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Es regnete heftig, als Taya sich aufmachte. Als der Abend anbrach, hatte der Himmel zugezogen und nun regnete es in Strömen. Es war Regenzeit. Auf dem Dorfplatz hatten sich in Bodensenken schon kleine Seen gebildet. Ihre Füße blieben leicht im schlammigen Boden hängen, aber Taya nahm den Weg trotzdem auf sich.

Felipe wartete schon auf sie. Er stand unter einem Baum und hielt sich ein großes Blatt über den Kopf, um nicht nass zu werden. Er strahlte schon von Weitem, als er Taya entdeckte und ihr stockte der Atem. Plötzlich fiel es ihr schwer, weiter zu gehen. Sie hatte Angst. Angst, vor dem was sie sagen und wie er reagieren würde. Er sah so glücklich und erfreut aus, sie zu sehen.

Aber sie konnte jetzt nicht schlapp machen und sich in seine Arme werfen! Er war an Anehis Tod schuld und dafür sollte er büßen. Sie atmete tief durch, schloss ihre Angst und Trauer weg und ging mit emotionslosem Gesicht weiter.

Felipes Lächeln erlosch, als Taya nah genug war und er ihre Miene sehen konnte. Er setzte ein besorgtes Gesicht auf, durch das Taya sich aber nicht beirren ließ. Obwohl es ihr wirklich schwerfiel.

Zwei Meter vor ihm blieb sie stehen. Er wollte sofort auf sie zu laufen, aber blitzschnell zog sie ein Messer aus ihrem Gürtel und hielt es ihm entgegen. Sie durfte ihn nicht an sich heranlassen. Denn sie hatte die Vermutung, dass sie, sobald er sie auch nur berührte, schwach werden würde.

"Taya? Was ist denn los?" In seiner Stimme konnte sie Erstaunen hören. Nun musste sie ihm sagen, was es zu sagen gab. Noch einmal holte sie tief Luft und versuchte ihre Stimme autoritär und distanziert klingen zu lassen, obwohl das schwerer war als gedacht.

"Ich will dich nie mehr wiedersehen, verstanden?" Sie hatte sich ihre Sätze zuvor ganz genau zurechtgelegt und war sie auf dem Hinweg noch einmal durch gegangen. Doch jetzt schienen sie sich in Luft aufzulösen und Taya sagte das erste, das ihr in den Sinn kam.

"Was immer da zwischen uns war, ist jetzt vorbei. Ich habe dir wirklich vertraut, du warst echt gut."

"Taya, von was redest du?", fragte Felipe. Jetzt klang er verwirrt.

"Aber ich habe dich durchschaut. Es war doch alles nur eine List! In Wirklichkeit spielst du doch für die andere Seite."

"Wie bitte? Ich verstehe kein Wort von dem, was du redest!" Taya überging ihn einfach und sprach weiter. Mittlerweile hatte sie sich in Rege geredet.

"Du bist schuld an ihrem Tod! Du hast mir diese Medizin gegeben und sie hat nicht gewirkt. Im Gegenteil sogar! Du trägst die Schuld dafür, dass ein Freund und seine Familie um ihre geliebte Mutter trauern!"

Jetzt sah Felipe verzweifelt aus. Hatte er wirklich keine Ahnung, von was sie sprach? Nein, er konnte sich einfach nur gut verstellen.

"Ich lasse nicht zu, dass du mich und mein Dorf aus unserem Lebensraum vertreibst, nur damit ihr diese Bäume fällen könnt. Um sie an, was weiß ich, weiterverkaufen zu können. Ihr habt diese Bäume nicht so nötig wie wir und die Tiere, die in ihnen wohnen. Also schlage ich vor, du und deine Kumpanen verschwindet mit all euren gelben Dingern und Baggern und uns in Ruhe lasst, sonst bekommt ihr es wirklich mit uns zu tun. Wir sind nämlich nicht nur ein Waldvolk, das keine Ahnung vom modernen Leben hat. Wir können auch jagen und kämpfen mit unseren Waffen. Du kannst echt froh sein, dass ich dich nicht schon längst mit meinen Pfeilen und Bögen durchbohrt habe. Da hast du dich mit den Falschen angelegt." Sie holte tief Luft. Jetzt war es Zeit zu gehen.

"Leb wohl. Und lass mich und mein Volk in Ruhe." Dann drehte sie sich um und ging.

"Taya...", erklang es fassungslos hinter ihr. Aber sie schaute nicht mehr zurück, denn jetzt, da ihre Wut verraucht war, kam die Trauer und ihr traten die Tränen in die Augen. Sie begann zu rennen. Ihre nassen Haare klatschten ihr ins Gesicht und nahmen ihr die Sicht. Der Regen vermischte sich mit den Tränen auf ihren Wangen.

»»»«««

Er stand zurückgelassen am Waldrand. Er konnte nicht nachvollziehen, was gerade eben passiert war. Mit starrem Blick und offenem Mund starrte er ihr hinterher, bis sie im dunklen Dickicht verschwunden war. Den Arm, der das Blatt hielt, hatte er schon längst sinken gelassen. Nun tropfte ihm in regelmäßigen Abschnitten ein großer Wassertropfen ins Gesicht. Seine Haare waren komplett nass und kringelten sich wild um seinen Kopf. Auch seine Kleidung war nass und er fror, weil ihn alle paar Momente eine Gänsehaut überkam. Aber all das interessierte ihn nicht, er blendete es komplett aus, weil er nicht verstehen konnte, was gerade passiert war.

Warum brach sie so plötzlich mit ihm? Gestern hatte sie doch noch in seinen Armen gelegen, sie hatten sich wunderbar verstanden und er durfte ihr kleine Küsse auf die Stirn und Wange verteilen. Noch nie hatte er sich besser, gelöster gefühlt.

Aber nun wollte sie ihn nie mehr wiedersehen?

Erst nacheinander drangen ihre gesagten Worte in sein Gehirn ein und wurden verarbeitet.

Von was für einer List hatte sie gesprochen? Was sollte er vorgehabt haben mit seinen "Kumpanen"? An was war er schuld? Dann fiel ihm ihr nächster Satz ein. "Du bist schuld an ihrem Tod. Du hast mir die Medizin gegeben." Mit dem ersten Satz konnte er nur erahnen, wer gemeint war, aber der zweite machte es deutlich. Er hatte ihr die Fiebertabletten für ihre kranke Freundin mitgegeben. Anehi war ihr Name gewesen. Und diese war nun tot? Eigentlich hätte das Fieber zurück gehen müssen. Wie schlecht war Tayas Volk versorgt, dass jemand an Fieber sterben konnte? Dann dämmerte ihm, dass Taya ihn genau deswegen des Todes an ihrer Freundin beschuldigte. Sie hatte nicht überlebt, weil sie die Tabletten genommen hatte. Das war wohl Tayas Gedanke gewesen. Langsam fügten sich seine Gedanken und er erkannte, was Taya gemeint hatte. Sie dachte, er und die Holzarbeiter wollten ihr Volk vertreiben, um mehr Fläche holzen zu können.

Aber das war doch schwachsinnig. Er hatte ihr doch erklärt, dass er diese Arbeit verabscheute und nur nicht aus dem Vertrag austreten konnte. Er könnte ihr doch niemals weh tun oder sie aus ihrem Lebensraum vertreiben. Bevor das geschah, verhinderte er das selbst!

Er würde wirklich alles tun, um sie zu retten.

Aber nun hatte sie ihn fortgestoßen und er stand allein hier und sinnierte vor sich hin. Warum hatte er sie nicht aufgehalten, ungeachtet des Messers, und ihr alles erklärt? Dass er nichts dafür konnte und sie dann getröstet. Damit sie sich in seine Arme sinken lassen konnte und ihre Trauer ausweinen konnte. Liebend gerne hätte er ihr geholfen. Und noch lieber hätte er sie jetzt bei sich gehabt und sie geküsst. Ihr seine Zuneigung bewiesen.

Doch ihr hinterhergehen konnte er nicht, er würde sich hoffnungslos verirren. Er hatte keine Ahnung, wo ihr Dorf lag, nur aus welcher Richtung sie nachts kam. Und selbst da sah er nur so weit, wenn sie aus dem Dickicht auftauchte. Auch wie sie heute ausgesehen hatte. Die langen Locken hatten ihr am Kopf geklebt und sie unheimlich sexy wirken lassen. Er hatte sofort das Bedürfnis verspürt, ihr die Haare aus dem Gesicht zu streichen und sie wild zu küssen.

Aber nun stand er hier allein im Regen, zurückgelassen wie ein begossener Pudel und hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte.

Amazona GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt