28. Aussicht auf bessere Zeiten?

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Nach dem Unterricht warte ich darauf, dass Nathaniel fertig mit dem Kontrollieren von Bestellungen neuer Schulbücher ist. Gelangweilt aber nachdenklich, sitze ich vor dem Schulgebäude auf einer Mauer und lasse die Füße baumeln. Es sieht so aus, als wären alle aus der Klasse bereits weg.
"Lisa?"
Oder doch nicht.
"Melody. Was gibt's?"
Unsicher sieht die Brünette an mir vorbei. Ich neige meinen Kopf etwas zur Seite.
"I-Ich ..."
Ein Windzug lässt ihre welligen Haare ein wenig tanzen. Nervös umkreist sie mit einem ihrer Daumen die entgegengesetzte Handfläche.
"Ich muss mich noch bei dir entschuldigen ..."
Ich löse meinen Blick nicht von ihr. Sie soll sehen, dass ich ihr all meine Aufmerksamkeit schenke.
"Es tut mir leid, dass ich Nathaniel, in Bezug auf dich und Castiel, angelogen hatte, weil ich eifersüchtig war ..."
Meine Reaktion abwartend richtet sie zögernd ihre Augen auf mich aus. Ich beginne sie anzulächeln.
"Danke", antworte ich sanft.
Sie lächelt zurück und ich erkenne, wie sie leicht rot wird. Es scheint, als wäre sie erleichtert.
"Ich hoffe du bist mir da nicht zu nachtragend ..."
Eigentlich gehöre ich zum Teil dieser Sorte Mensch an aber ich habe gerade viel wichtigeres im Kopf, als Melodys Lüge von vor knapp einem Monat.
"Nein", beruhige ich sie kopfschüttelnd, "mach es nur nie wieder, dann ist alles in Ordnung."
Nun grinst sie. Sie nickt zustimmend und verabschiedet sich noch, ehe sie sich auf den Weg nachhause macht.
Wo bleibt Nathaniel denn nur? Er sagte, er würde sich beeilen und er war der Erste, der den Klassenraum verlassen hat. Ich seufze. Oh man ... Ich bin viel zu ungeduldig, ich sollte mich ein wenig beherrschen. Stattdessen kann ich anfangen zu überlegen, was ich für Nathaniel tun kann. Er wird bald Achtzehn ... Dann wäre er komplett unabhängig und könnte ausziehen ... Naja, bis zu seinem Geburtstag sind es trotzdem noch immer gute vier Monate. Das ist zu lang und somit keine Lösung. Was, wenn ich selber das Gespräch mit seinem Vater suchen würde? Versuchen auf ihn einzureden, dass es so nicht weitergehen kann? Mhm ... Wem mache ich was vor, dafür habe ich nicht mal ansatzweise genug Mut. Amber hat es zudem selbst gesagt, dass es schlecht für mich aussieht, dass ich jemals wieder einen Fuß in dieses Haus setzen kann. Keine besonders gute Grundlage für eine Beziehung ... Aber auch kein Hindernis, dann kommt Nathaniel eben nur noch zu mir! Ich bin froh, dass er sich doch noch dafür entschieden hat, heute Abend noch einmal bei mir zu bleiben. Das war ganz sicher nicht leicht für ihn.
Ich wünschte wirklich, dass er nie mehr wieder nachhause geht ...
Auf einmal lassen sich zwei große Füße, die in Schuhen stecken, vor mir erkennen. Ich habe die ganze Zeit über zu Boden gesehen, was mir bis zu dem Augenblick überhaupt nicht aufgefallen ist. Ich blicke hoch und sehe meinen heißersehnten Freund vor mir stehen. Er lächelt verlegen und streicht sich dabei mit der Hand über den Nacken.
"Tut mir leid, dass du so lange warten musstest. Ich habe mich echt beeilt!"
"Kein Problem", kichere ich, "das glaube ich dir!"
Ich freue mich ihn zu sehen. Ich spreize meine Lippen, um mein Verlangen nach einem Kuss von ihm auszudrücken. Seine Wangen nehmen einen blassen rosafarbenen Ton an, als er damit konfrontiert wird, nimmt aber festentschlossen mein Gesicht in seine warmen Hände und stillt meinen Hunger, indem er seine Lippen, wenn auch nur kurz, zärtlich auf meine legt. Im selben Moment zieht wieder ein Windzug vorbei, wodurch ein paar meiner Haarsträhnen beginnen seine Nase zu kitzeln. Lachend lösen wir uns wieder voneinander. Er sieht gerade so glücklich aus! Es ist wundervoll.
"Auf geht's zu mir nachhause!"
Ich springe runter von der nicht allzu hohen Mauer und gehe voran. Nathaniel holt mich, aufgrund meiner Zwergenschritte, innerhalb von Millisekunden wieder ein. Durch seine 1,87 Meter Körpergröße kann ich ihm mit meinen 1,53 Metern nicht so schnell entkommen. Zum Glück. Ich weiß nämlich jetzt schon, dass ich nicht mehr ohne ihn sein möchte und dabei spricht nicht die Frischverliebte aus mir.

Als wir bei mir ankommen, empfängt uns diesmal mein Vater.
"Hallo Prinzessin", begrüßt er mich noch herzlich, ehe er in einen ernstzunehmenderen, herrischen Ton wechselt, "und hallo Nathaniel."
"Guten Tag, Sir."
"Um Sieben gibt es Essen, ich koche heute! Es gibt Lasagne."
"Uh, lecker!", freue ich mich. Papas Lasagne ist nicht zu übertreffen.
"Magst du Lasagne, Nathaniel? Oder bist du Vegetarier?"
Hastig schüttelt der Blonde den Kopf, wobei seine Haare nur so hin und her fliegen.
"N-Nein, nein, ich bin kein Vegetarier und ich mag Lasagne!"
Ich kann mir ein leises Kichern nicht verkneifen.
"Ahhh, sehr gut!", lobt ihn mein Vater und klopft ihm zweimal auf die Schulter. Nathaniel ist ein Riese im Gegensatz zu dieser Familie. Dennoch muss mein Vater sich nicht auf Zehenspitzen stellen, um Nathaniels Schultern zu erreichen. Bei mir sähe das wieder ganz anders aus.
Damit verlassen wir den Flur und gehen rauf in meine Zimmer. Nachdem ich die Tür aufgeschlagen habe, greife ich direkt nach meinem Laptop. Ich habe die Idee!
"Was hast du vor?"
Ich sehe zu Nathaniel, der noch irritiert im Türrahmen steht. Mit einer kurzen Handbewegung winke ich ihn zu mir an den Schreibtisch rüber.
"Setz dich auf den Stuhl", biete ich ihm mit einem Lächeln an.
"Ä-Ähm ... Und was ist mit dir?"
Zögernd zieht er den Stuhl etwas vom Tisch weg.
"Ich kann stehen."
"Nein ..."
"Doch! Jetzt mach schon!"
Nach einer Schweigeminute, die mir deutlich länger vor kam, gibt er nach und lässt sich auf dem weißen Lederdrehstuhl nieder. Mein Laptop ist noch dabei hochzufahren.
"Sagst du mir jetzt, was du machen willst?"
"Ich will nur etwas nachgucken, mir ist eine Idee gekommen."
"Verrate sie mir doch jetzt schon?"
Ich grinse ihn schelmisch an. "Nö."
Er runzelt die Stirn, während ich anfange zu lachen. Es ist amüsant, wenn ich ihm nicht verrate, was in mir vorgeht. Sein trotziger Blick ist goldwert. Ein melodischer Willkommenston erklingt, als mein lahmer Laptop es geschafft hat, bereit zur Nutzung zu sein.
"Hm", murmel ich, "jetzt will ich doch sitzen!"
"O-Okay", stottert Nathaniel, als müsse er sofort aufspringen um schnell zu fliehen. Er ist gerade dabei aufzustehen, da halte ich ihn auch schon wieder auf, indem ich mich prompt auf seinen Schoß setze. Um seine Reaktion zu sehen, schaue ich leicht über meine Schulter hinter mich.
"Ist das so in Ordnung?", frage ich vorsichtshalber.
Er antwortet mir nicht. Stattdessen läuft er so rot an, dass er nur noch zur Seite sieht. Mit einem leichten Nicken signalisiert er mir, dass er trotzdem kein Problem damit hat. Es ist wohl das erste Mal, dass ein Mädchen auf seinem Schoß sitzt. Ich muss schmunzeln. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich das nicht geahnt habe.
"L-Lachst du mich e-etwa aus?!"
"Nein, ich finde es nur süß, wie rot du gerade bist!"
"W-Was ..."
"Du solltest dich sehen!"
"W-Was kann ich denn d-dafür, wenn du dich e-einfach so auf ... auf mich drauf setzt ..."
Einzelne blonde Strähnen verdecken von Mal zu Mal mehr sein Gesicht, während ich ihn weiter ansehe. Ich kann noch immer nicht aufhören zu grinsen.
"Lisa ..."
"Jaaa?", antworte ich melodisch, während ich mich wieder dem Laptop zuwende, um den Internetbrowser zu öffnen.
"Ich wollte dass du aufhörst mich anzustarren ..."
"Schon geschehen, Glück gehabt!"
Schließlich lässt er seinen Kopf auf meiner rechten Schulter nieder und umarmt zaghaft meine Hüfte.
Ich suche nach einer Nummer für das Jugendamt, die für unseren Stadtteil zuständig ist.
"D-Das Jugendamt?!", reagiert Nathaniel geschockt, als er sieht, was ich tippe.
"Ja! Die können uns weiterhelfen!"
"Das ... Lisa!"
"Was ist?"
"Das können wir nicht machen!"
Verwundert drehe ich mich wieder zu ihm. Ich ziehe eine meiner Augenbrauen hoch.
"E-Echt nicht!"
"Achja?"
"Ja!"
"Und was hast du dann für eine bessere Idee?"
"I-Ich weiß nicht aber das Jugendamt muss man da nun wirklich nicht mit reinziehen."
Ich löse meine Arme vom Tisch, wo ich sie zuvor abgelegt hatte und greife mit beiden Händen nach seinem Gesicht, wobei ich meine Sitzhaltung so ändere, dass ich ihm ohne weiteres direkt in die Augen schauen kann. Mit der einen Hand drücke ich nicht so fest, wie mit der anderen, um ihm nicht wehzutun.
Ich muss ihn zur Besinnung rufen!
"Nathaniel! Denk doch mal nach!"
Er sagt nichts, sieht mich nur an.
"Das von gestern war keine Bestrafung, die mit Fernsehverbot zu vergleichen ist! Dein Vater hat dich geschlagen ..."
Vorsichtig erhebe ich eine meine Hande von seiner schadengenommenen Wange, um zu sehen, ob Überreste von meinem Concealer dort dran sind. Tatsächlich! Demonstrativ zeige ich diese ihm.
"Ich habe dich nicht geschminkt, weil ich gerade ein Model brauchte, sondern um die Rückstände von diesem Schlag möglichst zu vertuschen ... Das ist auch kein Ausrutscher gewesen, sondern es läuft schon länger so bei dir ab. Da ist das Jugendamt die beste Lösung!"
"Du übertreibst ..."
"Nicht dein Ernst, oder?"
"Man kann doch auch erstmal versuchen mit meinem Vater normal zu reden. Er würde mich ja nicht gleich umbringen!"
"Hältst du reden nicht auch für etwas sehr naiv?"
Nachdenklich sieht er woanders hin, als in meine Augen. Ich will nicht, dass er den Blickkontakt unterbricht, weswegen ich seinen Kopf wieder leicht anhebe. Langsam lege ich eine Hand in seinen Nacken und streichle ein wenig durch seine dort liegenden Haare.
"Nath, ich übertreibe nicht", spreche ich sanft, "aber du untertreibst. Ich will doch nur dein Bestes, so wie du es auch für mich willst."
"Ich weiß, dass das deine Absicht ist ..."
"Ich weiß, dass das Jugendamt ein großer Schritt ist aber er ist notwendig! Ich werde nicht warten, bis du volljährig bist und ausziehen kannst. Nicht nach alldem, was ich mit anschauen musste."
"T-Tut mir leid ..."
"Das muss es nicht."
Ich nähere mich seinem bedrückten Gesicht, um ihm einen kleinen Kuss auf den Mund zu geben.
"Ich rufe da gleich an, sobald ich die Nummer habe."
"Und du denkst, das ist wirklich der einzige Weg?"
"Ja. Der Weg, der wohl am ehesten Wirkung mit sich bringt."
"Okay ..."
Schnell gebe ich ihm noch einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich wieder meiner Recherche widme und Nathaniel erneut seinen Kopf auf meiner Schulter herablässt. Ich konnte dabei noch ein leises Seufzen von ihm vernehmen.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt