*1. Erste Begegnung

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Schon seit Wochen sehe ich diesem Tag mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits freue ich mich natürlich, aber der größte Teil von mir schafft es einfach nicht, zuversichtlich zu sein.
Heute ist der Tag, an dem meine beste Freundin Katie nach Amerika auswandert, um mit ihrem Freund und Verlobten Dave zusammenzuleben. Obwohl ich weiß, dass sie wirklich glücklich mit ihm ist, fühle ich mich alleine gelassen. Schon bei dem Gedanken, dass sie schon bald im Flugzeug nach Detroit sitzt, zieht sich etwas in meiner Brust schmerzhaft zusammen und meine Kehle wird eng.
Es wird sehr lang dauern, bis ich sie wiedersehe, da ich momentan nicht wirklich in der Lage bin, einen Flug nach Amerika zu finanzieren. Wenn ich Glück habe, kann ich genug sparen um sie in einem halben Jahr wiederzusehen, aber selbst der Gedanke tröstet mich nicht.
Gemeinsam stehen wir an einem der vielen Fenster, von wo aus man den Flugplatz sehen kann, ohne etwas zu sagen. Katie hat noch eine halbe Stunde, bis sie ins Flugzeug gehen kann, bis dahin will sie bei mir bleiben. Ich weiß diese Geste zu schätzen, doch irgendwie habe ich das Gefühl, das ändern zu müssen. Sie soll nicht ständig zurückblicken müssen, aus Sorge es könnte mir nicht gut gehen.
"Ich fühle mich noch immer schlecht, dich hier alleine zu lassen", meint sie schließlich leise und ich atme tief durch. Damit spricht sie genau das aus, was ich befürchtet habe. Ich schaue sie von der Seite her an, beobachte wie ihre blonden Haare mit den braunen Strähnen über ihre Schultern fallen. Der Ausdruck in ihren braunen Augen ist traurig und voller Sorge. Manchmal hasse ich mich selbst dafür, dass ich der Grund dafür bin.
"Das solltest du nicht, Katie. Mir geht es sehr gut, ich komme schon klar. Immerhin ist das hier kein fremdes Land", beruhige ich sie und zwinge mich zu einem Lächeln. Doch gleichzeitig weiß ich, dass das der falsche Ansatz war. Obwohl sich so viel in mir sträubt, sie gehen zu lassen, starte ich einen neuen Versuch.
"Außerdem, du solltest dich freuen. Du und Dave werdet heiraten und zusammenleben, genau wie du das schon immer wolltest."
"Und was ist mit dir?"
Fast verdrehe ich die Augen. Sie hat sich doch schon längst entschieden, all ihre Möbel sind verkauft und die Wohnung gehört schon jemand anderem.
"Komm schon Katie, du kennst mich. Ich bin froh dich zu haben, aber ich möchte auch, dass du endlich das Leben lebst das du immer wolltest. Wer weiß, vielleicht treffe ich irgendwann auch jemanden, mit dem ich mein Leben verbringen möchte."
Nun lächelt sie mich leicht an, doch in ihren Augen glitzern Tränen. Für sie war diese Entscheidung nicht leicht, aber wir haben schon oft darüber geredet was passiert, wenn wir uns aus den Augen verlieren. Sie weiß, dass ich ihr nicht böse bin und sie weiß auch, dass unsere Freundschaft eine solche Trennung übersteht.
"Das hoffe ich sehr für dich."
Sie nimmt meine Hand und drückt sie sanft, dann rückt sie ihre Tasche zurecht und schaut auf die Uhr. Gleich muss sie los, sonst schafft sie es nicht mehr rechtzeitig durch die Sicherheitskontrolle.
"Du schreibst mir, falls sich etwas ergibt, nicht wahr?"
"Natürlich, und du rufst mich an sobald du gelandet bist", antworte ich und lächle erneut, dieses Mal ehrlicher. Und obwohl ich wahrscheinlich unglaublich blass und erschöpft aussehe, überzeugt sie das. Ein letztes Mal nimmt sie mich innig in den Arm und auch ich halte sie fest.
"Viel Spaß in Amerika", sage ich leise an ihrer Schulter.
"Danke, dir viel Glück."
Wofür sie mir Glück wünscht, sagt sie nicht, aber das ist nicht so schlimm. Ich weiß wie sie das meint.
Schließlich lassen wir uns los und sie lächelt zum Abschied.
"Ich werde dich echt vermissen, Mel. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns wiedersehen werden."
"Das glaube ich auch. Machs gut, Katie."
"Machs besser, Melody."
Mit dieser Antwort bringt sie mich wirklich zum Lachen, auch wenn es nur kurz ist. Danach dreht sie sich um und geht zu den Sicherheitskontrollen. Kurz bevor sie aus meinem Sichtfeld verschwindet, dreht sie sich noch einmal um und winkt. Auch ich hebe die Hand, dann ist sie endgültig weg.
Es fällt mir schwer zu begreifen, dass sie nicht mehr wiederkommen wird. Mit glasigem Blick starre ich an die Stelle, an der sie gerade eben noch stand, und versuche das zu verarbeiten.
Meine beste und einzige Freundin ist weg. Sie ist zwar nicht tot, aber sie wird von nun an nicht mehr ein so großer Teil meines Lebens sein können. Für einen Augenblick habe ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und meine Augen brennen, doch nach einer Weile geht es wieder.
Langsam drehe ich mich um und atme tief durch. Um mich herum herrscht reges Treiben, Leute mit Koffern rennen zu ihren Fliegern, oder verabschieden sich gerade voneinander. Stimmen erfüllen die Luft, verschwimmen in meinem Kopf zu einem einzigen Wirrwarr, ohne Bedeutung. Wie in Trance gehe ich durch das Terminal zum Ausgang.
Normalerweise bin ich ein recht aufmerksamer Mensch, besonders wenn ich alleine irgendwo unterwegs bin. Umso mehr erschrecke ich mich, als ich plötzlich mit voller Wucht gegen einen Mann im Anzug laufe, der mir mit einem großen Koffer im Schlepptau in den Weg tritt. Unsanft lande ich auf dem Boden, auch wenn meine Ellenbogen und Unterarme meinen Sturz abfangen.
Allerdings geht der Mann einfach weiter, nicht ohne mir vorher einen finsteren Blick zuzuwerfen. Dabei erkenne ich, dass er sein Handy ans Ohr hält, und ziemlich in Eile zu sein scheint.
Ohne mich zu beschweren oder seinen Blick zu erwidern, stehe ich auf und reibe mir dabei meinen rechten Ellenbogen. Der Boden ist genauso hart, wie er aussieht.
"Hey, Sie da mit dem Koffer!", ruft da auf einmal ein anderer Mann vor mir dem Typen hinterher, der mich umgelaufen hat. Dieser ist kleiner als der Erste und sein Anzug ist heller, außerdem bemerke ich bei ihm die Haarfarbe, schwarz. Unsicher bleibe ich stehen, nach wie vor die Hand an meinem Ellenbogen. Es ist mir schleierhaft, was der Schwarzhaarige von dem Anderen wollen könnte.
Kaum dreht sich der Angesprochene um, hebt der Kleinere die Hand wie um zu signalisieren, dass er es war, der ihn gerufen hat.
"Was?", fragt der Erste und hält sein Handy gegen seine Brust.
"Es heißt Wie bitte, aber anscheinend kann man von Ihnen auch das nicht erwarten", antwortet der Kleinere trocken. Das Gesicht des anderen Mannes sieht erst verwirrt, dann verärgert aus.
"Meine Güte, jetzt sagen Sie schon was Sie von mir wollen, ich muss meinen Flieger erwischen!"
Seine Stimme klingt nun genervt, doch den Kleineren scheint das wenig zu beeindrucken. Langsam gehe ich ein paar Schritte von den Beiden weg, denn diese Situation wird mir ein wenig zu geladen.
"Ich will bestimmt nichts von Ihnen, Sie Rüpel, aber ich bin mir sicher, dass die junge Dame hinter mir sich über eine Entschuldigung freuen würde. Übrigens, nicht weglaufen bitte", meint er plötzlich in meine Richtung und dreht den Kopf zu mir. Dunkelbraune Augen mustern mich kurz und ein winziges Lächeln erscheint auf seinen Lippen als ich stehenbleibe. Macht er das ernsthaft wegen mir?
"Nun, wenn sie eine Entschuldigung möchte, hätte sie aufpassen sollen, wo sie hingeht", erwidert der andere Mann mit einem genervten Blick zu mir. Augenblicklich schaue ich zu Boden, meine rechte Hand ballt sich zur Faust. Ich spüre die Angst in mir aufsteigen, wie der Wasserpegel der Themse, wenn die Flut kommt.
"Tsts, jetzt schieben Sies auch noch auf Andere, wirklich beschämend", tadelt der Kleinere und schnalzt mit der Zunge. Bevor der andere Mann reagieren kann, erhebe ich die Stimme.
"Bitte Sir, das ist schon in Ordnung."
Doch sobald ich mich selbst reden höre, weiß ich, dass ich damit niemanden überzeugen kann. Ich klinge schwach und unsicher, genau so wie ich mich fühle. Zum Glück zittert meine Stimme aber nicht.
Der Mann, der sich gegen meinen Willen für mich einsetzt, dreht jetzt wieder den Kopf zu mir und zieht eine Augenbraue hoch.
"Sind Sie sich da sicher?"
Als Antwort nicke ich nur, zu mehr fühle ich mich gerade nicht imstande. Mein Instinkt sagt mir, dass ich ganz schnell von hier verschwinden sollte, das leichte Zittern meiner Hände auch, doch ich wage es nicht, mich zu bewegen. Dieser Mann strahlt eine solche Autorität aus, dass ich es mir nicht einmal vorstellen kann, mich seiner Bitte zu widersetzen.
"Okay"
Er wirkt nicht wirklich zufrieden mit meiner Antwort, aber er dreht den Kopf zu dem Typen mit dem Koffer zurück.
"Dieses Mal kommen Sie anscheinend sehr leicht davon, aber seien Sie bitte das nächste Mal ein wenig höflicher, es würde Ihnen wirklich guttun", sagt der kleinere Mann zu ihm, er bemüht sich nicht einmal den spöttischen Unterton zu verbergen. Erleichtert beobachte ich wie der Typ mit dem Koffer genervt mit den Augen rollt, dann aber wieder seiner Wege geht. Mit einem missbilligenden Schnauben dreht sich der andere Mann wieder zu mir um, da höre ich den Typ mit dem Koffer doch noch etwas sagen.
"Halten Sie sich das nächste Mal gefälligst aus den Angelegenheiten anderer Leute raus, Sie Spinner!"
Daraufhin zieht der dunkelhaarige Mann beide Augenbrauen hoch und macht dann einen schon fast bedauernden Gesichtsausdruck, ohne sich umzudrehen oder mich wirklich anzuschauen. Da er mich offensichtlich nicht beachtet und mir die gesamte Situation mehr als unangenehm ist, nutze ich die Gelegenheit mich umzudrehen und wegzugehen. Meine Beine fühlen sich zittrig an, doch noch tragen sie mich. Ich versuche zu begreifen was da gerade passiert ist, und warum um Alles in der Welt dieser Typ meinte, für mich sprechen zu müssen.
"Warten Sie bitte", spricht mich da besagter Typ von hinten an und ich bleibe stehen. Nun klingt seine Stimme ganz sanft, nicht mehr so bedrohlich, und ich höre einen irischen Akzent heraus. Zögernd drehe ich mich herum und bemühe mich, freundlich auszusehen. Er kommt auf mich zu, seine schwarz glänzenden Schuhe klacken bei jedem Schritt auf dem Boden des Flughafens.
"Verzeihen Sie, dass ich Sie in diese unangenehme Lage gebracht habe, aber ich kann es nicht ausstehen, wenn sich jemand wie ein Idiot benimmt und es eigentlich besser wissen müsste", meint er mit einem Lächeln, bei dem seine hellen Zähne zum Vorschein kommen.
"Ist schon gut", antworte ich schnell, ich möchte so wenig Zeit wie möglich mit diesem Menschen verbringen. Obwohl er wirklich sehr nett und höflich zu sein scheint, ist er mir irgendwie unheimlich. Er hat etwas an sich, das ich nicht genau benennen kann, das mich aber in Alarmbereitschaft versetzt.
"Kann ich Ihnen vielleicht etwas Gutes tun? Ihnen einen Kaffee ausgeben zum Beispiel?", fährt er fort und hebt fragend beide Augenbrauen.
"Nein danke, ich trinke keinen Kaffee. A-außerdem muss ich nach Hause, tut mir leid", weiche ich seinem Angebot aus und er nickt.
"Ich verstehe. Darf ich Sie wenigstens nach draußen begleiten?"
Nun zögere ich mit meiner Antwort. Ich möchte nicht unhöflich zu ihm sein, das ist nicht meine Art, außerdem habe ich das Gefühl, dass es besser ist, es sich mit ihm nicht zu verscherzen.
"In Ordnung", antworte ich schließlich, und sein Gesicht hellt sich merklich auf.
"Es ist mir ein Vergnügen."
Er folgt mir durch die Halle zum Ausgang des Flughafens, ohne mir allerdings zu nahe zu kommen. Anscheinend hat er bemerkt, dass es mir unangenehm ist, Leuten zu nahe zu kommen.
"Geht es Ihnen gut?", fragt er plötzlich und ich zucke schon fast zusammen. Schnell überlege ich was ich ihm sagen soll, entscheide mich dann aber für die halbe Wahrheit.
"Nicht so ganz, meine beste Freundin ist gerade eben nach Amerika geflogen um dort ihren Verlobten zu heiraten."
"Oh, das tut mir leid zu hören."
Danach sagt er nichts mehr, was ich angenehmer finde. Schließlich kommen wir nach draußen und er will mich zu den Taxis begleiten, doch ich bleibe stehen.
"Ich fahre nicht mit dem Taxi, ich gehe lieber zu Fuß."
Da schaut er mich skeptisch an.
"Ich glaube nicht, dass Sie in Ihrer Verfassung weit kämen, nichts für ungut. Erlauben Sie mir, Ihnen das Taxi zu bezahlen, wenn Sie möchten, können Sie mir das Geld später zurückzahlen, falls Sie gerade nicht genug dabeihaben."
"A-aber das kann ich Sir, das kann ich nicht annehmen", protestiere ich, doch der Mann schmunzelt.
"Ich bestehe darauf."
Erneut zögere ich, ringe mit mir selbst. Allerdings fällt mir kein triftiger Grund ein, warum ich sein Angebot ablehnen sollte, immerhin möchte er mich ja nicht selbst fahren.
"Also gut, aber Sie bekommen das Geld auf jeden Fall zurück."
Damit gehen wir zu den wartenden Taxis und ich stelle mit Erleichterung fest, dass die Fahrerin des ersten Wagens eine Frau ist. Wie der Gentleman, der er zu sein scheint, öffnet mir der Mann die Autotür und gibt danach der Fahrerin eine Karte, auf der wohl steht an wen sie die Rechnung schicken soll.
"Wie heißen Sie eigentlich?", frage ich noch bevor ich die Autotür schließe und der Mann lächelt.
"Mein Name ist Moriarty, James Moriarty."


Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt