27. Nackte Tatsachen

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Am nächsten Morgen reißt mich der unsanfte Ton meines Weckers aus meinen Träumen. Mit der Hand taste ich nach diesem, da ich meine Augen noch nicht öffnen will. Schließlich werde ich fündig und haue einmal kräftig drauf, um ihn zum schweigen zu bringen. Ich darf aber nicht wieder einschlafen ... Ich muss zur Schule ... Langsam öffne ich meine Augen, wenn auch, noch immer, ungewollt. Das Licht, das durch mein Fenster geworfen wird, blendet mich.
Es ist ganz schön warm hier ...
Völlig verschlafen, wie ich bin, realisiere ich erst einige Sekunden später, dass ich die Nacht über auf Nathaniels Brust geschlafen habe. Direkt steigt mir mein Blut zu Kopf. Die Wärme intensiviert sich. Vorsichtig lege ich meinen Kopf ein wenig in den Nacken, um in sein Gesicht schauen zu können. Seine Augen sind noch geschlossen und zwischen seinen Lippen lässt sich ein kleiner, offener Spalt erkennen. Mein Wecker ist für die meisten viel zu leise gestellt, für mich reicht er völlig aus. Nathaniel hat sich gerade unbewusst der ersten Gruppe angeschlossen. Achtsam drücke ich mich etwas nach oben und werfe einen Blick auf seine linke Wange. Ein dicker Bluterguss hat sich dort breit gemacht. So kann er doch unmöglich zur Schule! Das kann ich nicht zulassen ... Nichtsdestotrotz beuge ich mich leicht über ihn und gebe ihm einen sanften Kuss, durch den er aufwachen soll. Zunächst sind seine Lippen regungslos, bis er beginnt leicht gegen meine zu drücken. Ich spüre, wie er darunter anfängt zu lächeln. Ich kann nicht anders, als es ihm gleich zu tun. Auch wenn die Umstände, unter denen er bei mir geschlafen hat, schrecklich sind, bin ich froh, dass er da ist. Es versüßt mir den Morgen! Zögernd löse ich mich wieder von ihm.
"Guten Morgen", begrüße ich ihn mit sanfter Stimme und lege den Kopf wieder auf seiner Brust ab, ohne dabei den Blick von ihm abzuwenden.
"Guten Morgen", antwortet er verschlafen, "so würde ich gerne jeden Morgen geweckt werden."
Er streckt sich einmal ordentlich und gähnt. Ein kleines Kichern entwischt mir.
"Geht mir genauso."
Mit zarten Bewegungen mache ich mit dem Zeigefinger kreisende Bewegungen auf seiner Brust. Sie ist wirklich perfekt und vor allem so weich! Ich habe diese Nacht besser geschlafen, als sonst auf meinem Kissen.
"Wie viel Uhr haben wir?", fragt er plötzlich schockiert.
"Es ist viertel nach Sieben."
"Dann müssen wir langsam aufstehen und uns auf den Weg zur Schule machen!"
Er will gerade aufspringen, da drücke ich ihn mit der Hand wieder zurück. Entgeistert sieht er mich an.
"Ich denke du solltest heute nicht zur Schule gehen."
"W-Was?"
"Ich denke du solltest heute nicht zur Schule gehen!"
"Ich habe es bereits beim ersten Mal verstanden ...", grinst er schief.
"Dachte ich mir", lache ich kurz, bevor ich wieder ernst werde, "aber ich meine es wirklich so, wie ich es gesagt habe."
Mit dem Zeigefinger deute ich auf seine lila-, blaugefärbte Wange hin. Seine Kinnlade klappt runter, als wäre ihm in diesem Moment wieder eingefallen, was gestern Abend bei ihm Zuhause passiert ist. Verzweifelt klatscht er sich beide Hände vor sein Gesicht. Da kommt mir eine Idee ...
"Nath?"
"Ja?"
"Also ... Entweder bleibst du hier oder ich versuche das zu überschminken!"
"Ich würde ungern fehlen ..."
"Da-"
"Aber ich will auch nicht geschminkt werden", lacht er und nimmt die Hände wieder weg.
Ich wechsle meine Position in den Schneidersitz, während er sich ebenfalls aufrecht hinsetzt.
"Du musst dich entscheiden."
Sein nachdenklicher Gesichtsausdruck entsteht. Es ist wirklich süß, wenn er so guckt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen, ganz leicht gerunzelter Stirn, nach links gerichtete, zu einer Art Kussmund geformten, Lippen und einem kleinen Zucken der Nase.
"U-Und du kannst sowas?", fragt er vorsichtig nochmal nach.
Ich zucke lächelnd mit den Schultern. "Das dürfte nicht allzu schwierig werden."
"Okay ... Dann versuch es mal ..."
Mit roten Wangen sieht er raus aus dem Fenster. Ihm ist das offensichtlich ziemlich unangenehm aber sein Ehrgeiz, den Unterricht nicht zu verpassen, übertrifft alles.
Schnell springe ich auf, um meine Schminke zu holen. Leider besitze ich auch keinen ganzen Koffer, was mir das Überschminken deutlich vereinfachen würde. Für so etwas besitze ich ausschließlich einen Concealer. Da er keine Ahnung davon hat, wie schlecht das für eine größere Fläche geeignet ist, schweige ich auch erstmal darüber. Ich stelle mein kleines Schminktäschchen auf dem Schreibtisch ab und gehe, mit dem Concealer und einem eierförmigen, kleinen Schwamm in der Hand, zurück zu meinem Blondschopf. Er kommt mir entgegen und rückt ein wenig weiter vor zum Bettrand. Langsam beginne ich mit dem Schminkutensil über die Verfärbung zu streichen. Ich hoffe es klappt! Noch das Ganze mit dem Schwämmchen gleichmäßig verteilen und ...
"Klappt es?"
"J-Ja."
... Es sieht furchtbar aus.
"Gut, denn die Zeit rennt uns davon."
Oh Gott! Was mache ich jetzt? Man erkennt noch immer, dass sich darunter nicht sein normaler Hautton befindet!
"Ich bin sofort fertig", lache ich gespielt.
"Ist alles in Ordnung?"
"Ja, ja ... D-Du musst nur still halten!"
Ich versuche noch etwas zu retten, indem ich mehr Concealer auf seine Wange packe und die Ränder ordentlicher verschmiere.
"Bist du jetzt fertig?"
So geht es!
"Ja!"
"Okay, super", grinst er und steht auf. Er zieht sich seine Klamotten wieder an und geht ins Badezimmer, um seine Haare zu waschen.
Schnell suche ich mir ein paar Klamotten raus, trage ein wenig Wimperntusche auf und überschminke meine schwachen Augenringe mit den Resten meines Concealers. Nathaniels Rückstände von gestern haben ganz schön viel verbraucht ...
Mit nassen Haaren kommt Nathaniel zurück zu mir.
"Geh deine auch noch waschen und dann machen wir uns auf den Weg!"
Für einen schnellen Kuss auf die Wange von ihm ist zum Glück noch Zeit. Ich renne los und wasche meine Haare so schnell ich kann. Er macht ganz schön Zeitdruck. Das finde ich gut, da ich eigentlich jeden Morgen jemanden wie ihn bräuchte. Früher hat meine Mutter mich auch immer gehetzt, bis sie der Ansicht war, dass ich nun alt genug bin, um das hinzukriegen. Sie hat sich getäuscht. Das hat nichts mit meinem Alter zutun gehabt.
Ich föhne meine nassen Haare noch ein wenig, bevor ich zurück zu Nathaniel gehe, der bereits komplett angezogen auf mich wartet. Mittlerweile etwas gestresst ziehe ich meine Schuhe an, hole meine Jacke und schließlich noch meine Tasche.
"Kannst du mir nachher Blätter und einen Stift leihen?", fragt er leise.
"Klar", grinse ich, "aber die Blätter kann ich dir auch schenken, die musst du mir nicht zurückgeben."
Er wird rot, als ich darüber auch noch kichern muss.
Ich nehme seine Hand, um mit ihm gemeinsam das Haus zu verlassen.

Der unnahbare Schülersprecher? | Sweet Amoris - Nathaniel FF [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt