39.- Die letzte Nachricht

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Den kompletten nächsten Tag und sogar den Morgen darauf, hatte ich die Jungs ignoriert. Meine Laune war ohnehin schon im Keller, aber dass ich nur noch bis Freitag Zeit hatte, bis meine Tagebuchseiten veröffentlicht würden, nahm mir gänzlich die Freude. Selbst Emma hatte ich davon nicht erzählt, aus der Angst heraus, sie könnte nichts mehr mit mir zutun haben wollen.

Und nun saßen wir seit heute Morgen, und mittlerweile war es schon drei Uhr Nachmittags, mit gepackten Koffern in unseren Zelten, es schüttete wie aus Eimern und wir warteten sehnsüchtig auf unseren Bus, der uns zum Flughafen bringen würde. "Blödes Wetter.", nölte Emma, die einen missmutigen Blick auf ihre Hotpants und Ballerinas warf. Ich grinste dämlich und bevor ich ihr antworten konnte, rief Mr. Smith uns schon aus den Zelten.

Mr. Elliot half den Schülern, ihre Koffer in den Bus zu quetschen und der Leiter, dessen Namen ich mir so schlecht merken konnte, schenkte jedem von uns noch einen Prospekt des Campingplatzes. Super Geschenk.

Wir hatten fast eine Stunde bis zum Flughafen gebraucht und dieses Mal war es noch voller, als auf der Hinreise. Überall drängelten die Leute, schrien oder lachten, umarmten oder verabschiedeten sich unter Tränen. "Hey.", meckerte ich, als ich an der Schulter gestoßen wurde und rechnete fest damit, dass es Ryan war. Allerdings überraschte es mich, Noah zu sehen, der mit grimmigen Gesichtsausdruck an mir vorbei lief. Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. Jungs!

Zu meinem Glück durften wir uns hinsetzen wie wir wollten und mussten nicht die gleiche Sitzordnung wie auf dem Hinflug nehmen, sonst wäre ich wahrscheinlich lieber in Spanien geblieben, als die Nähe dieses Trottels auszuhalten. Kaum hatte ich mich in den Sitz gesetzt, kam Mr. Smith durch die Reihen und teilte uns die Handys aus.

In der Erwartung, dass mir bloß meine Mum geschrieben hatte, öffnete ich Whatsapp. Und tatsächlich hatte sie mich gefragt, wann wir denn ankommen würden. Ich schrieb ihr schnell zurück, dass wir das noch nicht genau wüssten und ich ihr schreiben würde, wenn wir angekommen wären, bevor ich bemerkte, dass ich wieder eine Nachricht von einer unbekannten Nummer hatte. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, öffnete ich die Nachricht und überflog sie kurz.

Unbekannt: So liebe Avery, die Zeit ist so gut wie vorbei. Ich persönlich finde, es hat Spaß gemacht, mit dir zu spielen. Hattest du nicht auch Spaß? Freitag wirst du das bekommen, was du verdient hast. Wie heißt es so schön? Wie du mir, so ich dir... Und jetzt wünsche ich dir noch einen schönen Urlaub.

Mein Herz setzte kurz aus, als ich die vor Wut triefenden Worte des Unbekannten las. Ich schaute auf das Datum. Die Nachricht war gestern Nachmittag gesendet worden. Immer wieder ging mir die Frage durch den Kopf, was ich ihm getan hatte, damit er so einen Hass auf mich bekam, gerade als ich dachte, dass er vielleicht doch Erbarmen hatte. Aber ich war zu naiv. Das war ich schon immer gewesen und trotzdem hoffte ich, dass alles ein Happy End haben würde. Mit den Gedanken an mein Tagebuch driftete ich in einen mehr als ungemütlichen Schlaf.

+++

Nachdem meine Mutter mich gegen sieben Uhr morgens am Flughafen abgeholt hatte, freute ich mich nur noch auf mein Bett. Was für ein Glück, dass wir heute schulfrei bekommen hatten, sonst wäre ich spätestens in der zweiten Stunde vor Müdigkeit vom Stuhl gefallen. Das Einzige, das mich nervte, war, dass sie uns nicht Freitag auch noch frei gaben. Als ob dieser eine Tag einen Unterschied machen würde.

Ich schälte mich aus meiner Skinny Jeans, schlüpfte in meine Jogginghose und warf mich in mein Bett, als es klingelte. Meine Mutter war bereits auf der Arbeit und wer sollte bitte zehn Uhr morgens bei mir klingeln?

Ich beschloss, denjenigen einfach zu ignorieren und vergrub meinen Kopf unter dem Kissen, in der Hoffnung, das Klingeln einfach nicht mehr zu hören. Aber natürlich wurde mir keine Ruhr gegönnt, sondern unaufhörlich auf diese blöde Klingel gedrückt.

"Ich komme ja.", schrie ich wütend und warf einen Blick in meinen Spiegel. Augenringe, zottelige Haare bis zum Geht-nicht-mehr und einen Look, der aussah, als wäre ich eine dieser Ghetto-Bräute. Spitze

Ich trampelte die Treppen nach unten, riss die Tür auf und schlug sie sofort wieder zu, als ich sah, dass Ryan davor stand. Oh Gott. Da draußen war der Junge, der mich geküsst hatte und ich sah aus wie der letzte Penner.

"Avery", rief Ryan und klopfte wie ein Gestörter an der Tür. "Jetzt mach diese bescheuerte Tür auf."
Schnaubend überlegte ich, was ich machen sollte. "Was willst du?", rief ich immer noch etwas wütend, aber vorwiegend neugierig. Was suchte er denn hier?

"Mit dir reden. Bitte." Mit einem Seufzen öffnete ich die Tür und starrte in Ryan's braune Augen.
"Worüber willst du re-" Bevor ich zu Ende sprechen konnte, drängte er sich an mir vorbei ins Hausinnere und schnappte sich meinen Arm, an dem er mich nach oben in mein Zimmer zog.

Er drückte sich auf mein Bett und setzte sich mir gegenüber hin. "Ryan?", wiederholte ich, aber er antwortete nicht, sondern musterte mich bloß.

"Hör mal, das mit dem Kuss tut mir wirklich Leid und du hast auch allen Grund wütend zu sein, immerhin habe ich es dir in den letzten Jahren nicht immer leicht gemacht, aber du bist eben eine...Freundin geworden. Und deswegen möchte ich, dass es zwischen uns nicht...komisch ist."

Ich hätte noch so sehr abstreiten können, dass ich ihm das mit dem Kuss nicht verzeihen würde, aber er brauchte mich bloß mit diesem leichten Lächeln anschauen und ich zerfloss wie Wachs in seinen Händen. Außerdem war das wirkliche Problem ja, dass ich sauer war, weil er nicht zu ihm stand und nicht wegen dem Kuss an sich. Aber lieber würde ich mir die Zunge abschneiden, als ihm das zu sagen.

"Außerdem...muss ich dir noch was sagen." Seine Stimme war vollkommen ernst und mir schoss sofort die Frage in den Kopf, ob das der Moment wäre, in dem er mir seine unsterbliche Liebe gestehen würde. Ich konnte nicht anders, als zu schmunzeln, da das wohl das Letzte wäre, was ich von ihm erwarten würde. Und selbst wenn, würde dieses Geständnis wohl einem Mädchen wie Charlett zu Teil werden. Nein, das war es ganz sicher nicht.

"Ich verstehe, wenn du mich jetzt hassen wirst, aber ich kann nichts anderes tun, als zu sagen, dass es mir Leid tut, also-"

"Ist schon gut, Ryan. Ich weiß, dass dir der Kuss nichts bedeutet hat, also-"
"Warte, hat er dir etwas bedeutet?" Ich schluckte. Das hatte ich nicht gesagt. Aber so gemeint, verdammt.

"Nein, natürlich nicht. Das würde nie klappen. I-ich bin Avery. Die Avery, die du hasst und du...du bist eben Ryan."

"Ach ja, ich vergaß. Die Dame ist zu sich fein, um sich mit Leuten wie mir abzugeben, nicht wahr? So war es damals und so ist es immer noch." "Das habe ich nie gesagt. Nur habe ich keine Lust, von dir verletzt zu werden, kannst du das nicht verstehen?" 

Ryans wütender Blick wurde weicher, als er meine Unsicherheit bemerkte. "Verflucht.", flüsterte Ryan leise, bevor er seine Lippen zum zweiten Mal in dieser Woche auf meine legte. 

Im Gegensatz zum letzten Mal, steckte heute Wut in dem Kuss. Er war nicht so sanft, aber das musste er auch gar nicht sein, um die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Durchdrehen zu bringen. 

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt