Prolog- Dad

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„In Fairy Tales There Is Always A Prince Charming And A Bad Guy. In Real Life The Bad Guy Is Prince Charming"

01.02.2007
Liebes Tagebuch,
heute kommt mein Daddy von seiner Geschäftsreise zurück. Ich freue mich total, weil ich ihn wirklich vermisst ha-

An der Tür klingelte es. Daddy war da! Ich rannte eilig aus meinem Zimmer, die Mamor-Treppenstufen nach unten und sah meine Mummy schon an der offenen Haustür stehen. Neugierig schaute ich auf ihren Rücken, der mir den Blick hinaus versperrte.

»Sind Sie Mrs. Mackenzie?«, fragte eine tiefe aber dennoch warm klingende Männerstimme hinter der Tür. Gespannt hörte ich zu, was die Männer zu sagen hatten. »Ja? Ist etwas passiert?«, fragte Mummy alarmiert und stützte sich am leicht Türrahmen ab. »Dürften wir eventuell hereinkommen?«

Sie nickte und drehte sich zu mir um. Ihr sonst so strahlendes Gesicht war etwas blass und ihre Hand zitterte leicht, als sie hinter den beiden großen Männern in Polizeiuniformen die Tür schloss.

»Ist alles okay, Mummy?«, fragte ich, als sie wie in Trance auf mich und die Couch zulief und sich setzte.

Sie antwortete mir nicht und starrte nach oben zu den Polizisten, die vor ihr standen, beide ihre Polizeimützen abnahmen und in der Hand hielten.

Warum sahen denn alle so traurig aus? Wäre Daddy hier, dann würde er bestimmt alle zum Lachen bringen. Ich verstand nicht, was hier gerade passierte, aber es konnte nichts Gutes sein.

»Mrs. Mackenzie?«, sprach der andere Mann meine Mum an, um ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. »Fährt ihr Mann einen schwarzen Jeep und war heute auf der Autobahn unterwegs?«

Mummy nickte und ihr lief eine Träne die Wange runter. Warum weinte sie denn? Waren die Männer nicht nett? Ich setzte mich sofort neben sie und legte meinen Arm auf ihre Schulter, um sie zu trösten. »Alles wird gut, Mummy.«, flüsterte ich in ihr Ohr, auch wenn ich nicht einmal wusste, worum es ging. Ich legte meinen Kopf an ihre Halsbeuge und sog den gewohnten Duft des Rosen-Shampoos meiner Mum auf.

»Es tut mir wirklich leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber...«
Der Polizist wurde von den leisen, verzweifelten Schluchzern von Mummy unterbrochen. Ich wollte für sie stark sein, aber als die Tränen begannen, ihr Gesicht herunterzulaufen, wurden auch meine Augen glasig.

»Er erlag seinen schweren Verletzungen noch am Unfallort. Unser Beileid. Wenn wir irgendetwas für Sie tun kö-«

»Gehen sie bitte einfach!«, bat Mummy ihn erschöpft. Was war passiert? Unfallort? Wovon redeten sie da?

»Mummy? Was ist los?«, fragte ich unsicher, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. Sie sagte nichts und nahm mich einfach in den Arm. Ihre Schluchzer vermengten sich mit ihrem Schniefen. Mehrere Minuten lagen wir so, bis sie mir schließlich leise ins Ohr flüsterte:» Avery, Schatz. Du musst mir jetzt gut zuhören, ja?« Erneut wischte sie sich die Tränen weg, die sich auf ihrer Wange angesammelt hatten. Noch nie hatte ich sie so traurig und hilflos gesehen.
»Daddy hatte einen Unfall. E-er wird nicht wieder zurückkommen, a-aber ich verspreche dir, er wird dich von da oben immer sehen können.«

Als ich begriffen hatte, was Mummy mir gerade erzählte, konnte auch ich die Tränen nicht mehr unterdrücken. Er war weg. Die Information gelangte erst später bei mir an. Es war so unwirklich, dass man beinahe denken konnte, es wäre ein böser Traum.

+++

Die gesamte vergangene Woche war ich nicht mehr in der Schule. Ich hatte sie auch nicht wirklich vermisst. Doch Mummy sagte, dass ich langsam wieder hingehen musste. Meine Grandma Winifred war auch da, da gestern die Beerdigung von Daddy war. Ich hatte ihm vor seinem Grab versprochen, gut auf Mummy und Granny aufzupassen. Immerhin waren sie die Einzigen, die ich noch hatte.

Ich hatte ein schönes, schwarzes Kleid getragen. Es war viel zu elegant für einen so traurigen Tag. Alle waren schwarz gekleidet und ich konnte es mittlerweile nicht mehr sehen. Sie sprachen ihr Beileid aus, aber ich nahm es nur weit entfernt wahr. Alles was ich hörte, waren die Stimmen der Polizisten, die sich immer und immer wieder von vorn abspielten. Er erlag seinen Verletzungen noch am Unfallort...

Granny war Daddys Mum und die coolste Grandma, die ich kannte. Sie war immer lustig und fröhlich, aber in den letzten Tagen hatte sie nicht ein einziges Mal gelacht. Ihre Augen hatten beim Erzählen keinen Glanz mehr und sie sah erschöpft aus. Verständlich, denn sie hatte ihren Sohn verloren, Mummy ihren Mann und ich meinen Daddy.

Mummy musste sich nach einem besser bezahlten Job umsehen, da wir sonst unser Haus hätten verkaufen müssen und Grandma hatte währenddessen auf mich aufgepasst.

Heute brachte sie mich in die Schule, bevor sie wieder zurück nach Louisville fuhr, wo sie ihren Laden hatte. Sie wohnte zwei Stunden von uns weg, weswegen wir sie nicht allzu oft sahen.

»Grandma, ich will da nicht rein.«, quengelte ich, als wir vor der aus rotem Backstein gemauerten Schule standen und zerrte aus Protest an ihrem Rock.

»Ach Avery.«, sagte sie und kniete sich zu mir herunter. Sie legte kurz mein Blumenkleid zurecht und und strich mir kurz über die Haare.

»Damals gab es auch eine Zeit, in der ich nicht in die Schule wollte, aber trotzdem rappelte ich mich jeden Tag auf und es war die beste Entscheidung. Jetzt ist es vielleicht schwer, aber ich bin mir sicher, dass dafür später mal etwas ganz Großes aus dir wird.« Sie lächelte mich warm an, doch ich erkannte, dass dahinter immer noch der Schmerz über Daddys Tod steckte.

Ich kniff die Augen kurz zusammen und holte tief Luft, bevor ich nickte, Granny einen Kuss auf die Wange drückte und die Treppe zum Haupteingang hochstieg.

Die ganze Klasse war bereits im Raum, als ich leise an der Tür klopfte und sie öffnete.

Alle Blicke lagen auf mir und es wurde immer unangenehmer, ihnen so ausgesetzt zu sein. Mrs. Smith, meine Lehrerin kam auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir wirklich Leid, Avery.« Ich nickte und setzte mich auf meinen Einzelplatz in der letzten Reihe.

Wie oft hatte ich diesen Satz in der letzten Zeit gehört? Mir das zu sagen, machte es auch nicht besser. Kam er dadurch etwa wieder zurück? Langsam hing mir dieser Satz zu den Ohren heraus. Sie kannten ihn nicht und wussten vielleicht nicht einmal, wie es sich anfühlte, einen Menschen zu verlieren.

In der Pause wollte ich einfach meine Ruhe, doch als Ryan, der Blödmann meiner Klasse auf mich zu kam, konnte ich das abhaken. Er war immer fies zu mir und ich hatte heute wirklich keine Lust auf seine doofen Sprüche.

»Ryan, bitte geh einfach! Ich habe keine Lust auf dich und deine fiesen Sprüche! Verschwinde doch einfach und lass mich in Ruhe.« Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich immer lauter geworden war, als ich ihn angeschrien hatte. Er verengte seine Augen zu Schlitzen und schlug mir wütend mein Tagebuch aus der Hand. Das, das Daddy mir vor zwei Wochen geschenkt hatte. An dem Tag, an dem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte...

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Nochmal eine kleine Info...

Ich weiß, dass es ein Klischee ist, dass am Anfang ein Elternteil stirbt, aber das hat etwas mit der Story zu tun... Wird man später noch erfahren ;)

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt