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Die folgenden Tage stürzte Tayanara sich in Arbeit, um das Geschehene zu vergessen. Sie arbeitete von früh morgens bis abends und half, wo Hilfe benötigt wurde. Sie sprach nur das Nötigste und schloss jegliche Ablenkung weg. Wie zum Beispiel ihr gebrochenes Herz. An dem sie im Übrigens selbst schuld war. Manchmal nahm es ihr die Luft zum Atmen. Dann kniff sie sich selbst in den Arm, damit sie der Schmerz zurück in die Wirklichkeit holte.

Sie ging nach der Arbeit direkt ins Bett und schlief die Nacht, wenn auch unruhig und unter Tränen, durch. Sie ging nicht mehr in den Wald. Sie ging nicht mehr Jagen. Am Morgen stand sie auf, wischte sich die verquollenen Augen aus und machte dort weiter, wo sie am Abend aufgehört hatte.

Sie aß nur das Nötigste, um ihre Kräfte zu behalten, aber Hunger hatte sie keinen. Sie hätte auch das Trinken vergessen, wenn nicht Naira oder Kari oder sonst jemand mit einer Wasserschale vor ihr gestanden und sie zum Trinken genötigt hätte.

Die ersten Tage wunderte ihr Verhalten die anderen nicht, sie schoben es auf die Trauer um Anehi. Ihre Mutter war sogar erfreut, dass Taya sich endlich den Regeln ihres Volkes fügte und nachts nicht mehr auf die Jagd ging. Aber als es nach eineinhalb Wochen nicht besser wurde, machten sie sich doch Sorgen. Taya aber redete mit niemandem und vertraute sich noch nicht mal Naira an.

Sie versuchte nur, sich von ihrem schlechten Gewissen nicht verrückt machen zu lassen. Ihre Gedanken gaben keine Ruhe, drehten sich immer wieder um sich selbst und um dasselbe Thema.

"Taya", sagte eine Stimme und riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah nicht auf. " Taya, es reicht jetzt einmal. Ruh dich aus." Es war Kari, sie stand hinter ihr.

"Nein, das muss noch fertig gemacht werden.", murmelte Taya, die gerade wie besessen Sago aus einem Stück Palme kratzte.

"Taya! Ich sagte, ruh dich aus. Das war ein Befehl."

"Nur noch das hier. Ich muss nur noch das hier fertig machen."

"Nein!" Kari bückte sich und entwand Taya geschickt das Messer, mit dem sie arbeitete. Taya ließ es mit sich geschehen. Sie wollte nicht streiten, nicht immer aufmüpfig sein und sich gegen alles wehren. Da sie nun nichts mehr zu tun hatte und nichts mit sich anzufangen wusste- sie traute sich nicht, eine andere Arbeit aufzunehmen, Kari würde es ihr sowieso verbieten- ging sie zu Anehis Grab. Sie hatte es seit der Beerdigung nicht besucht. Sie konnte die Schuldgefühle sowieso schon kaum ertragen. Taya wusste aber, dass Cyr das Grab seiner Mutter jeden Tag besuchte. Fast erwartete sie, ihn dort vorzufinden.

Doch sie war alleine. Anehis Leiche war nach eineinhalb Wochen nicht mehr ganz so frisch, wie am Anfang. Was ganz logisch war, das war der Verlauf der Natur. Aber sie war überdeckt mit einem geflochtenen Teppich und streng riechenden Blumen, die die Tiere davon abhalten sollten, sich an den Toten zu vergehen. Taya setzte sich mit angezogenen Knien vor sie und sah auf den Boden.

Der Regen, der seit "dem Tag" regelmäßig nachts kam, kühlte die Luft ein wenig ab, was sie aber nicht weniger schwül machte. Auch kam ein leichter Wind, der durch die Bäume fuhr und wenn sie Glück hatte, sogar mal den Boden streifte. Um das Dorf und die Begräbnisstätte herrschte nicht allzu dichter Bewuchs, weshalb jetzt auch ein Wind über die Oberfläche fuhr und Tayas Haar aufwirbelte. Wie lange sie sich nicht mehr um ihr Haar gekümmert hatte.

Auch der Blätterteppich bewegte sich ein bisschen und gab den Blick auf Anehis lange Haare frei. Taya hob den Blick. Anehis Haare sahen kraftlos aus, matt, ja fast schon grau. Kein Wunder. Aber was waren das für weiße Flecken in ihrem Haar? Obwohl Taya ihre Ruhe nicht stören wollte, brach die Neugier aus ihr heraus und sie krabbelte langsam näher. Vorsichtig streckte sie die Hand aus. Sollte sie wirklich Anehis Haare berühren? Eigentlich war das gegen alle Regeln und Sittlichkeit. Es gehörte sich nicht, die Ruhe der Toten zu stören. Aber Taya interessierte es plötzlich brennend, denn die Flecken sahen nicht normal aus. Sie murmelte schnell ein "Verzeih mir, Anehi" und griff schnell in die Haare. Die weißen Flecken lösten sich und fielen in ihre Hand. Es waren keine Maden oder sonstiges Ungeziefer, nein, sie waren wie kleine runde Steinchen. Taya erkannte sofort, um was es sich hier handelte. Es waren Tabletten. Es waren die Tabletten, die Taya Anehi gegen das Fieber gegeben hatte.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt