30. Ein Besuch mit Folgen

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In allerletzter Sekunde trete ich Kentin mit voller Wucht auf den Fuß.
Brenzliche Situationen sind nichts Neues für mich aber das war wirklich knapp. Unsere Lippen hat nur noch gefühlt ein Millimeter getrennt, ich habe seinen Atem bereits auf meiner Oberlippe spüren können.
Er schreit auf, lässt mich los und entfernt sich einen Schritt von mir. Als ich sein schmerzerfülltes Gesicht sehe, bekomme ich Mitleid.
"T-T-Tut mir leid!"
Er stützt sich mit den Armen auf seinen Oberschenkeln ab. Dabei erkenne ich, wie nass er bereits ist. Sein weißes Hemd ist komplett durchsichtig und seine Haare haben sich von hellbraun zu dunkelbraun verfärbt und hängen glatt an ihm runter.
"Geht es?"
Ich wollte ihm nicht weh tun aber noch viel weniger wollte ich, dass er mich einfach so küsst. Das hätte das totale Desaster gegeben! Was hat er sich nur dabei gedacht ...
"Ja ...", stöhnt er und richtet sich wieder auf.
"Gut ..."
Mit ernstem Blick sieht er auf mich herab.
"Nathaniel kann sich glücklich schätzen", murmelt er.
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch, um eine Erklärung dafür von ihm zu bekommen.
"Ich würde es toll finden, wenn meine Freundin so schlagfertig ist, sobald ein anderer Typ versucht sie zu küssen."
Er spricht leise, kaum lauter als der Klang des Regens. Ich merke schon gar nicht mehr, wie nass ich mittlerweile eigentlich bin.
"Nun zieh nicht wieder so ein Gesicht", schmunzelt er und streichelt mir einmal über die Wange, "manchmal verliere ich eben die Beherrschung bei dir. Das bin ich selbst Schuld."
Ich würde mir etwas vormachen, wenn ich leugnen würde, dass ich Kentin nicht süß finde, wenn er so sanft mit mir spricht und umgeht. Welches Mädchen mag das nicht? Dennoch würde ich mich gerade am liebsten tausendmal bei ihm dafür entschuldigen, dass ich seine Gefühle für mich noch nie erwidert habe und auch nie werde. Davon könnte er sich aber auch nichts kaufen, weswegen ich dieses Bedürfnis unterdrücke.
"Ich gehe jetzt mal lieber nachhause."
Ich nicke.
"Weißt du was?"
"Ähm ... Was denn?"
"Ich finde es erstaunlich, wie du immer ganz unbewusst so einigen den Kopf verdrehst. Noch viel heftiger finde ich es aber, dass du das bei mir schon seit Jahren schaffst."
Er sagt das einfach so daher, als ob es nichts wäre. Früher hätte er vermutlich im Leben nicht mal daran gedacht, mir sowas ins Gesicht zu sagen aber er hat wirklich an Selbstbewusstsein gewonnen. Für mich ist das erstaunlich.
"Ich würde dich darum bitten damit aufzuhören aber du merkst ja nicht mal, wenn du es tust", lacht er leicht und tätschelt mir den Kopf. Ich spüre, wie meine Wangen ein wenig erhitzen.
"Jetzt schon wieder."
Er lächelt sanft, während er mir in die Augen sieht. Seine muskulösen Arme legt er noch einmal um mich, bevor er dann in die andere Richtung umkehrt und mich zurücklässt. Ich sehe ihm noch einen Moment nach und gehe dann weiter zu mir nachhause.

"LISA!", schreit meine Mutter auf, als ich das Haus betrete, "wie siehst du denn aus, Kind?!"
"So scheiße?", lache ich.
"Meine Güte! Geh schnell rauf und zieh dich um! Wage es ja nicht krank zu werden, so kurz vor deinem Achtzehnten Geburtstag!"
"Ja, ja."
Man könnte glatt meinen, dass meine Mutter sich dieses Jahr mehr auf meinen Geburtstag freut, als ich mich selber.
Ich wechsle bereits in gemütliche Schlafsachen, obwohl noch nicht einmal die Abendstunden angebrochen sind. Ich föhne meine Haare und lasse mich anschließend, mit meinem Handy in der Hand, seufzend auf mein Bett fallen. Nathaniel hat mir bereits geschrieben.
Nathaniel 💘: Ich hoffe du bist noch rechtzeitig Zuhause angekommen! Der Regen sieht gewaltig aus.
Ich: Leider nicht :(
Es ist süß, wer er sich immer um mich sorgt.
Ob ich ihm auch so unbewusst den Kopf verdreht habe? Wie auch immer ich geschafft habe, dass er sich in mich verliebt ... Ich bin mehr als glücklich darüber, dass es passiert ist.
Hm ... Ob ich ihm sagen sollte, dass Kentin mich beinahe geküsst hat? Ich möchte ihm nichts verheimlichen aber andererseits möchte ich ihm auch nicht unnötige Sorgen bereiten oder ihn in Aufruhr bringen. Es reicht, dass Castiel das bereits macht. Bei ihm habe ich aber irgendwie das Gefühl, dass er sich viel mehr einen Spaß daraus macht. Dass er sich eigentlich gar nichts mehr aus mir macht, sondern bloß Nathaniel hin und wieder eins reinwürgen will. Das wäre dann eine Sache unter ihnen, in die ich nur mit reingezogen werde.
Der Klingelton meines Handys reißt mich aus den Gedanken.
"Alexy" und ein Bild von ihm und mir im Hintergrund, wie er mich an sich quetscht und dabei vergnügt lacht, leuchtet auf. Verwundert gehe ich ran.
"Hallo?"
"Hey Kleine!", begrüßt er mich glücklich.
"Was gibt es?"
"Kann ich zu dir kommen? Armin nervt."
"Ja ... Klar doch!"
"Das hört sich aber nicht so sicher an", schmollt er, "wenn du was anderes vorhast, sag nur!"
"Nein, ich war nur überrascht", lache ich beschämt.
Er lacht ebenfalls in das Mikro.
"Klasse! Ich bin in zwei Minuten da!"
"Oka- ... Warte mal, was?!"
"In zwei Minuten!"
"Wir wohnen aber keine zwei Minuten voneinander entfernt?!"
"Ich bin auch schon auf dem Weg", verkündet er mit einem breiten Grinsen in der Stimme.
Völlig überstürzt kann ich nicht anders, als die Kinnlade runterfallen zu lassen.
"Ich wusste halt, dass auf dich Verlass ist!"
"J-Ja, immer ..."
"Das ist meine beste Freundin! Bis gleich!"
Ich komme gar nicht mehr dazu, mich ebenfalls zu verabschieden, denn er hat bereits aufgelegt. Ich springe auf, um mich wieder umzuziehen. Als ich gerade mal den Schrank geöffnet habe, klingelt es bereits an der Tür.
Das waren keine zwei Minuten!
"LISA", ruft mich meine Mutter, "ALEXY IST HIER!"
"KOMM RAUF, ALEXY!"
Eilig versuche ich zumindest eine andere Hose, als die Pyjamahose, zu wechseln, doch Alexy ist schnell wie der Wind und platzt in mein Zimmer rein.
"Na holá", scherzt er, als er mich in Unterhose entdeckt und wie ich gerade versuche, mir eine Leggins anzuziehen.
Ich erschrecke mich, woraufhin ich das Gleichgewicht verliere und prompt auf meinem Hinterteil lande.
"Man, du Idiot!", lache ich.
"Wäre ich Nathaniel, wärst du jetzt bestimmt knallrot!"
Er kichert und ich ziehe einen Schmollmund. Er hat recht. Schnell ziehe ich mir die Leggins über und stehe auf, um Alexy mit einer Umarmung zu begrüßen. Er umarmt mich erfreut zurück.
"Gibt es eigentlich was neues von ihm in punkto Familie?"
Nathaniel weiß, dass ich Alexy und Rosalia in die Sache miteingeweiht habe. Erst war er nicht sonderlich begeistert aber hat schnell eingesehen, dass die beiden nunmal meine engsten Freunde sind und sie auch sonst kein Wort darüber zu anderen verlieren würden und werden.
Ich lasse Alexy los und ziehe ihn mit auf mein Bett, damit er sich hinsetzt.
"In ein paar Tagen wird vor einem Richter festgelegt, dass Nathaniel ab sofort für sich selbst verantwortlich ist. Er ist bereits auf der Suche nach einer Wohnung, die er dann auch direkt kaufen wird."
"Direkt? Du hast dir da ja wirklich einen reichen Kerl geangelt, alle Achtung!"
"Hör auf", kichere ich, "aber ich bin froh, dass alles einigermaßen reibungslos geklappt hat."
Mein Lachen verstummt, als ich noch einmal an den letzten Abend, bei ihm Zuhause, zurückdenke.
"Trotzdem werden mich seine Eltern vermutlich für den Rest meines Lebens hassen."
"Sieht schlecht aus für eine Hochzeit", grinst er schief.
Ich drücke ihn kurz weg, wobei ich lächelnd flüstere: "Dödel ..."
"Ich bin jedenfalls stolz auf dich! Du bist eine Heldin!"
"Naja ..."
"Ich meine das ernst! Auch wenn du vielleicht nur einen Anruf getätigt hast, war es das Entscheidende! Außerdem hast du deinen Freund ja auch die ganze Zeit über unterstützt."
"Das stimmt."
"Man kann das als selbstverständlich ansehen, weil ihr in einer Beziehung seid aber ich sehe das anders. So gut wie nichts ist selbstverständlich!"
Er klopft mir lobend auf die rechte Schulter, wobei er mich angrinst.
"Danke, Alexy!"
Der blauhaarige Kerl lässt sich seufzend nach hinten fallen.
"Ich wäre auch gerne mal wieder in einer Beziehung", gibt er zu.
"Mit der Zeit ergibt sich da sicher was!"
"Aber du weißt ja, dass ich nicht mit irgendjemandem zusammen sein will ..."
Achja ... Oh man ... Wenn er wüsste, was eben noch passiert ist. Ich kann ihm das aber einfach nicht sagen, erst recht nicht, wenn er jetzt schon so traurig dreinsieht.
"Trotzdem weiß ich, dass Kentin eben ein Frauenheld ist und sich nichts aus mir macht."
"Wer weiß, das kann sich ja noch ändern?"
"Oh, Lisa", lacht er auf, "das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?"
"Doch, eigentlich schon."
Ich lasse meinen Kopf auf seinem Bauch nieder und lege mich auf den Rücken. Er streicht mir liebevoll durch mein dunkelbraunes Haar.
"So eifersüchtig wie er guckt, wenn er dich mit Nathaniel zusammen sieht, bezweifle ich das doch stark. Dennoch danke, dass du mir Mut machst."
"Ähm ... Vielleicht könntest du ja mal versuchen mehr in die Offensive bei ihm zu gehen?"
"Es kommt mir gerade so vor, als hätten wir beide die Rollen getauscht!"
Wir fangen gleichzeitig an zu lachen. Es stimmt. Normalerweise bin ich diejenige, die zweifelt während Alexy versucht mir neue Möglichkeiten und Wege vor Augen zu führen.
"Naja, was soll's", schweift er vom Thema ab, "bald hast du Süße ja Geburtstag!"
"Ja", verdrehe ich grinsend die Augen.
"Das muss der schönste Tag deines Lebens werden, hörst du!"
"Okay, Mama."
Ich muss kichern, worauf er mir einen leichten Klaps auf den Kopf gibt.
"Ey!", jammere ich.
"Das hast du nun davon!", belehrt er mich und fährt fort: "Also, wie hast du den Tag geplant?"
"Naja ..."
"Oh nein, Lisalein!"
Abrupt richtet er sich zum sitzen auf und ich rutsche mit dem Kopf runter, auf seinen Schoß. Prüfend sieht er mich von oben herab an.
"Bitte sag mir, dass du zumindest schon eine Idee hast!"
"Ähm ... Nein?"
"LISA! Wenn Rosalia hier wäre, die würde an die Decke gehen!"
"Tut mir ja leid aber ich hatte einfach ... nicht so den Kopf dafür, in letzter Zeit."
Er seufzt und legt seinen Kopf in den Nacken. Schließlich sieht er mich wieder mit einem Lächeln auf den Lippen an.
"Dann überlass das einfach mir!"
"Oh nein, nein, nein, nein, NEIN!"
Abrupt verschwinde ich von seinem Schoß und setze mich wieder normal hin.
"Wieso denn nicht?!"
"Ich kenne dich! Mein achtzehnter Geburtstag muss nicht mit meiner Hochzeit vergleichbar sein!"
"HALLO?! Das ist ein unvergesslicher Tag, den du vor allem nur einmal erlebst!"
"So wie jeden anderen Geburtstag auch."
Er packt meine Schultern und schüttelt mich vor und zurück, als würde ich von allen guten Geistern verlassen sein.
"Da sind wir schon beste Freunde und du hast trotzdem noch immer nicht meine Denkweise übernommen!"
"Ich sträube mich dagegen", lache ich und strecke ihm die Zunge raus.
"Wie dem auch sei, du kannst mir nichts verbieten!"
Er lässt mich wieder los und grinst siegreich vor sich hin.
"A-lex-y ..."
Verzweifelt klatsche ich mir die Hände an den Kopf.
"Vertrau mir!"
"Ab-"
"Kein aber!", fordert er und verbietet mir den Mund mit seinem Zeigefinger. "Man könnte glatt meinen, dass du in dem Punkt mit Armin verwandt bist!"
Ich lache darüber. Ich kann Armin im nachhinein schon noch besser verstehen, weshalb er sich mit seinen Videospielen in seinem Zimmer zurückgezogen hat, während um ihn herum die Sau rausgelassen wurde. Ich bin auch nicht scharf darauf in meinem Haus eine Geburtstagsfeier zu schmeißen. Es ist überhaupt nicht geeignet dafür! Alleine wegen dem Teppichboden ... Wenn sich einer mit dem Alkohol übernimmt, habe ich den Salat.
"Es steht fest! Ich gehe gleich runter und erzähle deiner Mutter davon, die wird mir recht geben!"
Er zwinkert mir zu, ehe er tatsächlich die Treppe runter, ins Wohnzimmer, rennt. Jetzt ist es zu spät ... Dabei will ich doch gar nicht ...
Ich vernehme ein überdrehtes Quieken meiner Mutter und ein erheitertes Lachen meines besten Freundes.
Nach meinem Handy gegriffen, beginne ich eine Nachricht an Nathaniel zu schreiben.
Ich: Sieht so aus, als würde ich meinen Geburtstag feiern ...
Es dauert keine Minute, da bekomme ich auch schon eine Antwort.
Nathaniel 💘 : Ist doch super! :)
Nicht du auch noch ...
Da kann ich nur hoffen, dass meine Motivation dafür, in den nächsten Tagen, noch steigt.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt