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Er war die letzten Tage in monotone Arbeit verfallen. Seine Tage sahen alle gleich aus: aufstehen, arbeiten, schlafen gehen. Obwohl das mit dem Schlafen noch nicht so ganz funktionierte, denn seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Jede Nacht wälzte er sich in seinem Bett hin und her, ohne ein Auge zuzubekommen. Eigentlich wollte er mit dem Thema abschließen, es vergessen, aber wie ein Geist hatte sie sich in seinem Kopf eingenistet. Sie erschien ständig vor seinem inneren Auge. Ihr Lächeln, ihre Augen machten ihn verrückt. Er wollte das nicht nur in seinen Gedanken sehen, sondern auch in echt.

Es schmerzte ihn, dass er sie nicht mehr sehen konnte. Gleichzeitig war ihm aber auch klar, dass er selbst daran schuld war. Und dass er trotz allem das Richtige getan hatte, um sich selbst zu schützen. Vielleicht war das egoistisch, ja ganz sicher sogar. Aber sonst hätte sie ihm wieder das Herz gebrochen und das hätte er nicht noch einmal verkraftet. Deshalb redete er sich ein, dass es mit Tayanara sowieso nichts geworden wäre. Sie lebte schließlich im Wald. In seine Welt, nach Rio, hätte er sie nie mitnehmen können und ihr Herz schlug eindeutig für den Regenwald und die Natur hier.

Den Regenwald aber zerstörten er und die Holzarbeiter Tag für Tag mehr. Der Platz hatte sich schon sehr weit ausgedehnt. Jeden Tag wuchs er sogar noch ein Stück und nahm etlichen Tieren den Lebensraum. Felipe dachte nicht mehr darüber nach. Er versuchte, die Schuldgefühle zu verdrängen und alle Gedanken zu verbannen. Er sägte einfach die Baumstämme in gleichmäßige Stücke, damit sie wegtransportiert werden konnten. Taya hätte ihn für sein Verhalten wahrscheinlich gescholten. Er wollte doch eigentlich etwas dagegen unternehmen. Er wollte doch versuchen, die Holzarbeiter zu stoppen, aber ein einzelner Mann gegen mehrere Dutzend andere? Da wollte er sein Leben nicht riskieren. Er hatte seiner Schwester Maria und seiner Mutter nämlich versprochen, lebend aus dem Regenwald heimzukehren.

Felipe dachte, er hätte jegliches Zeitgefühl verloren, aber in Wirklichkeit wusste er, dass seit dem Streit mit Taya exakt vier Tage vergangen waren. Er fragte sich oft, was sie wohl gerade tat, ob sie im Wald umher schlich und auf die Jagd ging oder doch, nachdem Felipe mit ihr Schluss gemacht hatte, sich Cyr an den Hals geworfen und ihn geheiratet hatte. Allein bei dem Gedanken an ihren Verlobten, sträubten sich bei ihm alle Nackenhaare und in ihm stieg Wut und Übelkeit hoch. Die Vorstellung, dass Taya mit einem anderen zusammen war, war grauenvoll und tat weh.

Aber was beschwerte er sich überhaupt? Er hatte eigentlich gar kein Recht dazu, schließlich hatte er sie verlassen. Er hatte seine Entscheidung getroffen und nun musste er lernen, damit zu leben.

Am Abend des vierten Tages, aß Felipe alleine in seinem Container, als es an der Türe klopfte. Ungewollt machte sein Herz einen Sprung und schlug schneller. Er schluckte seinen Bissen hinunter. Wer war das denn? Ein Funken Hoffnung glomm in ihm auf, aber er unterdrückte ihn gleich wieder. Er durfte nichts erwarten. Sie würde sicher nicht nochmal vor seiner Türe stehen.

Langsam stand er auf und bewegte sich zur Tür. Es klopfte wieder, diesmal energischer und ungeduldiger.

"Ich komme schon.", rief Felipe. Er sah schnell an sich hinunter. Gut sah er nicht aus. Er trug wie immer ein weißes T-Shirt, das aber mit Flecken übersät war, und eine ebenfalls dreckige kurze Jeans und rasiert hatte er sich auch schon länger nicht mehr. Aber ihm war sein Aussehen in diesem Moment so egal, ändern konnte er es sowieso nicht mehr. Schließlich öffnete die Tür und bevor er erkennen konnte, wer es war, traf ihn eine Faust mitten ins Gesicht und ließ ihn nach hinten taumeln. Er versuchte sich noch mit der Hand am Tisch abzustützen, aber der Jemand schlug seine Hand weg und er krachte mit dem Rücken auf den Boden. Ein schwerer Stiefel wurde auf seine Brust gestellt. Er ächzte unter Schmerzen. Dann endlich klärte sich sein Blick und er konnte erkennen, wer da auf seinem Brustkorb stand. Es war José, der ihn schon fast diabolisch angrinste.

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