7. Offene Fragen

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Es ist mittlerweile eine Woche her, dass Kentin versucht hat mich zu küssen und Nathaniel dabei reingeplatzt ist.
Seitdem haben Kentin und ich uns ganz normal, wie vorher auch, gegenüber verhalten. Gut, wir waren danach auch nicht mehr alleine irgendwo aber ich habe auch nicht sonderlich den Drang danach.
Nathaniel und ich haben uns von dem Augenblick an nur noch einmal morgens begrüßt, da wir beide zu spät gekommen sind, und ansonsten kein Wort mehr miteinander gesprochen. Diese Begrüßung hat unbehagliches Stottern und ausweichenden Blickkontakt beinhaltet, weswegen ich danach auch nicht mehr auf ihn zugegangen bin, als ich ihn beispielsweise in einer Ecke des Schulhofs alleine, an einem Tisch, hab lesen sehen. Ich würde dennoch gerne wissen, was danach in seinem Kopf vorgegangen ist. Ob er denkt, dass Kentin und ich nun ein Paar sind? Zwar hat er keinen Kuss zwischen uns gesehen, jedoch den Moment davor und ich bezweifle, dass er auch noch gesehen hat, wie ich regungslos Kentin angestarrt habe, während er sich mir annäherte.
"Hallo, Lisa", begrüßt mich Melody lächelnd im Vorbeigehen.
Ich bin gerade dabei meinen Spind wieder etwas zu ordnen. Kaum hat die Schule wieder begonnen, sieht mein Spind wieder aus wie eine Mülldeponie. Alte Snackverpackungen, Bücher unvorteilhaft gestapelt, ein paar Stifte, sogar mein Regenschirm ist hier drin. Zum Glück nervt es mich aber auch schnell, wenn ich mal wieder so bin und ich räume auf.
Auf Melodys Begrüßung reagiere ich nur mit einem Lächeln. Sie ist stets freundlich, solange man sich von ihrem Traumprinzen fern hält, aber ich muss nicht unbedingt ein Gespräch mit ihr anfangen.
Ich versuche meinen gesamten Müll möglichst in meine kleine Hand zu stopfen und verschließe meinen Spind wieder.
Da sehe ich Armin in meine Richtung gehen, gefesselt mit seinen Augen an seiner PSP und konzentriert zusammengepressten Lippen. Ich will ihn nicht stören, da er manchmal wirklich sauer wird, wenn er wegen jemandes Gerede oder körperlichen Aktionen verloren hat. Unauffällig bahne ich mir den Weg an ihm vorbei, in Richtung Mülleimer hin. Kurz bevor ich dort ankomme, fällt mir die Hälfte des Mülls aus meiner Hand raus.
Ganz toll!
Ich hocke mich zu Boden, um alles wieder einzusammeln und sehe dabei aus dem Augenwinkel, wie sich jemand in heller Kleidung mir annähert.
"Brauchst du Hilfe?", fragt mich derjenige.
"Ach, nein", lehne ich freundlich ab, "meine Hand ist einfach zu klein dafür gewesen aber ich nehme jetzt beide und dann hat sich das erledigt."
"Okay."
Nach dieser Antwort erwarte ich, wieder Schritte zu hören, da die Person weitergeht aber das tut sie nicht. Mit vollen Händen stehe ich auf und werde das Zeug endlich im Mülleimer los. Als ich mich umdrehe, entdecke ich die hilfsbereite Person. Ich dachte es wäre Lysander, doch es ist Nathaniel, der ein Klemmbrett in der Hand hält und mich anschaut.
"Oh, hallo!", begrüße ich ihn mit einem kleinen Lächeln. Er lächelt zurück. Beim letzten Mal hat er das nicht getan.
"Hallo." Er zieht sein Klemmbrett etwas vor seinen Oberkörper, wendet seine Augen aber nicht von mir ab.
Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu und frage: "Wie geht es dir?"
"Gut soweit", antwortet er mit einem Nicken, "und dir?"
"Freut mich, mir auch."
"Schön ... Hast du den Klassenraum aufgeräumt?"
Ich beginne mich peinlich berührt zu fühlen. Hatte ich wirklich so viel Müll in der Hand, dass man annehmen konnte, das stammt aus einem ganzen Raum von mehreren Schülern?!
"Ähm, aufgeräumt ja ...", gebe ich zu, "Aber meinen Spind und nicht den Klassenraum."
Seine Augen vergrößern sich für einen kurzen Moment, woraufhin er beginnt leise in sich hinein zu lachen.
"Dabei ist gerade mal die zweite Woche Schule", merkt er an.
Ich seufze: "Ich weiß ..."
Um das Thema zu wechseln und von meiner Unordentlichkeit abzulenken, frage ich ihn, was es ist dem Klemmbrett auf sich hat.
"Es sind Bestellungen angekommen und ich muss nachschauen, ob auch wirklich alles da ist."
"Klingt aufregend!", reagiere ich ironisch.
Er verdreht grinsend die Augen. "Ich muss dann jetzt auch weiter."
Ich nicke ihm bestätigend zu.
"Aber noch eine Frage, Lisa."
Verwundert ziehe ich meine Augenbrauen hoch und warte darauf, dass er seine Frage ausspricht.
"Ich weiß, es ist jetzt schon ein paar Tage her, aber ..."
Er blickt kurz aus dem großen Fenster raus, das sich direkt neben uns befindet. Sein blondes Haar schimmert dabei durch das Licht von draußen. Er schaut mich wieder an und beendet seine Frage: "Verrätst du mir noch deine Antwort, auf meine letzte Frage? Durch Melodys unerwartetes Auftauchen, hast du nicht zu Ende gesprochen und ich muss zugeben, dass ich ... d-dass ich da noch ein paar mal drüber nachgedacht habe."
Ich neige meinen Kopf schief zur Seite und schenke ihm einen prüfenden Blick. Ich glaube, das ist ihm gerade alles andere als leicht gefallen. Das kurze Stottern zwischendurch und sein kurzer Biss auf die Unterlippe vermitteln mir das. Zwar habe ich mir gedacht, dass er darüber nochmal nachgedacht hat aber ich habe nicht wirklich damit gerechnet, dass er mich auch nochmal darauf anspricht.
"Nathaniel, ich weiß, dass wir uns kaum kennen ... Aber du hast dir diese Besorgtheit nicht eingebildet. Ich bin davon ausgegangen, dass du krank warst und deswegen nicht zur Schule erschienen bist aber am Tag darauf, als ich dich zufällig in der Bibliothek getroffen habe, hat Mr. Faraize so komisch mit sich selbst gesprochen, als er die Anwesenheit überprüft hat und deinen Namen aufgerufen hat. Da habe ich mich gefragt, was ihm wieder eingefallen ist ... Ich weiß auch nicht. Ich kann mir das selbst nicht erklären."
Ich habe zwischendurch etwas schneller gesprochen, damit ich nicht ins Nachdenken gerate und ihn plötzlich wieder in Ungewissheit stehen lasse, weil ich gerade nicht so viel Mut gesammelt habe, wie letzte Woche beim Kakao trinken in der Bibliothek.
Seine Augen sehen abwechselnd zwischen meinen hin und her. Mir wird langsam warm, da er nichts sagt, sondern mich einfach nur anschaut. Zum Glück habe ich noch dran gehangen, dass ich mir das selbst nicht erklären kann, denn so erwarte ich keine weitere Nachfragerei.
"Okay", beginnt er zu antworten, "das wundert mich ein wenig. Aber es freut mich auch ... Mir hat noch nie jemand wirklich gesagt, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat."
Er lächelt mir zu und ich zucke lächelnd mit den Schultern. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
"Danke", sagt er noch anschließend und verabschiedet sich von mir, um sich weiter an seine Arbeit zu machen.
Zurück lässt er eine leicht errötende Lisa, die sich ihre Hände an die Wangen legt, mit dem Blick auf den Boden ausgerichtet. Ich hoffe, dass das ein entscheidender Schritt gewesen ist.

"Lisalein, wie sieht's aus? Ab ins Café?", schlägt Alexy nach Unterrichtsschluss vor und legt seinen Arm um meine Schultern. Mit einem Schmollmund schaut er mich bittend an.
"Okay, okay", lache ich und er drückt mich erfreut an sich ran.
"Aber ohne mich", lehnt Armin ab. Sein Bruder verdreht daraufhin genervt die Augen.
Rosalia schließt sich an: "Ich komme auch mit, meine Lieben!"
"Jetzt brauchen wir dich sowieso nicht mehr dabei, Armin", teilt ihm Alexy mit rausgestreckter Zunge mit. Dieser macht sich allerdings nichts draus, verabschiedet sich und geht in die andere Richtung.
"Ein beste-Freunde-Treffen! Sehr schön!", freut sich Rosalia.
Als wir beim Café ankommen, setzen wir uns an einen der freien Tische draußen und bestellen jeweils das, worauf wir gerade am meisten Lust haben: Rosalia drei Stücke Schokokuchen und einen Kaffee, Alexy einen XXL-Keks mit einem Latte Macchiato und ich ein Stück meines heißgeliebten Käsekuchens und noch dazu eine Tasse warmen Karamelkakao mit Sahne.
Während wir auf unsere Bestellung warten, geraten wir ins quatschen.
"Wie läuft es mit Leigh?", frage ich Rosalia neugierig. Alexy lässt sich ebenfalls interessiert in seinen Stuhl zurückfallen.
"Super! Er hat mir gestern sogar einen Strauß Rosen vorbeigebracht. Nicht nur rote Rosen, sondern auch Weiße und Pinke! Oh, du hättest ihn damit vor mir sehen müssen, Lisa!", schwärmt sie mit gefalteten Händen, die sie an ihre Wange geschmiegt hat. Ich muss zugeben, dass mich das neidisch macht. Dennoch gönne ich es keiner Anderen so sehr, wie ich es Rosalia gönne. Leigh und sie sind wie füreinander geschaffen! Auch wenn die beiden schon einmal kurz vor einem Liebesaus standen, als ich gerade mal knappe zwei Monate auf der Schule war und schon da mit hineingezogen wurde, habe ich direkt von Anfang an sehen können, dass dieses Paar, trotz ihrer kleinen Streitigkeit, nicht ohne einander kann. Ich habe damals zwischen den beiden vermittelt, da Leigh nicht befugt ist, das Grundstück der Schule zu betreten, wenn er kein Schüler ist. Es war eine ganz schöne Lauferei aber wenn ich jetzt Rosalias verliebt lächelndes, errötetes Gesicht sehe, war es das voll und ganz wert.
"Das glaube ich dir auf's Wort!", antworte ich ihr mit einem Lachen.
"Wirklich süß, der Leigh", stimmt Alexy grinsend zu und Rosalia gibt ihm den drohenden Zeigefinger zurück. "Such dir jemand eigenes, Schätzchen!"
"Ach, ich hab da ja schon jemandem im Blick."
Im selben Moment, als Alexy seinen Satz zu Ende gesprochen hat, schauen Rosalia und ich uns gegenseitig schockiert an, dann Alexy.
"Wie? Kennen wir ihn?", hacke ich auf der Stelle nach. Rosalia beugt sich über den Tisch in Alexys Richtung, um auch keine seiner Informationen zu verpassen. Dieser amüsiert sich lieber über unsere Reaktionen, anstatt uns Antworten zu liefern. Enttäuschung macht sich in unseren Blicken breit, die Alexy schließlich bemerkt und mit der Sprache rausrückt: "Schon gut, schon gut", beruhigt er uns, "ich finde unseren guten Freund Kentin ganz süß."
Bei dem Namen stockt mir der Atem. Rosalia hingegen kann ihre Freude, über diese Neuigkeit, nicht mehr im Zaum halten und schreit drauf los, woraufhin sie aufspringt und Alexy quietschend umarmt. Eigentlich freue ich mich auch darüber, dass Alexy an jemandem Interesse gefunden hat und es wäre schön zu sehen, wenn sich diese Schwärmerei in Liebe verwirklicht aber ich muss mich auch direkt wieder an Kentins Kussversuch erinnern.
"Ist alles okay, Lisalein?", erkundigt sich Alexy mit einem besorgten Blick und auch Rosalia ist mein stilles Verhalten nicht entgangen. Sie beginnt mich mit zusammengekniffen Augen zu mustern.
Blitzartig entscheide ich mich dazu, Alexy nichts von Kentins Aktion zu erzählen. Vielleicht waren das wirklich nur seine alten Gefühle für mich, die in dem Moment plötzlich wieder aufgebrodelt sind und er hat sich von ihnen leiten lassen. Ich möchte diesen Augenblick jetzt nicht zerstören.
"Alles bestens! Ich habe nur gerade leichte Kopfschmerzen verspürt."
"Bestimmt von Rosalias hemmungslosem Geschrei hier!"
"Tzz", winkt Rosalia ab, während Alexy und ich gemeinsam darüber lachen.
Unsere Bestellungen kommen und wir verbringen den restlichen Nachmittag gemeinsam und schwerelos.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt