12. Tropfenweise Zuneigung

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"Bist du immer noch traurig deswegen?", erkundigt sich Alexy behutsam am Montag Morgen. Ich bin gerade dabei meinen Regenschirm zu schließen, da das Wetter wieder einmal zum davonlaufen ist. Als ich es endlich geschafft habe, gehe ich weiter geradeaus den Schulflur entlang, worauf er mir folgt.
"Naja ... Ich möchte eigentlich gar nicht darüber reden, um ehrlich zu sein", antworte ich mit leiser Stimme, "tut mir leid."
Er streicht mir im Gehen für einen kurzen Moment leicht durchs Haar und akzeptiert meine Äußerung mit einem Nicken.
"Aber", muss ich noch ergänzen, "weißt du, ich dachte irgendwo, dass er vielleicht doch kommt. Einfach wegen mir. Weil ich mich gegenüber ihm geöffnet habe. Schließlich mache ich das auch nicht jeden Tag ... Aber woher soll er das auch wissen. Jetzt habe ich immerhin die Bestätigung dafür, dass ihm meine Meinung nicht gerade wichtig ist. Besser gesagt: Überhaupt nicht wichtig."
Ich lasse meinen geschlossenen Regenschirm auf den Boden fallen, als wir vor meinem Spind angekommen sind, damit ich meine nötigen Sachen rausholen kann.
"Lisa ...", seufzt Alexy.
"Er ist und bleibt einfach unnahbar. Es war dumm von mir zu denken, dass ich das ändern kann. Dass ich ihn brechen kann."
"Steiger dich jetzt nicht zu sehr in deine Enttäuschung hinein ..."
Ich nehme zwei Bücher mit und verschließe den Spind wieder. Den Regenschirm aufgehoben, schaue ich Alexy an und verziehe meine Mundwinkel zu einer geraden Linie.
"Lass uns zum Unterricht gehen", schlage ich ihm vor und gehe voraus. Er folgt mir auf Schritt und Tritt, während ich mir leicht auf die Unterlippe beiße. Vielleicht sollte ich es so sehen: Meine Schwärmerei für unseren Schülersprecher könnte somit schon bald wieder ein Ende nehmen. Es ist sowieso alles viel einfacher, wenn man sich für keinen interessiert. Dann kann man durch so Kleinigkeiten, wie ein Nichterscheinen auf einer Geburtstagsfeier, nicht runtergezogen werden.
Als ich in die Klasse hinein gehe, sehe ich wie Nathaniel und Melody bereits schon da sind. Beide sind mit sich selbst beschäftigt, indem er, mal wieder, in ein Buch vertieft ist und etwas aufschreibt. Total demotiviert für den heutigen Tag, lasse ich meine Bücher rücksichtslos auf meinen Tisch niederknallen. Als ich mich daraufhin hinsetze, sehe ich, wie Nathaniel leicht über seine Schulter zu mir schaut. Unsere Blicke treffen sich für Millisekunden, ehe ich seinem wieder ausweiche und meine benötigten Sachen für den Unterricht auspacke. In diesem Moment gerade hat sich meine Enttäuschung in eine kleinere Art von Wut verwandelt.

Während der kurzen Pause von zehn Minuten, habe ich mich dazu entschlossen, schnell durch den Regen zur Mensa zu laufen. Ich schnappe meinen mittlerweile getrockneten Schirm und renne los. Der Regen ist kein bisschen weniger geworden, seit ich heute Morgen aus dem Haus gegangen bin. Es ist frustrierend. Ebenso wie Nathaniels Anblick im Unterricht, auch wenn es nur sein Rücken ist, den ich zu sehen bekomme. Am liebsten würde ich ihm so richtig meine Meinung geigen! Ich bin gerade einfach so wütend darüber, dass er sich meine Worte nicht zu Herzen genommen hat. Ich bezweifle dass er auch nur ein paar Sekunden an diese gedacht hat, als er sich dafür entschieden hat, nicht zur Party zu gehen. Er mag vielleicht intelligent sein aber von Einfühlungsvermögen versteht er wohl kaum etwas, sonst hätte er sich wohl vorstellen können, wie dumm ich mir vorkomme, wenn er nicht kommt.
Kurz vor der Mensa bleibe ich stehen. Ich schließe für einen Moment die Augen und seufze. So ein Idiot. Vielleicht erwarte ich auch einfach zu viel von ihm ... Oder ich habe recht und er ist einfach ein Idiot.
Ich laufe schnell rein, um mir ein Croissant zu holen und laufe doppelt so schnell zurück in die Klasse. Dabei spritzt das Wasser von unterschiedlich großen Pfützen nur so gegen meine Beine, sowie auf die kleinen, freien Hautstellen zwischen meinen Hosenenden und Socken. Dennoch komme ich halbwegs trocken wieder an und lasse mich neben Rosalia nieder.
"Man, siehst du fertig aus", kichert sie leise.
"Das bin ich auch."
Ich habe ihr noch nichts von meinen Gefühlen für Nathaniel erzählt. Dafür habe ich auch gerade keinen Nerv. Am besten wäre es, wenn diese idiotischen Gefühle wieder verschwinden und Alexy und ich nächstes Jahr darüber herzlichst lachen können.
"Wollen wir nach der Schule zusammen lernen?", höre ich Melody Nathaniel fragen. Ich schaue zu den beiden rüber und sehe, wie er sie anschaut. "Ähm ...", antwortet er nur. Melody verzieht ihr Gesicht, doch sagt nichts weiter.
"Ich denke, ich lerne lieber alleine. Vielleicht ein andermal, okay?"
Ihr Gesichtszug ändert sich daraufhin nicht und sie wendet sich wieder ihren Unterlagen zu. Auch wenn ich Melody nicht sonderlich mag, würde ich Nathaniel gerade am liebsten an der Schulter packen und fragen, wie man sich nur so verbarrikadieren kann. Rosalia scheint mir meine Verärgerung aus dem Gesicht ablesen zu können.
"Was ist los, Süße?"
"Ach ... Ich hatte gerade nur so einen komischen Schmerz verspürt. Nichts weiter."
"Dann sag Bescheid, wenn dieser Schmerz wiederkommt. Vielleicht kann ich dir helfen."
Sie scheint meine kleine Lüge durchschaut zu haben, allerdings auch Verständnis dafür zu haben, dass ich nicht reden möchte. Erst recht nicht jetzt, wo der Unterricht wieder anfängt.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt