20.- Der Streber will schwänzen?

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Ich wurde wach, als ich irgendetwas laut krachen hörte. Grummelnd öffnete ich die Augen und entdeckte die leere Bettseite neben mir. Die Erinnerungen von letzter Nacht schossen mir ins Gedächtnis und ließen mir die Röte ins Gesicht steigen. Ich konnte die Enttäuschung und den Schrecken nicht leugnen, als er nicht mehr neben mir lag.

Gähnend taumelte ich ins Bad und wusch mich, bevor ich die Treppen nah unten in die Küche ging.

Ryan stand, immer noch in Boxershorts, am Herd, versuchte Eier, Speck und Pancakes gleichzeitig zu machen und verursachte dabei ein Heidenchaos.

»Was machst du hier?«, fragte ich halb lachend, halb geschockt. Erschrocken zuckte er zusammen und ließ dabei fast die Pfanne fallen, die er in der Hand hielt.
»Gott, musst du mich denn so erschrecken?«, erwiderte er darauf.

»Ist da jemand empfindlich?« Grinsend stellte ich mich neben ihn und begann die Sauerei wegzumachen. »Empfindlich? Ich? Ach bitte.« Augenverdrehend über sein Machogehabe fragte ich nebenbei:» Wie spät ist es eigentlich?«

»Kurz nach zehn.« »Wie bitte?«,fragte ich fassungslos und starrte ihn an. »Und warum weckst du mich da nicht? Wir haben Schule!« Ich fuchtelte hysterisch in der Luft herum und überlegte, was wir jetzt machen sollten.

»Ist da jemand empfindlich?«, wiederholte er meine Aussage von vorhin und kassierte von mir dafür einen finsteren Blick. »Wir sind doch eh zu spät, da brauchen wir jetzt auch nicht mehr hin.« »Soll das heißen, du willst schwänzen?«
»Nein, das heißt wir wollen schwänzen.«

»Vergiss es!« Ich weigerte mich, wegen ihm die Schule zu schwänzen. Niemals.

»Nun sei doch mal nicht so ein Streber, Avery! Du hast noch genug Zeit, an deinem Einserzeugnis zu arbeiten. Der eine Tag macht's jetzt auch nicht aus.« »Und wie lautet deine Ausrede dafür, dass wir nicht in die Schule gekommen sind?«

Ich gab es ja zu: Ich suchte immer nach Gründen dafür, dass etwas nicht klappte, als nach Gründen dafür, dass etwas klappte. Aber Schwänzen widersprach nun mal meinem Charakter.

»Keine Ahnung. Dass eine Grippe rumgeht oder sowas.«, antwortete er schulterzuckend und rührte das Ei um.

»Also gut. Dieses einzige Mal und dann nie wieder.« »Einverstanden.«

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»Und was machen wir jetzt, Mr. Obermacho?«, fragte ich, nachdem wir gefrühstückt hatten. Ryan könnte besser kochen, als ich, was kein Wunder war, aber er übertraf sogar meine Mutter. Daran könnte man sich echt gewöhnen. Also nicht an Ryan sondern nur an das Frühstück. Ryan war immer noch ein Kotzbrocken.

»Lass dich überraschen.« Wie ich solche unpräzisen Antworten hasste. Und ich hasste Überraschungen. Ich brauchte Gewissheit, egal um was es ging.

»Kannst du mir wenigstens sagen, was ich anziehen soll? ich will nicht mit Ballerinas im Wald rumlaufen.«

»Lass einfach das an, was du immer anhast.«

Ryan ging sich im Bad waschen und ich zog mich in meinem Zimmer um.

Einige Minuten später waren wir schon auf seinem Motorrad. Und zur Sicherheit hatte er mir auch noch die Augen verbunden. Er hätte mit mir theoretisch nach Timbuktu fahren können und ich hätte es nicht bemerkt. Ich traute mich aber auch nicht, die Augenbinde abzunehmen, da ich viel zu große Angst hatte, runterzufallen, wenn ich meinen Klammergriff um Ryan löste. Also wartete ich geduldig und nach 20 Minuten spürte ich, wie das Motorrad langsamer wurde, bis es schließlich ganz anhielt.

»Kann ich das Ding jetzt runternehmen?« »Nein, warte noch kurz.«, befahl er mir und mürrisch gehorchte ich.
Ich hörte leise einige Autos rauschen, Vögel zwitschern, Menschen reden, Kinder lachen.

Trotzdem hatte ich keine Ahnung, wo wir waren.

»Zwei Karten bitte.« Ryan's Stimme klang höflich, aber auch distanziert. Hoffentlich hatte er mich nicht in irgendeinen illegalen Boxkampf oder sowas mitgeschleppt. Dann würde ich sofort wieder umdrehen. Aber ich bezweifelte, dass sich in der Nähe eines solchen Kampfes Kinder aufhielten.

»Das wären genau 100$« Ich verschluckte mich beinahe an meiner Spucke, als die Frau den Preis nannte. Ich begann in meiner Tasche zu wühlen, doch Ryan hielt meine Handgelenke fest und ehe ich mich versah, flüsterte er mir ins Ohr:» Ich lade dich ein, immerhin schwänzt du ja extra wegen mir Schule.«

»Nein, Ryan. Das-« »Jetzt halt doch endlich mal die Klappe und lass zu, dass dir jemand was ausgibt.« Ich ließ die Schultern hängen und wartete, bis Ryan fertig war.

Je länger wir liefen, desto leiser wurde es. Ab und zu hörte man mal einige Kindergruppen reden, aber ansonsten war es ziemlich still.

Endlich blieben wir stehen und Ryan fummelte an dem Knoten hinter meinem Kopf herum, bis er sich löste und Ryan mir die Augenbinde abnahm.

Ich blinzelte einige Male gegen das Sonnenlicht an, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Ich schaute mich um und erkannte eine riesige Rasenfläche mit Pandas.

Wir waren in einem Zoo. Und Pandas zählten noch dazu zu meinen Lieblingstieren. Woher wusste er das? Oder war es vielleicht einfach Zufall?

»Krass.«, stieß ich begeistert aus.

»Früher, als ich noch kleiner war, waren Mum und Dad oft mit mir hier. Jedes Wochenende waren sie extra mit mir hierher gefahren, sie haben dafür jedes Wochenende über hundert Dollar ausgegeben, bloß weil ich die Löwen, Zebras, Elefanten sehen wollte.«

»Klingt toll.«, flüsterte ich. Dad war früher ständig unterwegs und auch Mum war arbeiten gegangen.

»Ja, aber je älter ich wurde, desto weniger Zeit hatten sie. Irgendwann stellten sie dann Yolanda ein, damit sie auf mich aufpasste, während sie arbeiten waren. Yolanda ging dann immer mit mir hierhin. Als ich älter wurde, bin ich Abends immer über den Zaun geklettert und hab mich irgendwohin gesetzt, um Nachzudenken oder einen freien Kopf zu bekommen.»

Ich wusste gar nicht, dass es ihm mir oft wie mir ging. Er war auch alleine, nur hatte es bei ihm einen anderen Grund und er ging damit anders um. Meine Mum musste so viel arbeiten, da wir sonst unser Haus verkaufen müssten. Und Ryan's Eltern? Naja, sie waren wahrscheinlich einfach nur profitgierig.

Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich darüber nach, aus welchem Grund Ryan früher immer so gewesen war. Ich hätte nie daran gedacht, dass er es vielleicht tat, um vor den anderen cool zu tun.

Vielleicht waren wir uns ähnlicher, als ich dachte...

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Tut mir Leid, dass so lange nichts kam, aber in der Schule war Endsport. Es kamen Referate, die letzten Arbeiten und Tests, aber bald ist der Stress vorbei... Für 6 Wochen zumindest :) Deswegen kommen jetzt hoffentlich wieder öfter Kapitel

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt