Eine weitere Woche ist vergangen.
Jedesmal wenn ich mit Nathaniel gesprochen habe, hat sich meine Erkenntnis nur mehr bestätigt. Er ist dabei, mich um den Finger zu wickeln. Mit seiner intelligenten, zurückhaltenden und schnell verlegenden Art. Allerdings spricht mich auch sein Aussehen an. Ich bin mir zwar noch immer nicht ganz sicher, ob ein Hemd und Krawatte als Schuloutfit passen aber es steht ihm, ebenso sehr gefallen mir seine blonden Haare und vor allem diese honiggelben Augen. Ich komme noch nicht ganz klar, mit dem Ganzen.
Alexy ist gerade dabei, ein Brötchen zu kaufen, während Armin mal wieder zockt und mich dadurch gekonnt ignoriert. So bemerkt er zumindest nicht, dass ich ganz woanders mit meinen Gedanken bin.
"Nicht im Ernst!!!", flucht er plötzlich. Da kommt gerade Lysander in die Mensa und entdeckt uns. Ich winke ihm zu und er schenkt mir ein kleines Lächeln. Er schaut rüber zur Theke und scheint sich kurzerhand dafür zu entscheiden, sich lieber zu uns zu gesellen beziehungsweise mir, da Armin nicht mehr anwesend ist.
"Hallo", begrüßt er mich mit seiner gewohnt sanften Stimme.
"Hey Lysander, willst du doch nichts bestellen?"
"Hm, doch. Gleich." Er packt sein Notizbuch aus und öffnet es. Er ließt es allerdings so, dass es ich nicht sehen kann, was darin steht.
"Schreibst du an einem neuen Song?"
Er lächelt mich an und nickt. "Allerdings ist es diesmal irgendwie schwieriger, als sonst."
"Oh ...", gebe ich zurück, "Warum das denn?"
Er zuckt mit den Schultern. Nachdenklich legt er noch seinen Daumen und Zeigefinger an sein Kinn und streicht leicht mit dem Zeigefinger über dessen Oberfläche. Ich will ihn nicht weiter aufhalten und schaue wieder die Wand an.
Ich kann noch immer nicht ganz verstehen, warum es ausgerechnet Nathaniel ist, der mich so verwirrt und interessiert. Irgendwo leuchtet es mir aber auch ein: Er hat mit so wenigen Leuten etwas zutun. Er wirkt auch so desinteressiert, daran etwas zu ändern. An Freundlichkeit und Höflichkeit, oder generell Manieren, mangelt es ihm keineswegs aber er isoliert sich trotzdem lieber, anstatt jedes Wochenende raus zu gehen und etwas zu unternehmen. Mir gegenüber zeigt er sich mittlerweile offener aber auch noch lange nicht offen genug. Ich möchte wissen, wie er wirklich ist. Es ist eine Art Herausforderung für mich ... Dennoch waren mehr als freundschaftliche Gefühle für ihn nicht geplant. Sowas kann man auch leider nicht planen. Immerhin bin ich jetzt schon so weit, dass ich das schonmal akzeptiert habe. Da sollte mich mein manchmal seltsames Gestotter und Rotwerden vor ihm nicht mehr wundern. Obwohl er sich hin und wieder genauso verhält, kann ich nicht davon ausgehen, dass es ihm ebenso geht, wie mir. Er ist einfach von Natur aus so, das merkt man ihm sofort an. Naja, oder ob es dafür einen bestimmt Grund gibt, dass er so ist oder dann eher geworden ist?
"Da bin ich wieder!", kündigt Alexy fröhlich sich selbst an, mit Essen in der Hand. Er setzt sich gegenüber von mir hin und gelöst aus meinen Gedanken, bemerke ich, wie Lysanders Blick auf mich gerichtet ist. Sein Notizbuch liegt unbeachtet auf dem Tisch. "Beschäftigt dich etwas?", erkundigt er sich bei mir in einem fürsorglichen Ton.
"Nein, nein", stammle ich, "ich habe nur kurz über ... das Wochenende nachgedacht."
"Okay." Er wendet sich zurück zu seinem Songtext. Irgendwo habe ich das Gefühl, dass er mir das nicht glaubt aber es akzeptiert, dass ich nicht darüber sprechen kann und will.Zurück auf dem Weg zum Unterricht, verhört mich Alexy.
"Wo warst du vorhin immer wieder mit deinen Gedanken? Sogar Lysander ist das aufgefallen! Und erzähl mir jetzt nichts von deinen Plänen fürs Wochenende, ich kaufe dir das nicht ab."
"Nirgendwo!", antworte ich mit etwas lauter Stimme.
"Lisa!"
"Alexy!"
"Ich meine es ernst ... Was ist los? Du stirbst doch innerlich, wenn du Geheimnisse für dich behältst! Wenn du jemanden einweihst, musst du nicht alles in sich hineinfressen."
Aufgrund solcher Kenntnisse von ihm über mich, könnte man meinen, dass wir Freunde aus alten Kindertagen sind. Der mich kennt, seit ich noch in die Windeln gepupst habe aber nein! Wir kennen uns gerade mal seit einem Jahr. Bin ich einfach nur leicht durchschaubar oder besitzt Alexy eine gewisse Kraft, von der ich nur nichts weiß?
"Lisa, komm schon!" Er beginnt auf und ab zu hüpfen, vor Ungeduld.
Ich habe gerade mal selbst verkraftet, dass Nathaniel mir den Verstand raubt und jetzt soll ich schon jemandem davon erzählen? Gut, Alexy ist nicht irgendjemand aber ...
"Na, ihr beiden!", begrüßt uns Kentin, der uns gerade entgegen kommt und damit Alexys Spürnasenattacke unterbricht.
Alexys Freude, seinen Schwarm zu sehen, hält sich offensichtlich in Grenzen: "Hi ..."
"Hey Kentin!" Ich hingegen freue mich, ihn zu sehen.
"Seid ihr bereit für Mathe?"
Ich verdrehe die Augen. Mathe ist mein schlechtestes Fach. Es ist so schwierig, sich darin mündlich zu beteiligen, dass ich schon kurz davor bin, es einfach sein zu lassen.
"Soll das ein Scherz sein?", grinst Alexy belustigt über Kentins Frage.
"Eigentlich nicht", gibt Kentin zu, "ich finde das Thema im Moment ziemlich leicht."
"Das ist schön für dich", antworte ich darauf.
"Genau! Wir sollten jetzt auch wirklich dorthin gehen." Alexy schiebt mich weiter in Richtung Schulgebäude. Kentin schaut uns nach und bittet uns, Mr. Faraize Bescheid zu sagen, dass er noch schnell zur Mensa gegangen ist.
"Endlich ist er weg. Jetzt rück schon raus mit der Sprache!"
Ich muss anfangen zu lachen. "Na, dringend wolltest du ihn aber auch noch nie loswerden."
"Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich diesen süßen Menschen wirklich ungern loswerden wollte aber er hat gerade echt gestört! Antworte mir jetzt!" Er öffnet die Eingangstür und hält sie mir auf. Ich lächle ihn dankend dafür an und beginne zu überlegen, ihm wirklich zu sagen, was Sache ist.
"Nun ... Alexy, was würdest du sagen, wenn -" Ich unterbreche, da ich aus dem Augenwinkel Castiel neben uns herlaufen sehe. Den geht mein Interesse für Nathaniel wirklich gar nichts an und er würde mich bestimmt sofort verurteilen und mir einen Vortrag darüber halten, was für ein Verlierer er doch ist. Alexy stößt einen heftigen Seufzer aus und Castiel schaut ihn völlig irritiert darüber an.
"Hi Castiel!"
Als Reaktion auf meine nette Begrüßung, bekomme ich nur ein stumpfes Nicken zurück.
"Wie freundlich ...", lobe ich ihn ironisch.
Er muss darüber grinsen. Manchmal habe ich das Gefühl, es macht ihm Spaß, so mürrisch zu sein.
Zu Dritt gehen wir in den Unterricht. Auf dem Weg zu meinem Platz fällt mir auf, dass Melody nicht mehr da ist. Ihre Sachen sind weg und Nathaniel sitzt alleine. Wäre Rosalia heute nicht da, würde ich mich vielleicht sogar neben ihn setzen ... Allerdings auch nur vielleicht.
"Da bist du ja endlich!", stöhnt Rosalia gelangweilt. Ich setze mich hin und schaue auf Nathaniels Rückenprofil. Rosalia folgt meinem Blick und grinst mich verschwörerisch an.
"Sag mal, Süße", flüstert sie, "ist unser Schülersprecher dir nicht wirklich ins Auge gesprungen?"
Ich verstehe nicht, warum er größtenteils gar nicht mit seinem richtigen Namen angesprochen oder genannt wird, sondern stattdessen mit seinem Titel. Als wäre er der Präsident der vereinigten Staaten und seine Autorität kann nur so bewahrt werden.
Wie dem auch sei, ich verpasse Rosalia erstmal einen leichten Schlag auf den Oberarm. Nathaniel ist nicht taub, auffälliger, als direkt hinter ihm mich so etwas zu fragen, konnte sie ja nicht sein.
"Ey ...", jammert sie leise.
Mr. Faraize, der bereits im Klassenraum gesessen hat, eröffnet den Unterricht: "Herzlich Willkommen in der Welt der Mathematik!"
Ich bin alles andere als erfreut darüber, hier zu sein. Jedoch macht es mir etwas zu schaffen, wie Alexy mich so ausquetscht und auch Rosalia von ihrer Theorie vom ersten Schultag noch nicht losgelassen hat. Gut, mittlerweile liegt sie nicht mehr so falsch damit aber ... Es ist irgendwie so kompliziert. Ich will es einfach nicht zu früh bei den beiden an die große Glocke hängen. Vielleicht schwärme ich ja auch nur ein oder zwei Monate für Nathaniel und dann ist es wieder vorbei? Ich weiß es doch selbst nicht!
Unser Lehrer beginnt mit, mich verwirrenden, Graphenverläufen. Ich habe gerade wirklich keinen Kopf dafür. Alexy wird mich auf keinen Fall in Ruhe lassen und Rosalia wird immer mal wieder bei mir nachhören wollen. Sie ist geduldiger, was Geheimnisse angeht - auch wenn sie etwas ahnt. Alexy ist die Ungeduld in Person und wird mir, wenn ich es ihm nicht sage, keine Ruhe mehr gönnen. Naja, aber wenn ich es Alexy verrate, dann muss ich es auch Rosalia sagen. Ich möchte keinen von beiden benachteiligen ...Als die Mathestunde vorbei ist, ist auch der heutige Schultag zu Ende.
Mit allerlei Gedanken im Kopf, gehe ich zu meinem Spind. Ich lasse ein paar Bücher, wie mein Chemiebuch und Mathebuch, zurück und überlege, was ich morgen für Stunden habe.
"Also!" Die Tür meines Spindes wird vor meinen Augen zugeknallt und ich entdecke plötzlich Alexy vor mir stehen. "Jetzt rede endlich mit mir! Ich hab dich in Mathe beobachtet. Du denkst eindeutig über etwas anderes nach, als du tun solltest!"
Jetzt stecke ich mitten im Kreuzverhör. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns jetzt noch einmal jemand unterbricht, ist niedriger als gering. Es ist keiner mehr im Klassenraum oder auf den Gängen.
"Du hast doch, bevor Castiel aufgetaucht ist, bereits angefangen mir zu erzählen, was los ist."
Er zupft seine Kopfhörer, die er um den Hals gelegt hat, zurecht und streicht sich einmal nervös durch seine knallig hellblau gefärbten Haare. Vermutlich ahnt er gerade das Schlimmste, weil ich meine Antworten auf seine Fragen so hinauszögere.
"Lass uns raus aus der Schule gehen, dann erzähle ich dir alles."
Er lächelt mich an und stimmt zu. Auf dem Weg zum Ausgang, berichte ich ihm von den bisherigen Ereignissen mit Nathaniel. Angefangen beim ersten Schultag nach den Ferien, als ich meinen Blick nicht mehr von ihm lösen kann und aufgehört bei dem Zwischenfall im Lagerraum der Chemieutensilien und wie er mich noch rechtzeitig aufgefangen hat, nachdem ich gestolpert bin. Ich erzähle ihm von all meiner Verwirrung der letzten Wochen und wie ich eine Weile gebraucht habe, um anzuerkennen, dass mir doch mehr an Nathaniel liegt, als ich dachte.
"Mensch, Lisalein!" Er nimmt mich in den Arm und lacht leise in sich hinein. Ich muss erstmal aufatmen, da ich ganz schön lange geredet habe.
"Du bist wirklich zuckersüß, weißt du das? Wie viele Gedanken du dir schon wieder gemacht hast! Machst du eigentlich auch noch irgendwas anderes als das?", neckt er mich.
"Zufälligerweise, ja!"
"Das wundert mich", grinst er, "aber mal Spaß bei Seite, Kleine. Beim nächsten Mal komm doch bitte eher zu mir. Ich hätte dir auch direkt sagen können, dass du dabei bist, Gefühle für ihn zu aufzubauen!"
"Naja ... Es ist doch auch ein Unterschied, ob du das akzeptierst oder ich."
"Schon aber komm trotzdem beim nächsten Mal eher zu mir ... Egal, was ist!"
Plötzlich überkommen mich meine Gefühle ein wenig und ich umarme ihn feste.
"Danke, Alexy! Du bist ein toller bester Freund!"
"Natürlich bin ich das", witzelt er und umarmt mich zurück. "Ich bin immer für dich da und unterstütze dich."
"Übertreib es aber nicht!"
"Mal sehen ..." Er lacht, woraufhin ich ihm einen leichten Schlag verpasse.
"Übertreib es nicht!", wiederhole ich.
Er nickt und wir gehen zusammen weiter zur Bushaltestelle. Jetzt weiß Alexy Bescheid ... Als nächstes muss ich es Rosa sagen.
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Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]
FanfictionLisa ist bereits seit einem Jahr auf dem Gymnasium Sweet Amoris. Sie hat sich eingelebt, neue und alte Bekanntschaften gemacht und gibt ihr bestes, gute Noten zu schreiben und somit einen erfolgreichen Abschluss zu erlangen. Doch im neuen Schuljahr...