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Das Geräusch von mehreren Bogen, die gleichzeitig gespannt wurden, ertönte. Irritiert löste sich Taya von Felipe und drehte sich langsam um. Und sah zehn Pfeilspitzen, die allesamt auf sie gerichtet waren. Oder besser gesagt, auf Felipe. Reflexartig stellte sie sich vor ihn und schob ihn hinter sich. Sie begriff sofort, was hier los war. Was das Problem war.

"Taya, was-?", fragte Felipe verwirrt.

Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm, nichts zu sagen. Sie musste die Krieger ihres Volkes davon abhalten, Felipe mit ihren Pfeilen zu durchbohren. Sie konnten nicht wissen, dass Felipe auf ihrer Seite gekämpft hatte, die Bagger lahmgelegt hatte. Für sie war Felipe der Feind.

Wann würde das endlich aufhören? Sie hatte so langsam genug, sich und Felipe immer wieder zu verteidigen, nur weil ihr Volk zu stur und engstirnig war, um das Offensichtliche zu begreifen. Sie hatte ihn doch geküsst!

"Nehmt die Bögen runter." Schützend hielt sie ihre Hand nach vorne, als würde das die Pfeile aufhalten.

"Geh aus dem Weg, Tayanara.", befahl der Krieger Juaz.

"Nein! Ich sage es euch allen ein letztes Mal. Felipe ist auf unserer Seite. Er hat geholfen, die Bagger – die gelben Dinger da – zu stoppen. Sonst wärt ihr alle überrollt worden!"

"Er ist einer der Männer, die den Regenwald zerstören! Sie bedrohen unser Dorf und unser Leben! Allein Christo hat diese gelben Monster gestoppt und uns geschützt."

Taya schüttelte fassungslos den Kopf. Sie hatte keine Antwort. Panisch suchte sie nach einem Ausweg aus dieser Situation. Sie konnte nicht mit Felipe fliehen. Zehn Bögen waren auf sie gerichtet.

Aber wenn sie einen überrumpeln könnte...?

Ohne lange zu überlegen, sprang sie auf Juaz zu und duckte sich unter seinem Bogen hindurch. Mit dem Fuß trat sie ihm in den Bauch. Überrascht von dem plötzlichen Angriff, ließ er seinen Bogen los, welchen Taya im Fall auffing. Bevor der Krieger sich wehren konnte, stand sie wieder vor ihm und spannte den Bogen.

Die Krieger holten empört Luft, als sie Taya mit dem Bogen in der Hand sahen. Sie verdrehte die Augen.

"Ihr könnt aufhören, so erschrocken zu wirken. Ihr wisst, dass ich einen Bogen halten und benutzen kann. Ich werde ihn auch benutzen, wenn ich muss."

"Tayanara! Wie kannst du es wagen, die Regeln deines Volkes so zu missachten?"

"Diese Regeln sind einengend. Und dumm und veraltet. Außerdem habe ich jede Regel mindestens einmal verletzt, einmal mehr oder weniger macht auch nichts mehr aus. Und nun nehmt die Bögen herunter. Felipe ist nicht gefährlich und er wird euch nichts tun."

"Dieses Benehmen muss bestraft werden. Dein Häuptling muss eine Strafe aussprechen!", rief ein zweiter Krieger. Einige stimmten ihm laut zu. Sie wandten sich zu ihrem Häuptling um. Doch sie schienen vergessen zu haben, dass er bewegungslos auf dem Boden lag. Don war über ihn gebeugt und trauerte.

Die Erkenntnis traf Taya wie ein Blitz. Der Häuptling war tot. Er hatte den Angriff von José nicht überlebt. Nun war Don der neue Häuptling. So wollten es die Regeln der Tukuta.

"Don!", rief Tayanara. Er wusste, dass Felipe nicht gefährlich war. Er konnte die Krieger als Häuptling überzeugen. Auf ihn würden sie hören. Doch Don reagierte nicht. Er war völlig in seiner Trauer gefangen.

Taya vergaß für einen Moment ihre Deckung, als sie erneut Dons Namen rief. Er musste aufwachen.

Die Krieger nutzten die Chance und rückten näher auf sie zu. Zwei umkreisten sie und kamen Felipe näher, der noch immer hinter Taya stand.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt