiter zu überlegen sprintete ich auf den Schläger zu. Ich sprang auf seinen Rücken und er schien sichtlich überrascht über meine Handlung zu sein, denn er taumelte ein paar Schritte zurück. Seine Peitsche liess er vor Schreck fallen. Ich war sicher, dass der verletzte Mann, der ausgepeitscht wurde zu unrecht verurteilt worden war. Das war normal bei uns. Er war wahrscheinlich vorhin in der grossen Menschenmenge gestolpert und hatte somit alle behindert, weswegen er bestraft werden musste. Scheiss System. Scheiss Menschen.

Meine Wut wurde immer grösser. Mehrmals versuchte ich den starken Mann zu Boden zu bringen, doch ich schaffte es nicht. Ich krallte meine Finger in seine Augen und sofort schrie er auf. Irgendwie schaffte er es meine Arme zu packen und mich über seinen Kopf zu ziehen damit ich mit einem lauten Knall auf dem harten Boden landete. Mein Rücken pochte und ich stöhnte vor Schmerz auf.
Der Mann beugte sich zu mir runter und lächelte mich wieder dreckig an. Ich versuchte mich aufzurichten, doch mein Körper liess es nicht zu.
"Du schwächelst, Jade.",sagte er verachtend.
Meine Augen weiteten sich. Woher kannte er meinen Namen?
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte wurde ich grob von hinten auf die Beine gerissen. Zwei Soldaten führten mich ab. Ich wollte protestieren, mich gegen sie wehren, aber ich schien die Kontrolle über meinen eigenen Körper verloren zu haben.

Grenze 18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt