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Nach dem Abendessen spielte Tayanara mit ihren Geschwistern. Als Gutmachung für ihren fluchtartigen Abgang beim Frühstück. Aber die Kleinen hatten das schon wieder vergessen. Sie spielten Sinchas Lieblingsspiel mit Stöckchen und Steinchen, aber Taya konnte sich nicht richtig konzentrieren. Deshalb verlor sie auch eine Runde nach der anderen, was ihre Geschwister natürlich freute. Normalerweise ließ Taya sie nicht so einfach gewinnen. Aber ihre Gedanken waren bei dem mysteriösen Geräusch. Sie musste dem heute Nacht unbedingt auf die Spur gehen. Was mochte das wohl sein? Sie kannte beinahe alle Geräusche, die der Dschungel von sich gab, aber dieses war ihr unbekannt. Als es Zeit zum Schlafen war, konnte Taya die Augen nicht schließen. Hellwach starrte sie an die Decke der Hütte und lauschte, bis die Atemzüge ihrer Familie ruhiger wurden. Ewigkeiten später konnte sie endlich aufstehen. Dann stahl sie sich leise davon. Es waren keine Dorfbewohner mehr unterwegs, also niemand der sie beobachten könnte. Selbst wenn sie jemand aufhielt, konnte sie immer noch sagen, sie wolle ihre Bedürfnisse verrichten. Aber nichts passierte. Sie konnte problemlos das Dorf verlassen.

Zuerst ging sie zu ihrem Baum, um ihren Bogen und den Köcher mit Pfeilen zu holen. Vielleicht musste sie sich ja verteidigen. Dann war sie besser mit dem Bogen dran als mit dem Nahkampf.

Sie schlug den Weg in Richtung des Amazonas ein, dorthin, wo sie heute Mittag dieses mysteriöse Geräusch gehört hatte. Taya liebte den nächtlichen Dschungel. Er war genauso laut wie am Tag, aber nachts bestimmten andere Tiere das Leben. Am Fluss angekommen suchte sie einen Weg hinüber. Sie suchte sich eine Stelle, an der der Fluss nicht so breit und tief war. Trotzdem musste sie aufpassen, denn Krokodile liebten es hier. Schnell kletterte sie auf einen Baum, dessen Äste weit über das Wasser ragten. Sie griff nach einer Liane. Dann schwang sie sich über den Fluss. Wenn sie jetzt jemand beobachtete, würde es aussehen, als würde sie fliegen. Sie flog fast bis ans andere Ufer und wartete, bis sie kurz davor war, wieder zurück zu schwingen. Dann ließ sie los, flog leicht wie ein Blatt durch die Luft und landete souverän mit beiden Beinen auf der anderen Seite.

Sie hielt inne und lauschte. Sie musste dem Geräusch schon näher gekommen sein, aber es war nicht mehr zu hören. Sie konnte sich noch ziemlich genau daran erinnern, aus welcher Richtung es heute Mittag gekommen war. Es war wichtig, einen guten Orientierungssinn zu besitzen, denn hier im Urwald sah alles gleich aus und Menschen, die sich nicht auskannten, konnten sich leicht verlaufen. Sie wandte sich Richtung Norden und lief los.

Wenig später veränderte sich ihre Umgebung unmerklich, aber Tayanara fiel es trotzdem auf. Keine Vögel waren mehr zu hören, die Atmosphäre wirkte bedrohlich. Das war ein Zeichen für Tayanara, dass sie ihrem Ziel näherkam. Vorsichtshalber zog sie einen Pfeil aus dem Köcher und spannte ihn in den Bogen ein. Der Bewuchs von Pflanzen wurde weniger und plötzlich öffneten sich die Büsche und Tayanara stand am Rande eines riesigen Platzes.

Ihr blieb die Luft weg und der Mund offenstehen. Sie vergaß all ihre Deckung, weil sie der Anblick so schockte. Der Bogen baumelte unbrauchbar an ihrer Seite. Der Platz, der sich vor ihr erstreckte, war kahl und der Boden war aufgewühlt. Dort wo eigentlich massenweise Bäume und Büsche sein sollten, lagen Baumstämme nun in riesigen Stapeln am Rand. Was sollte das?

Weiter hinten entdeckte sie weiße Klötze mit Fenstern. Um was handelte es sich hier? Sie hatte wirklich keine Antwort auf die vielen Fragen, die ihr im Moment im Kopf herumschwirrten.

Als nächstes fielen ihr riesige große gelbe Dinger auf, die überall herumstanden. Sie bewegten sich nicht und gaben keine Geräusche von sich. Sie schienen auch nicht zu atmen. Unwillkürlich musste Taya diese Dinger bewundern, die sich so gut tarnen konnten, dass man dachte, sie wären unecht. Auch wenn sie wusste, dass das keine Tiere sein konnten, ging eine gewisse Gefahr von den gelben Dingern aus. Eigentlich sollte sie lieber vorsichtig sein und erst einmal abwarten, ob etwas passierte, aber ihre Neugier trieb Taya voran, ein Fuß nach dem anderen trat sie aus dem Schutz des Waldes heraus. Sie duckte sich und huschte über die trockene Erde. Etwa zehn Meter vor einem gelben Ding hielt sie inne. Falls es Taya kommen hörte oder sie sah, so ließ es sich das nicht anmerken. Es blieb weiterhin völlig bewegungslos.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt