21.- Ausflug ins Nirgendwo?

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Wir gingen an mehreren Gehegen vorbei, bis wir in einer Art Tempel ankamen, in dem es einige Informationsstände gab, sowie Wasserbecken, kleine Springbrunnen und verschiedene Pflanzenarten.

»Darf ich dich was fragen?«, fragte ich nach einiger Zeit in der wir einfach etwas gegangen waren, ohne zu reden.

»Klar, alles was du willst, Nerd.« Dieses Mal grinste er nicht, sondern er lächelte. Aufrichtig.

»Liebst du deine Eltern?« Ich beobachtete genau seinen Gesichtsausdruck. Wie sich seine Stirn runzelte, seine Augenbrauen sich sträubten und sein Mund sich immer wieder zu einer Antwort verzog, die dann seine Lippen doch nicht verließ.

»Ich weiß nicht. Sie waren immer existent, aber nie wirklich da. Manchmal kamen sie mir fremde Menschen vor, die ab und zu in unserem Haus übernachteten. Ich kann es nicht sagen. Sie sind meine Eltern, also denke ich schon irgendwie. Was ist mit deiner Mum?«

»Sie ist Klasse, obwohl sie so viel arbeitet. Sie ist manchmal zwar etwas peinlich, aber trotzdem total liebenswert.«

»Peinlich? Also ich finde sie...« Er machte eine Pause, in der er anscheinend nach dem passenden Begriff suchte. »außergewöhnlich offenherzig.«
»Wow, na das hat's getroffen.«, bestätigte ich grinsend.

»Und was ist mit deiner Schwester? Vermisst sie ihre Eltern nicht auch total?«
»Sie sieht sie nur am Wochenende, ich denke, man kann nichts vermissen, was man nie hatte, oder?«

Ich überlegte einige Zeit und sagte darüber nach, was er gesagt hatte. Und schließlich kam ich zu dem Entschluss, dass er Recht hatte. Man konnte nichts vermissen, was man nicht hatte. Aber man konnte sich danach sehnen. Und ich denke, dass Ryan sich nach mehr als bloß einem guten Ruf sehnte. Vielleicht lehnte ich mich auch etwas weit aus dem Fenster, aber ich denke, er sehnte sich einfach nah jemandem, der ihm zuhörte und ihn verstand.

Ungewollt war wohl ich zu dieser Person für ihn geworden. Und umgedreht.

Nachdem wir eine komplette Stunde später die meisten Tiere gesehen hatten, verließen wir den Zoo wieder und fuhren in die Stadt. Ich war selten in der Stadt. Eigentlich nur, wenn ich mal eine neue Jeans brauchte oder etwas für die Schule.

Dementsprechend kannte ich mich hie Reben auch aus. Anscheinend fiel Ryan mein verunsicherter Blick auf, da er fragte:» Alles okay mit dir? Ist dir schwindelig?« Fast schon fürsorglich betrachtete er mich von oben bis unten. »Nein, nein. Alles gut. Und was hast du jetzt hier vor?« Schulterzuckend antwortete er:» Was man in der Stadt eben so macht.«

Genervt stöhnte ich auf und fragte weiter:» Und was macht 'man' in der Stadt so?«

»Shoppen, Eis essen, Kino, du weißt schon. Das ganze Zeugs eben. Du als Mädchen musst das doch wissen.«

Er dachte immer noch, dass ich eines dieser klischeehaften Mädchen war, die nichts anderes im Kopf hatten, als Mode, Jungs, Bands, Jungs, Mode.

»Ryan. Wie oft denn noch? Ich war bisher vielleicht fünf Mal in der Stadt und davon war es zweimal wegen der Bibliothek.«

Seinen Blick konnte man nur als fassungslos deuten. Als wäre es so unwahrscheinlich, dass es noch normale Leute gab.

Auf einmal griff Ryan nach meiner Hand und zog mich hinter ihm her. »Dann haben wir aber eine Menge nachzuholen.«

Ich konnte die Situation noch nicht ganz begreifen, da waren wir schon im ersten Laden für Klamotten. Skeptisch schaute ich mich um. »Und was sollen wir hier?«

Überall hingen lange und kurze Kleider. Glitzernd, matt, neon. Alles war dabei.

»Bald ist doch dieses Schulfest. Ein Kleid würde dir da sicher nicht schaden, was?« »Ich gehe da eh nicht hin!«

Entweder hatte er meine Frage nicht gehört oder er ignorierte mich absichtlich, denn er zog ein paar Kleider raus und legte sie mir auf den Arm, bevor er mich in eine der Umkleiden schubste.

»Hassen Jungs nicht eigentlich shoppen?«, fragte ich, in der Hoffnung, diesen ganzen Mist umgehen zu können.

»Mögen Mädchen nicht eigentlich shoppen?«, stellte er mir die Gegenfrage und setzte mich somit Schachmatt.

Seufzend ergab ich mich und zwängte mich hintereinander in irgendwelche Kleider, die er mich gereicht hatte.

Als ich gerade das fünfte anprobierte, wurde der Vorhang aufgezogen und Ryan schlüpfte in die Kabine. »Bist du bescheuert? Was fällt dir ein einfach so hiereinzuk-« »Psscht.«, zischte er und hielt mir die Hand vor den Mund. Das war eindeutig zu viel Nähe und darauf reagierte ich nicht positiv. Ich begann zu schwitzen und mein Herz klopfte. Irgendwann würde ich wohl zu jemandem mit Angst vor Körperkontakt werden.

»Halt einfach kurz den Mund.», flüsterte er mir leise ins Ohr. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, wodurch ich bemerkte, dass der Reißverschluss des Kleides noch offen war.

Ohne etwas gesagt zu haben, spürte ich plötzlich Ryan's warme Hände an meinem Rücken. Ich schluckte, da mir noch nie jemand so nah gekommen war, erstrecht nicht mein Grundschul-Feind, den ich eigentlich hassen sollte, was ich auch bis vor kurzem noch tat. Aber irgendetwas hatte sich geändert. Ich wusste bloß nicht, ob mir das gefiel oder nicht.

»Was willst du denn jetzt hier drin?«, fragte ich zickig, aber immer noch flüsternd. »Da draußen ist-«
»Vielleicht ist hier noch frei.«, drang eine Stimme von außen in die Kabine und ehe wir uns versahen, standen Charlett und ihre Freundinnen mit uns in der Kabine.

»Charlett?« »Avery?«, fragten wir beide gleichzeitig und gleichstark geschockt. »Charlett.«, wiederholte Ryan weniger überrascht. Anscheinend wusste er, dass sie in den Laden kam.

Erst jetzt schien sie Ryan zu bemerken. »Ryan? Was machst du mit dieser Hinterwäldlerin hier?« Und dann kam etwas, womit ich nicht gerechnet hätte. Sie klatschte Ryan eine. Eine Heftige. »Ich hätte es wissen sollen. Ich kann bloß nicht fassen, dass du diesen niveaulosen Streber mir vorziehst. Du bist einfach nur ekelhaft. Und dir, Avery, rate ich, dich nicht auf ihn einzulassen. Er hat sogar mit mir gespielt, was glaubst du hat er dann mit dir vor?«
»Wage es nicht, so über Menschen zu reden, die du nicht kennst.«, drohte Ryan ihr, wobei sein Gesichtsausdruck so kalt wie nur selten war.

Sie stürmte wutentbrannt aus dem Laden, wenn ich mich nicht täuschte, hatte sie sogar Tränen in den Augen. Anscheinend mochte sie ihn wirklich. Plötzlich tat sie mir Leid. Es sah wirklich so aus, als hätte ich etwas mit ihrem Freund gehabt.

Ich schickte Ryan aus der Kabine, zog mir meine Sachen wieder an und verließ ebenfalls den Laden, ohne auf Ryan zu warten. Allerdings kam dieser mit hinterhergejoggt und holte mich schnell ein. »Warte doch mal!«, rief er. »Was ist denn los?«

Abrupt hielt ich an und starrte ihn in seine braunen Augen. Kopfschüttelnd sagte ich schließlich:»Läufst du nicht gerade der falschen hinterher? Deine Freundin ist da lang gerannt.« Ich zeigte mit den Finger in die entgegengesetzte Richtung. »Vielleicht solltest du dich wirklich von mir fernhalten. Machen wir einfach so weiter wie vorher. Vielleicht ist es so besser. Na los, mach schon und erkläre ihr, dass da rein gar nichts zwischen uns war, bevor es zu spät ist.«

»Da war also nichts?«, fragte er wütend. Ich wusste nicht genau was er meinte.
»Ich dachte, endlich einen Menschen gefunden zu haben, der mich versteht. Aber wenn du das so siehst, tut es mir Leid, dir deine Zeit gestohlen zu haben.«

Er drehte sich um, stieg auf sein Motorrad und fuhr weg. Das hatte ich ja mal wieder toll hinbekommen.

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt