2.- Mr. Unbekannt?

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Ich war total müde, als ich am nächsten Morgen aufwachte.

Normalerweise hätte ich alles, was mich bedrückt, in mein Tagebuch geschrieben, aber da eben dieses verschwunden war, konnte ich nicht einmal das.

Als ich dann aber einen Blick auf mein Handy warf, zeigte es eine neue WhatsApp-Nachricht an.

Unbekannt: Wer ich bin, ist nicht wichtig und auch nicht, woher ich deine Nummer habe. Wichtig ist allein, dass ich dein kleines, rosanes Tagebuch mit einer alten, dreckigen Schleife drumherum habe.

Das bestätigte wohl, dass sie mein Tagebuch hatte.
Ich wurde aus ihren Nachrichten nicht schlau. Sie wollte mir nicht ihren Namen sagen und sie sagte auch nicht, was sie wollte, damit ich mein Tagebuch zurückbekam.

Wenn du mir nicht sagen willst, wer du bist, wie bekomme ich es dann zurück? Es ist mir wirklich sehr wichtig.

Ich wusste nicht, was ich sonst noch schreiben sollte, also packte ich schnell meinen Rucksack und fuhr mit dem Fahrrad in die Schule.

Die Schule an sich fand ich gar nicht so schlimm. Unterricht konnte Spaß machen. Das Problem waren bloß die Schüler.

Entweder sie machten mich nieder, weil ich anders war als sie oder sie machten mich nieder, weil ich ihnen ähnlich war und sie aber dazugehören wollten und nicht so enden wie ich. Es war der dumme Highschool-Kreislauf. Fressen oder gefressen werden war die Standartregel unserer Schule.

Ich schloss mein Fahrrad an und lief ins Schulgebäude, als ich Charlett mit Ryan rummachen sah. Sie hatte es also tatsächlich geschafft. Ich verstand es bloß nicht. Sie liebte ihn nicht und er sie nicht, sonst würden sie kaum auch noch mit anderen rumknutschen. Das war einfach nur ekelhaft und es ergab keinen Sinn.

»Was glotzt du so, Avery? Eifersüchtig?«, fragte Charlett, als ich an ihr vorbeilief.

Sie machte sich lächerlich, weil sie genau wusste, dass ich anders als sie tickte und nie auf sie eifersüchtig wäre, erstrecht nicht, weil sie mit Ryan rummachte, als gäbe es keinen Morgen.

Aber statt etwas zu sagen, hielt ich meinen Mund und ignorierte ihre dumme Frage.

Wenn ich keinen Stress wollte, was ich auf keinen Fall wollte, dann sollte man in solchen Situationen einfach den Mund halten.

Der Tag zog sich ziemlich lang ohne mein Tagebuch. Ich nahm mir heute ein Buch aus der Bibliothek, in der ich immer meine  Pausen verbrachte, und versuchte es zu lesen, aber ich war mit meinen Gedanken woanders.

Mrs. Brooks, die Bibliothekarin und Philosophielehrerin, schloss immer mir extra auf. Sie war die netteste Lehrerin, die unsere Schule hatte, auch wenn ich die ziemlich Einzige war, die das so sah. Die meisten mochten Mr. Smith am meisten. Er war der junge Sport- und Spanischlehrer. Mit seinem jungen Gesicht und dem leicht spanischen Akzent verfielen ihm alle Mädchen und die Jungs mochten ihn, weil er sie immer und egal was die anderen machen sollten, Football spielen ließ. Was der Lehrplan sagte, interessierte ihn nicht.

Ich konnte ihn aber nicht leiden, weil er ein blöder Angeber war. Manchmal redete er eine halbe Stunde über den letzten Besuch des Fitnesscenters, was nicht gerade zur Förderung unserer Sportnoten beitrug und ich diese Zeit eigentlich zum Üben bräuchte, da ich in Sport eh nicht die Beste war.

In letzter Zeit wurde es sogar noch schlimmer, da die Mädchen und Jungs getrennt Sport hatten, da die Jungs für das kommende Footballspiel trainieren mussten.  

Aber genug über Mr. Smith. Mrs. Brooks war vielleicht etwas griesgrämig, aber nur bei den Schülern, die sie nicht mochte. Und da ich nicht dazugehörte, konnte ich mich glücklich schätzen.

Zuhause tat ich dasselbe, wie immer. Ich lernte für die Schule. Ich wollte immerhin nicht unter der Brücke enden.

Nebenbei wartete ich gespannt auf die Nachricht von Ms. Unbekannt. Und tatsächlich kündigte irgendwann der Nachrichtenton eine WhatsApp-Nachricht an.

Unbekannt: Du wirst es nicht zurückbekommen. Vorerst zumindest.

Natürlich schrieb ich sofort zurück, solange sie noch online war.

Warum nicht? In welche Stufe gehst du überhaupt?

Ich wollte unbedingt etwas über die Finderin meines Tagebuches erfahren. Ich hoffte nur, dass es nicht Charlett, Mandy oder Jenny waren.

Glücklicherweise las Ms. Unbekannt meine Nachricht und antwortete auch darauf.

Unbekannt: Ich kann dir sagen, dass ich in die gleiche Stufe wie du gehe.

Wow, das half mir auch nicht viel weiter. Ich wollte mich unbedingt mit ihr treffen, aber ich war mir sicher, dass sie nicht zustimmen würde.

Können wir uns nicht treffen? Von mir aus auch morgen, während des Unterrichts.

Unbekannt: Sag bloß, du willst schwänzen. Das hätte ich von dir nicht erwartet.

Langsam nervte sie mich, wer auch immer sie war. Musste sie die Geheimniskrämerin spielen?

Wenn, dann würde ich eh nur Sport schwänzen. Wer braucht das Fach schon?

Unbekannt: Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber morgen habe ich Footballtraining. Da darf ich leider nicht fehlen. ;)

Footballtraining? Seit wann waren Mädchen für das Team zugelassen?

Und plötzlich ging mir ein Licht auf. Ms. Unbekannt war in Wirklichkeit ein Mr. Unbekannt! Nur wie war er dann an das Buch gekommen? Soweit ich wusste, hatten wir immer noch getrennte Toiletten. Vielleicht wurde es ja schon weitergegeben und insgeheim machten sich alle über mich lustig, ohne, dass ich es bemerkte. Aber das würde keinen Sinn machen.

Du bist ein Junge? Ich dachte, du wärst ein Mädchen!

Unbekannt: Tja, falsch gedacht, Ave. Macht es dir aber auch nicht leichter, zu erraten, wer ich bin. Ich werde es dir jedenfalls nicht sagen. Lass uns einen Deal machen. Wenn du es innerhalb eines Monates schaffst, herauszufinden, wer ich bin, dann bekommst du das Buch. Schaffst du es nicht, dann geht es durch die ganze Schule. Was hältst du davon?

Schwer schluckend las ich die Zeilen, die Mr. Unbekannt mir geschrieben hatte. Was war das denn für ein dummer Deal?

Und wozu das Ganze dann? Was bringt dir das denn?

Unbekannt: Es macht mir Spaß. Ich weiß wer du bist, aber du weißt nicht wer ich bin. Ich hab dich in der Hand und du kannst nur versuchen, herauszufinden, wer ich bin. Natürlich schreibe ich mit dir, wir wollen es dir ja nicht zu schwer machen. Aber ich verrate sicher nichts, was dich weiter bringen könnte. Viel Glück ;)

Das konnte er doch nicht machen! Was war er denn bitte für ein Mensch? Es würden so viele Schüler infrage kommen. Allein zu dem Footballtraining beziehungsweise der Auswahl für die Ersatzspieler morgen mussten alle Jungs der Jahrgangsstufe kommen. Das waren über sechzig Schüler!

Mir war jetzt schon klar: Ich musste es schaffen, oder mein Leben wäre ruiniert.

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt