1.- Where's my Diary?

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8 Jahre später

Ich schaute auf die große, gelbe Uhr, die mitten im Schulflur prangte und stellte fest, dass schon in fünf Minuten der Unterricht weitergehen würde, also beeilte ich mich, damit ich nochmal auf die Toilette konnte. Ich ging in eine der schäbigen, alten Kabinen und schloss ab, als ich das Klacken von hohen Schuhen hörte. Dann wurde laut eine Tür aufgestoßen und eine schrille Stimme ertönte:» Ich werde Ryan schon noch rumbekommen, Mädels. Bis zum Abschlussball ist er mir völlig verfallen.«

Die Stimme gehörte eindeutig Charlett. All die Jahre beleidigte sie mich, da hatte diese Stimme sich in meinen Kopf gebrannt, wie ein Brandzeichen. Neugierig legte ich meine Sachen ab und hielt mein Ohr an die Tür, damit ich mehr hören konnte. »Und wie willst du das machen?«, fragte Mandy oder Jenny, deren Stimmen ich noch nie unterscheiden konnte. Sie waren Zwillinge und Charletts Freundinnen, seit für uns die Highschool begann. »Ich setze die Waffen einer Frau ein, was sonst.« Ich konnte mir förmlich vorstellen, wie sie arrogant an ihren Nägeln herumspielte.

Aufmerksam verfolgte ich Charletts Plan. Ich konnte Charlett und Ryan noch nie leiden. Sie passten zusammen wie Pech und Schwefel. Beide hatten so dunkle, finstere Seelen.

Als es klingelte, verließen die drei Stöckelschuhtanten die Toilette wieder und ich schnappte mir ebenfalls schnell meine Tasche und rannte zum Unterricht. Ich war schon immer ein Mensch, der es hasste, zu spät zu kommen.

+++

Die letzte Stunde war vorbei und ich packte schnell meine Sachen ein, damit ich vor den anderen den Klassenraum verlassen konnte. Ich mochte es nicht, mich zwischen den lauten, grölenden, lachenden Schülern durchquetschen zu müssen, als ginge es um mein Leben.

Ich kramte eine Weile in meiner verhältnismäßig ordentlichen Tasche herum, um mein altes Tagebuch zu finden, doch es war nirgends. Ich hatte es doch vorhin noch. Das konnte nicht einfach so aus meiner Tasche verschwinden!

Leicht panisch spürte ich, wie mir übel wurde, wenn ich daran dachte, dass es jemand lesen könnte. Diese Zeilen waren einzig und allein für mich bestimmt. Niemand sollte je lesen, was ich hinein schrieb und nun war es weg. Ich schluckte den dicken, fetten Kloß in meinem Hals herunter und überlegte, wo ich es zuletzt hatte. Im Klassenraum vor der Pause war es noch da. Dann habe ich es mit in die Cafeteria genommen und dann war ich auf der Toilette.

Oh mein Gott, ich hatte es auf der Toilette vergessen. Wie von der Tarantel gestochen, lief ich in Richtung Toilette, in der Hoffnung, es zu finden, doch da lag nichts mehr. Die Kabine war komplett leer. Wie konnte ich bloß so dumm sein und es auf einer verdreckten, alten Schultoilette liegen lassen? 

Wütend auf mich selbst stampfte ich nach Hause. Mein Vater hatte es mir an meinem achten Geburtstag geschenkt. Kurz darauf war er bei einem Unfall gestorben.

Es war nicht einfach nur ein Buch, in das ich jeden Tag dasselbe schrieb. Ich hatte ihm alle meine Geheimnisse anvertraut. Es klebten wichtige Bilder darin, Konzertkarten, Erinnerungen, meine Zeichnungen und Geschichten.

Zuhause rupfte ich mir die Feder, die sowas wie mein Markenzeichen war, aus dem Zopf, den sie hielt und schleuderte sie wütend auf meinen Schreibtisch. Ohne Buch brauchte ich auch diese blöde Feder nicht!

Ich zog mir eines meiner Lieblingskleider aus, warf es in die Ecke und schlüpfte in eine gemütliche Jogginghose, wie ich es immer tat, wenn ich von der Schule kam.

Ich schmiss mich auf mein großes Bett und vergrub meinen Kopf in meinen unzähligen großen Kuschelkissen. Konnte der Tag eigentlich noch schlimmer wer-

Mein Handy gab einen Nachrichtenton von sich und vibrierte einmal. Wer schrieb mir denn bitte um 6 Uhr Abends noch? Für gewöhnlich kamen die einzigen Nachrichten von Mum oder Granny, die seltsamerweise auch WhatsApp hatte. Wozu eine 79-Jährige WhatsApp brauchte, war mir auch ein Rätsel.

Verwirrt ging ich an mein Handy und sah eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.

Unbekannt: Ich habe dein Tagebuch gefunden.

Teilweise geschockt, teilweise glücklich über die unerwartete Nachricht, griff ich nach meinem Handy und tippte den Text ein:

Wirklich? Also ich meine du hast es wirklich gefunden? Kannst du mir vielleicht sagen, wie es aussieht, damit ich weiß, dass es auch wirklich meins ist? Ach so, und wer bist du überhaupt und woher hast du meine Nummer?

Ich versuchte zu überlegen, wer alles meine Nummer haben könnte, aber die Auswahl war eher mickrig.

Außer einer Lehrerin, die sie hatte, weil ich einem ihrer Schüler Nachhilfe geben sollte und einem Mädchen, das in meinen Spanischkurs ging, hatte ich sie niemandem gegeben.

Ich wartete mehrere Minuten auf eine Antwort, aber auch nach 10 Minuten kam keine weitere Nachricht.

Seufzend ging ich runter in die Küche und hoffte mich mit Kochen ablenken zu können. Mum würde sich bestimmt darüber freuen, gerade weil sie als Anwältin nicht wirklich viel Zeit hatte.

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt