-10-

187 12 0
                                    

Trommeln weckten Tayanara aus einem unruhigen Schlaf. Sie hatte geträumt, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, was. Die Trommeln waren der Weckruf für alle Bewohner, denn heute würde der Christo ankommen. Der Geist Christo. Er war als kleines Kind in einer Hütte im Wald geboren worden und half seitdem den Menschen. Er heilte und schützte, er war heilig. Deshalb ehrten ihn diese Waldbewohner, damit er sie heilen und schützen konnte, und damit er auch im nächsten Jahr wiederkehrte. Der Geist Christo gab außerdem allen Neugeborenen ihren Namen.

Langsam streckte sich Tayanara und stand auf. Ihre Mutter saß schon am Herd, kochte und backte Sagofladen und flocht der kleinen Sincha nebenher die Haare.

"Guten Morgen. Wie spät ist es?", begrüßte Taya ihre Familie. In der kleinen Hütte war es noch relativ dunkel, nur ein bisschen Sonne fiel durch die Türöffnung. Taya streckte den Kopf aus der Hütte und kniff die Augen zusammen. Es war sehr hell, aber sie konnte erkennen, dass schon viele wach, geschminkt und gerichtet waren, bereit für die Ankunft des Christo.

"Mutter, die Sonne steht schon richtig hoch! Warum hast du mich nicht geweckt?" Ihre Mutter lächelte sie an.

"Taya, beruhige dich", sagte sie sanft. "Du hast noch genügend Zeit."

"Aber warum...?"

"Ich fand, du solltest ausschlafen, damit du nachher beim Fest wieder auf den Beinen bist." Ihre Mutter zwinkerte ihr zu. Taya verstand nicht. Normalerweise war ihre Mutter streng darauf bedacht, dass alle in der Familie früh aufstanden und so viel zur Dorfgemeinschaft beitrugen, wie nur möglich.

Und dann ging ihr ein Licht auf, als sie in die Augen ihrer Mutter sah. Sie hatten einen seltsamen Glanz. War das etwa...Stolz?! Sie hatte schon so lange keinen Stolz mehr gesehen, nicht, seit ihre Mutter das mit dem Jagen wusste. Sie hatte immer nur Missbilligung und Tadel in ihren Augen gesehen.

Es war wegen Cyr. Um den Mädchen gestern eins auszuwischen, hatte Cyr ihr den Arm um die Schulter gelegt. Für Tayanara hatte dies nichts zu bedeuten gehabt, aber für ihre Mutter musste es so ausgesehen haben, als würden sie sich annähern und kuscheln.

Schon vor langer Zeit, als Taya endlich verstanden hatte, was es bedeutete, jemanden zu heiraten, den man nicht heiraten wollte, hatte sie ihrer Mutter ihre Meinung vorgehalten. Dann hatte sie auch Enttäuschung in ihren Augen gesehen. Aber jetzt hatte sie ihren Funken Hoffnung wiedergefunden. Sie hatte die Hoffnung, dass ihre Tochter ihre Meinung geändert hatte und Cyr doch noch lieben und heiraten würde. Aber Tayanara wusste, dass sie den Funken niemals zu einem Feuer entfachen konnte. Sie konnte keine Liebe für Cyr zeigen, nicht so, wie ihre Mutter für ihren Vater empfunden hatte. Aber für den Moment beschloss sie, das Thema auf sich beruhen zu lassen, um ihrer Mutter den Funken nicht gleich wieder auszutreten.

»»»«««

Ihre Mutter hatte sie auf Hochglanz poliert. Nachdem Tayanara gefrühstückt hatte, schickte ihre Mutter sie, um sich zu waschen. Dann zog sie ihren festlichen Rock an, und ihre Mutter flocht ihr die widerspenstigen Locken. Taya wusste diese Geste so sehr zu schätzen, denn es war eine Ewigkeit her, dass ihre Mutter das getan hatte. Dann ließ sie sich schminken und bekam noch ein paar Blumen in die Haare gesteckt. Insgesamt, wenn sie so an sich heruntersah, fand sie sich ganz passabel.

"Du siehst toll aus. So wirst du ihm sicher gefallen. Und nicht nur ihm, allen!" So euphorisch hatte Tayanara ihre Mutter schon lange nicht mehr erlebt. Sie freute sich ein wenig, in ihren Augen wieder etwas zu sein, wenn auch nur hübsch. Andererseits wollte sie gar nicht hübsch aussehen. Wenn sie hübsch aussah, würden sie alle anstarren. Sie würde Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das konnte sie jetzt gar nicht gebrauchen. Aber sie beschwerte sich nicht, sondern lächelte ihre Mutter dankbar an, bevor die Trommeln erneut einsetzten und die Ankunft des Christo ankündigten.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt