11. Armins und Alexys Party

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Samstag Abend sollte schneller kommen, als gedacht. Noch etwas durchwühlt von den letzten Schultagen, vor allem meiner kleinen, ergriffenen Initiative gegenüber Nathaniel, ziehe ich mich an. Ich wähle eine schwarze Hose, in Kombination mit einem roséfarbenen Top, das knapp über der Brust mit Spitzen verziert ist. Vor dem Spiegel, mustere ich mich noch einmal ganz genau. Ein paar kleine Krümel von der Mascara entferne ich unter meinen Augen, meine Haare durchkämme ich nun schon zum vierten Mal und meine Lippen werden noch einmal mit Labello beschmiert, damit sie auch ja nicht trocken sind. Vermutlich mache ich das alles hier gerade umsonst. Nathaniel wird bestimmt nicht auftauchen. Ich wünschte, ich hätte seine Handynummer. Dann hätte ich ihn wenigstens noch fragen können, bevor ich mir die Mühe gemacht habe, gut auszusehen. Naja, hätte, hätte, Fahrradkette.

Mein Vater war so lieb und hat sich dazu bereit erklärt, mich zu fahren. Zwar wohnen die verspäteten Geburtstagskinder nur vier Bushaltestellen entfernt, doch er bestand darauf.
"Tschüss, Papa!", verabschiede ich mich, nachdem ich aus dem Auto gestiegen bin.
"Lass im Laufe des Abends von dir hören. Wenn du abgeholt werden willst oder woanders schläfst. Pass auf dich auf, Prinzessin!"
Ich lächle ihm noch einmal zu, ehe ich die Autotür zuschlage und mich langsam zur Haustür der beiden Jungs aufmache. Dort angekommen, klingle ich. Die Musik, die dort drin gespielt wird, ist bereits laut und deutlich zu vernehmen. Durch die Fenster erstrahlt ein Lichterspiel bunter Farben, wie es in Diskos sonst eher üblich ist. Trotz dass es etwas laut ist, kann ich Schritte auf die Tür zukommen hören und mache mich bereit dafür, Alexy oder Armin um den Hals zu fallen.
Als sich die Tür öffnet, halte ich jedoch inne.
"Lisa!", grinst Castiel. Eine kleine Alkoholfahne kommt mir bei seiner Begrüßung entgegen, woraufhin ich bestmöglicher versuche, mein Gesicht nicht allzu sehr zu verziehen. Ich kann diesen Geruch nicht ausstehen ...
"H-Hey!" Etwas verunsichert grinse ich schief zurück. Er legt seine Hand an meine Taille und zieht mich rein. Die Tür hinter sich geschlossen, führt er mich durch das Wohnzimmer, in dem wir uns gerade befinden. Während ich mich umschaue, dröhnt der Bass der Musik, aus großen Boxen, auf mich ein.
"Klasse, dass du da bist, Kleine", flüstert mir Castiel plötzlich ins Ohr und meinen Körper überzieht eine Gänsehaut davon. Ich kann nicht genau einschätzen, ob er nur angetrunken oder schon betrunken ist, allerdings ist er in diesem Zustand bis jetzt viel netter zu mir, als er es in dem ganzen letzten Jahr war.
"Wir müssen gleich auf jeden Fall zusammen einen trinken, okay? Versprichst du mir das?", fragt er, erneut mit flüsternder Stimme, und zieht mich näher an sich ran, indem er zuvor die Hände auf meinen Schultern abgelegt hat.
Ich komme doch nicht ganz zurecht mit seiner Art gerade, weswegen ich ihm bloß zunicke und dann einfach abhaue.
Auf der Suche nach Alexy und Armin, suche ich gleichzeitig nach einem Blondschopf, der zugleich unser Schülersprecher ist. Doch weit und breit ist von ihnen nichts zu sehen. Ich entdecke vor allem mehrere fremde Gesichter.
"Da bist du ja!"
Kentin kommt freudig grinsend auf mich zugelaufen. Eine feste Umarmung folgt, die mich etwas überrumpelt, und ich umarme ihn zurück. "Hey!"
"Armin hat sich in sein Zimmer zurückgezogen", lacht er. Irgendwie überrascht mich das gar nicht mal so sehr, wie es das womöglich eigentlich tun sollte. Kentin nimmt meine Hand und zieht mich zu dem Büffet, an dem man auch eine reichliche Auswahl an alkoholischen Getränken vorfinden kann.
"Trink etwas! Komm!"
"Gleich ..."
"Warum nicht jetzt?"
"Kentin, beruhige dich ..." Ich stoße ihn leicht weg von mir, lache ihn dabei aber an, damit er sieht, dass ich das nicht böse meine.
"Na schön."
Er schnappt sich eine Flasche Bier, sowie ein paar Kekse und berichtet mir, wo er Alexy zuletzt gesehen hat. Ohne dass ich ihn überhaupt danach fragen musste, hat er mir weitergeholfen. Ich kämpfe mich durch einige Leute hindurch, zur Küche. Als ich diese betrete, entdecke ich meinen besten Freund auf einer der Küchentheken sitzen und Lysander angelehnt an den Kühlschrank daneben. Ohne jegliche Vorwarnung stürmt Alexy auf mich zu, umfasst meinen Körper mit seinen Armen und wirbelt mich, voller Freude über meine Ankunft, im Kreis herum. Ein Glück habe ich noch nichts getrunken, sonst hätte ich für nichts mehr garantieren können.
"Lisa, Lisa, Lisa! Toll, dass du da bist!"
"Ich freue mich auch", lache ich, während er mich wieder runterlässt. "Hey Lysander!"
"Guten Abend." Er lächelt mich freundlich an.
"Bist du mit du-weißt-schon-wem hier her gekommen?"
Mein Lächeln, das ich gerade noch Lysander gewidmet habe, verschwindet schlagartig. Meine Wangen beginnen wieder sich zu erhitzen und aus dem Augenwinkel erkenne ich Lysanders schiefen Blick. "Ähm ..."
"Also ja?!"
"Nein."
"Wie nein?"
"Eben nein!"
Alexy stößt einen heftigen Seufzer aus. Ich versuche ihm mit meinem Blick ein Signal zu senden, dass er aufhören soll, darüber zu reden und er versteht es schließlich.
"Der Abend ist noch lang!", grinst er und zieht mich zu sich, um mich noch einmal feste zu drücken.
"Ist Rosalia schon hier?"
"Ich bezweifle, dass sie kommt", wendet Lysander ein, "Leigh ist erkrankt. Sie kümmert sich solange immer um ihn."
Ich schaue Alexy an, um seine Reaktion darauf abzuwarten. Mit Enttäuschung darüber habe ich gerechnet aber nicht mit diesem entzückten Lächeln, dass sich gerade auf seinen Lippen bildet. "Sie ist schon liebenswert!"
"Das kann man wohl sagen. Mein Bruder hat großes Glück."
Ich vermisse Rosalia allmählich. Dennoch habe ich Verständnis dafür, dass sie ihren Freund pflegen möchte, solange es ihm nicht gut geht. Ich würde das selbe tun, wenn ich einen Freund hätte ...
"Ich gehe mich mal wieder etwas unter die Leute mischen", verkünde ich den beiden und verlasse den Raum.
Wieder einmal suche ich in der Menge nach Nathaniel. Ich mache auch einige Abstecher beim Buffet und bei Leuten, die ich bereits kenne, damit es nicht zu auffällig ist, dass ich nach jemandem suche. Ob ich irgendwen nach seiner Handynummer fragen sollte, damit ich Gewissheit habe? Andererseits hat vermutlich niemand, bis auf Amber und Melody, diese und beide sind nicht hier. Weder seine Schwester, noch seine Verehrerin würden mir diese Nummer mit Leichtigkeit und ohne Hinterfragen übergeben. Es ist zum verrückt werden!
Verzweifelt und mit gedämpfter Laune lass ich mich in ein Sofa zurückfallen. Das Stück Zitronenkuchen in meiner Hand zerbröckelt mir auch mittlerweile zwischen den Fingern. Ich muss ganz schön lange damit rumgelaufen sein.
"Hey, na!" Castiel gesellt sich zu mir. Seine Alkoholfahne hat sich seit dem letzten Mal nicht gebessert, allerdings habe ich damit gerechnet.
"Hey", begrüße ich ihn.
"Warum sitzt du hier rum?"
Ich möchte gerade darauf antworten, da legt er einen Arm um mich und kommt mir mit seinem Gesicht näher. Ich mag Castiel, so ist es nicht, ich mag aber gerade nicht, dass er mir so nahe ist. Vor allem dann nicht, wenn er nicht gerade den angenehmsten Geruch mit sich trägt. Vorsichtig tippe ich seine Wange mit einer meiner Fingerspitzen an und schiebe sein Gesicht ein wenig weiter von mir weg. Er lächelt mich einfach nur stumpf an, als hätte ich nichts gemacht.
"Weil ich gerade eine Pause vom rumlaufen brauche", antworte ich schließlich.
"Warum läufst du denn auch rum? Du musst tanzen!" Er beginnt wackelnde Bewegungen mit seinem Oberkörper zu machen. "Mit mir!"
Das sieht so bescheuert aus, dass ich nur anfangen kann zu lachen. Ich lehne dankend ab.
"Ich habe mich bloß umgesehen, wer hier alles ist."
Plötzlich verfinstert sich sein Lächeln zu seinem gewohnten Gesichtsausdruck. "Ah."
"Ah?"
"Ich verstehe." Castiel hält unserem Augenkontakt weiter stand.
"Was denn?"
"Du hast geguckt, ob dieser verklemmte Vollidiot hier ist."
Ohne dass er einen Namen nennt, weiß ich dass er ins Schwarze getroffen hat. Wen sonst würde er so bezeichnen.
"Aber was hast du anderes erwartet", setzt er fort, "dass er mal seine Bücher liegen lässt und sich amüsiert? Das kann dieser Spießer nicht."
Obwohl ich ihm gerade am liebsten das Wort abschneiden würde, höre ich ihm einfach nur weiter zu. An sich hat er nämlich recht. Was habe ich anderes erwartet? Ich habe mir doch gedacht, dass er nicht kommt. Trotzdem enttäuscht es mich nicht weniger, dass er es tatsächlich nicht getan hat.
"Was willst du mit dem? Der will weder von dir, noch von irgendwelchen anderen Mädchen oder weiteren Personen etwas wissen. Das musst du in deinen Kopf hinein kriegen!"
Langsam wird Castiel mir zu harsch. Ich wende meinen Blick von ihm ab und schaue wieder in die Menschenmasse, die sich um uns herum befindet. Für einen kurzen Moment herrscht Stille zwischen uns und in meinem Kopf.
Castiel legt schließlich seine Hand auf meinem Oberschenkel ab, was dazu führt, dass ich ihn wieder ansehe.
"Stattdessen gibt es andere Jungs, die sich für dich interessieren."
Mit diesen Worten lässt er mich alleine sitzen. Hat er etwa damit auf sich angesprochen oder auf Kentin?
Völlig überfordert durch all seine Worte, lasse ich mich wieder ins Sofa hinein sinken. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es mittlerweile schon fast elf Uhr ist. Ich bin gerade überhaupt nicht mehr in der Stimmung zum feiern, vielleicht sollte ich mal nach Armin schauen.
Entschlossen stehe ich auf und mache mich auf die Suche nach seinem Zimmer. Raus aus dem Wohnzimmer, in einen Flur, kann ich bereits zwischen den Bässen der Musik ein Art Schussgeräusch vernehmen. Das kann nur aus einem von Armins Videospielen kommen! Vorsichtig lausche ich an einigen Türen, um auch nicht an der falschen zu klopfen. Als ich mir dann sicher bin, die richtige Tür gefunden zu haben, klopfe ich sanft dagegen. Wahrscheinlich zu sanft, denn ich bekomme keine Antwort zurück. Ich klopfe noch einmal, diesmal fester. Statt einer Antwort, kommen nur mehr Schussgeräusche bei mir an. Mit der flachen Hand hämmere ich gegen die Tür.
"NEIN, ICH KOMME NICHT RAUS! ICH DACHTE WIR HÄTTEN DAS GEKLÄRT!"
"Okay aber ich bin nicht Alexy, hier ist Lisa! Darf ich rein kommen?"
Auf einmal verstummt jeglicher Sound, den ich zuvor noch hören konnte, und schnelle Schritte nähern sich der Tür. Ein verwunderter Armin erscheint schließlich vor mir. "Was machst du hier? Die Party findet im Wohnzimmer statt." Er grinst mich an, wobei er eine schnelle Kopfbewegung macht, um ein paar seiner schwarzen Haarsträhnen aus seinem Blickfeld loszuwerden.
"Schon klar, du Witzbold", lache ich über seine Bemerkung, "aber mir ist gerade nicht nach tanzen und trinken."
Er macht Platz, damit ich in sein Zimmer eintreten kann.
"Dann komm, ich habe noch einen Controller."
Ich lächle ihn erfreut an und lasse mich in einen seiner Sitzsäcke fallen, ehe ich mir den zweiten Controller schnappe. Das mag ich an Armin so sehr: Man muss ihm keine großartigen Erklärungen liefern. Er ist nicht sonderlich neugierig, so lange bei ihm alles rund läuft, passt es ihm.
Er fängt ein neues Spiel an und wir beginnen gegeneinander zu kämpfen.
Dabei unterhalten wir uns über die draußen stattfindende Party, die immerhin auch seine ist, und wie wir beide schon wieder reif für die Ferien und Urlaub sind. Die Zeit beim Zocken vergeht so schnell, dass ich irgendwann bemerke, wie es bereits halb Zwei ist. Wehmütig lege ich den Controller ab, um meinen Vater anzurufen, damit er mich abholen kommt.
"Ich kann dich auch nachhause bringen, ist kein Problem", bietet mir Armin flüsternd an, als ich darauf warte, dass mein Vater abnimmt. Ich schüttle lächelnd mit dem Kopf zurück und er zuckt grinsend mit den Schultern. Armin hat für mich diesen Abend und besonders meine Laune gerettet.
Als mein Vater schließlich angekommen ist, muss ich wieder durch das Wohnzimmer hindurch, um raus aus dem Haus zu kommen. Es sind bei weitem nicht mehr so viele Leute da, wie als ich angekommen bin aber noch immer genug. Alexy findet mich auch noch rechtzeitig, um sich von mir zu verabschieden. Zum Abschluss schenkt er mir ein bemitleidendes Lächeln, welches mir vermittelt, dass Nathaniel auch nicht aufgekreuzt ist, als ich bei Armin war. Ich versuche meine schon ziemlich große Enttäuschung darüber etwas zu vertuschen, indem ich mit den Schultern zucke und gehe zum Auto, in dem mein Vater bereits müde und sehnsüchtig auf mich wartet.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt