24. Familienglück

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"I-I-Ihr ..."
Nathaniel und ich schauen uns gleichzeitig an. Als würden wir wissen, was der jeweils Andere denkt, entfernen wir uns langsam voneinander. Auch wenn Melody mich schon oft aufgeregt hat, seit ich angefangen habe, für Nathaniel Gefühle zu entwickeln, möchte ich gerade nicht in ihrer Haut stecken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich sich das in diesem Augenblick anfühlen muss.
"Melody ...", sagt Nathaniel sanft.
Sie steht wie angewurzelt da. Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte auf sie zu. Ich mag gerade die Letzte sein, von der sie irgendwas hören will, doch ich kann auch nicht einfach dumm daneben stehen.
Ich versuche sie anzusprechen: "Hey ..."
Nun setzt sie einen Fuß zurück. Ich mache Halt, um sie nicht weiter zu bedrängen.
"W-Wie ... S-S-Seit wann ... ?!"
Nathaniels Schritte, hinter mir, sind zu vernehmen. Schließlich stellt er sich neben mich und sieht Melody an.
"Gestern", antwortet er.
Die Überforderung, mit der Situation, lässt sich in jedem einzelnen ihrer Gesichtszüge erkennen. Bestürzt sieht sie zu Boden.
"Tut mir leid", spricht er weiter, "dass du es so erfahren hast."
Ich denke es ist sinnvoller, wenn ich doch nichts sage.
"A-Aber ... Was willst du mit so einer wie ihr?"
Jetzt fühle ich mich beleidigt. Ich bin doch keine Gossengöre oder irgendwas in der Richtung.
"Bitte hör mir mit sowas auf. Ich bin auch noch immer sauer, weil du mich angelogen hast und dich noch nicht dafür entschuldigt hast."
Seine Stimme ist mit jedem Wort kühler geworden. Melody sieht mich an. Ihre Augen sind ganz glasig. Sie muss kurz vor einem Tränenausbruch stehen.
"Gefühle kann man eben nicht erzwingen", belehrt Nathaniel sie.
Ihre Augen wandern rüber zu Nathaniel. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, wie er sie nur noch ernst anschaut. Zu Beginn konnte ich ein wenig Besorgnis erkennen, doch davon ist seit Melodys letzter Frage nichts mehr übrig.
Sie dreht sich um.
Wartend darauf, dass sie noch etwas sagt, spiele ich ein wenig mit meinen Fingern. Das ist womöglich einer der mir unangenehmsten Momente seit langem. Ich fühle ganz furchtbar unwohl.
Schließlich geht sie und schließt die Tür hinter sich.
Nathaniel stellt sich vor mich.
"Du hast doch jetzt nicht etwa ein schlechtes Gewissen oder?"
"N-Nein ... Da könnten zehn Melodys vor mir stehen und ich würde nicht mit dir Schluss machen, nur weil sie mir leid tun. Trotzdem wünsche ich das, was ihr gerade passiert ist, niemandem."
Er legt seine starken Arme um mich und drückt mich an sich ran.
"Du bist ein guter Mensch, weißt du das?"
Umgeben von der Wärme seines Körpers, höre ich auf nachzudenken. Er hat gar nicht mal so Unrecht. Allerdings würde ich mich viel mehr als 'zu nachdenklich' bezeichnen, anstelle von 'gut'.
"Sie hat jetzt erstmal einen Schock, was man auch nachvollziehen kann. Spätestens nächste Woche sieht das alles schon ganz anders aus. Vielleicht hilft ihr das auch zu verstehen, dass sie wirklich nie mehr für mich sein wird, als eine Freundin."
Ich nicke und vergrabe mein Gesicht bei ihm. Er drückt mir einen liebevollen Kuss ins Haar.
"Nicht schlecht, der erste Tag unserer Beziehung hat zwei Menschen in ein inneres Chaos versetzt", nuschle ich und muss dann sogar leicht darüber lachen. Ein verrückter Tag ist das heute.
"Vielleicht ist das erst der Anfang. Bei mir gab und gibt es nur eine weitere Anwärterin. Bei dir wäre ich mir da nicht so sicher."
Entsetzt blicke ich zu ihm auf. Er senkt seinen Blick, um mir in die Augen zu sehen.
"Das würde mich aber stark wundern", antworte ich, irritiert über seine Aussage.
"Achja? Was ist mit Kentin?"
"Das war einmal!"
"Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Lisa", lacht er.
"Und wenn ich es dir sage!"
"Komm schon", grinst er, "seit wir beide zusammen in den Lagerraum der Biologie- und Chemieräume mussten, ist er nicht gut auf mich anzusprechen. Ich erinnere mich übrigens auch noch daran, wie ich in seinen Versuch, dich zu küssen reingeplatzt bin."
Achja. Da war ja was. Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
"Aber da du ja bereits mir gehörst, rege ich mich da nicht weiter drüber auf und wer weiß, vielleicht liege ich ja doch falsch?"
Ein Grinsen macht sich auf seinem lieblichen Gesicht breit. Er scheint sich meine Worte, von vorhin, wirklich zu Herzen genommen haben. Freudig gebe ich ihm noch einen letzten Kuss.
"Ich glaube die Mittagspause ist so gut wie vorbei. Gehen wir zurück in die Klasse?", schlage ich vor.
"Klar."
Er hebt noch den Ordner auf, der die ganze Zeit über auf dem Boden lag, bevor er wieder zu mir kommt und nach meiner Hand greift. Ich bin verwundert darüber.
"Ist was?"
"Ähm, nein aber möchtest du so zum Unterricht mit mir gehen?"
"Warum nicht?", lacht er leicht, "Zwei Personen wissen bereits Bescheid. Es würde sich dadurch ohnehin wie ein Lauffeuer verbreiten, dass wir nun ein Paar sind. Davon abgesehen, habe ich dir gestern schon gesagt, dass ich zu dir stehen werde. Ich wäre dumm, wenn ich es nicht täte."
Ich spüre, wie ich rot werde. Ich hätte nicht gedacht, dass Nathaniel so offen damit umgehen würde. Ich habe ihn viel mehr zurückhaltend eingeschätzt. Seine Argumente sind zudem überzeugend.
"Also, wollen wir?"
Er schenkt mir sein warmes Lächeln, dass ich so liebe.
"Ja, lass uns gehen!", antworte ich glücklich.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt