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Endlich war sie wieder im Wald. Blätter streiften über ihre Arme und von Weitem hörte sie schon das Rauschen des Amazonas. Es war dunkel unter dem Blätterdach, Tayanaras Augen hatten allerdings nur kurz gebraucht, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Als sie sich auf den Weg gemacht hatte, war im Dorf schon Ruhe eingekehrt.

Taya holte als erstes wieder ihren Bogen und ihre Messer aus dem Baum und dann legte sie sich auf die Lauer. Sie liebte es, die ganzen Tiere in der Nacht zu belauschen, egal, ob sie schliefen oder auf Futtersuche waren. Wenn sie auf Bäume kletterte, entdeckte sie Faultiere, die schlafend von den Ästen hingen, den Bauch nach oben, manchmal sogar mit einem Jungtier darauf. Sie konnte in Nester von Vögeln schauen und musste darauf achten, auf keine Schlange zu treten, die sich um einen Ast gewickelt hatte. Ihre Fallen, die sie aufgestellt hatte, waren wohl einmal voll gewesen, denn überall hingen Fell- und Federreste und Blut. Da war ihr ein Raubtier wohl zuvorgekommen. Aber wenn sie auf die Spuren achtete, so drohte ihr keine Gefahr mehr. Das Tier war schon länger wieder fort. Danach schlich sie durch die hohen Bäume, durch Dickicht und Büsche, hatte aber wenig Glück. Sie gab dennoch nicht auf, das tat sie nie. Es war ganz natürlich, dass man manchmal nichts fing, das passierte auch den Männern aus dem Dorf. Immer auf der Hut und den Bogen im Anschlag, suchte sie weiter nach nachtaktiven Tieren, die ihr in die Falle gehen könnten. Dabei passierte sie eine Kolonie von Ameisen, die unzählige, kleine Blattstückchen vor ihr über den Weg trugen.

Und dann stand sie wieder am Amazonas. Es dämmerte bereits, in der Ferne färbte sich der Himmel schon heller. Im Hinterkopf hatte sie den Drang, wieder zu dem großen Platz zurückzugehen, immer wieder verdrängt. Sie hatte zwar immer wieder an Felipe denken müssen, aber er hatte sie mittlerweile wahrscheinlich längst vergessen, und das sollte sie besser auch. Trotzdem stand sie schneller auf der anderen Seite, als sie es hätte verhindern können. Ihr Herz leitete ihre Füße, ihr Kopf hatte nichts mehr zu melden. Und Taya ließ es über sich ergehen.

Der große Platz lag ruhig da. Die großen gelben Dinger, die während ihrem letzten Besuch bedrohlich gedröhnt und gearbeitet hatten, schliefen jetzt wieder. Und wenn Tayanara sich nicht täuschte, war der Platz in der einen Woche um so einiges gewachsen. Das war gar nicht gut. Ihr fiel auf, dass sie immer noch nicht genau wusste, was diese Männer hier machten.

Nun saß sie im Schutz einiger Büsche und beobachtete das Stillleben. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber sie wünschte sich, dass er wieder ganz plötzlich vor ihr stand, wie bei ihrem ersten Treffen. Es wurde langsam heller, der Wald hinter ihr erwachte, sie hörte Rascheln und Vögel zwitschern, aber auf dem Platz vor ihr tat sich nichts. Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber sie warf einen leichten gold-rosanen Schein auf den Platz. Sie wusste, sie musste jetzt gehen, sonst würde ihr Fehlen auffallen und sie würde den Rest ihres Lebens für immer im Dorf verbringen müssen. Und den Bogen musste sie auch wieder wegbringen.

Also richtete sie sich auf, ihre Knie knacksten sogar vom langen Ausharren, und wandte sich enttäuscht zum Gehen. Mit einem letzten Blick zurück, hoffte sie ihn zu sehen, und da tauchte plötzlich eine Gestalt hinter einem gelben Ding auf. Es war ein Mann, ein Mann mit Locken. Es war er, groß, mit weißer Körperbedeckung und im Morgenlicht sah er aus wie ein Engel.

»»»«««

Schwitzend erwachte er aus einem schrecklichen Traum. Anfangs war er eigentlich ganz schön gewesen. Er hatte von ihr geträumt, seit ihrer ersten Begegnung ließ sie ihn nicht mehr los, er träumte jede Nacht von ihr. Sie waren zusammen durch den Wald gelaufen, sie hatte sich in seine Arme geworfen und ihn stürmisch geküsst und sie hatten sich geliebt. Dann war die Szene aber plötzlich gewechselt, in eine dunkle schäbige Hütte, und er hatte sie sofort wiedererkannt. Diese Hütte war sein Zuhause, oder war es gewesen, in den Favelas in Rio de Janeiro. Das Bild seiner kleinen Schwester stand auf einer alten wackeligen Kommode, die eine ansonsten leere Wand zierte. Er sah sich selbst, über ein Buch gebeugt, am Tisch sitzen, seine Mutter in der Küche, seine Schwester hörte er draußen spielen. Plötzlich flog die Türe auf und ein betrunkener, zugedröhnter Mann stolperte herein. Sein Vater. Felipes jüngeres Ich versuchte, ihn zu ignorieren, es war nichts Neues für ihn.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt