9.- Meine Mum

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In der gleichen Minute kam sogar noch die Antwort.

Unbekannt: Habe ich dir doch gesagt. Ich wollte dich motivieren.

Verständnislos schüttelte ich den Kopf über seine Antwort. Hatte ich ihm etwas getan? Wollte er sich an mir wegen irgendetwas rechen? Ich verstand ihn einfach nicht.

Das nennst du motivieren? Sowas ist einfach nur grausam und mies von dir!

Und abschicken. Schlimmer konnte es eh nicht mehr werden. Vielleicht, dass jemand erfuhr, dass ich mal eine Zeit lang auf eine Band aus Deutschland stand. Aber es kam Schlimmeres als Tokio Hotel, nicht wahr?

Und damit beschloss ich, ihn zu ignorieren. Ich ließ mir den Alltag von ihm nicht mehr verderben.

Zuhause ersetzte ich mein Tagebuch vorerst gegen einen Schreibblock und meine Feder fand wieder Platz in meinem Zopf. Ich war bereit, wieder ich zu sein. Mein Leben bestand nicht aus einem Tagebuch und dessen Erinnerungen darin, sondern aus der Zukunft.  Und die konnte ich selbst bestimmen. Kein Unbekannter, der meinte, sich auf meine Kosten unterhalten zu müssen.

Als die Tür aufging, erschrak ich, da ich ziemlich in Gedanken versunken war. Meine Mum stand grinsend im Türrahmen, was mir etwas Angst machte, da sie selten so grinste.

»Bist du angezogen? Ist dein Zimmer aufgeräumt? Wann hast du das letzte Mal geduscht?«

Ich schaute an mir runter. Natürlich war ich angezogen. Als ob ich nackt in meinem Zimmer herumlaufen würde. »Äh... Gestern Abend. Was soll denn die Aufregung, Mum?» Verwirrt runzelte ich die Stirn.

»Du hast Besuch.«, rief sie glücklich. Seit wann bekam ich Besuch? »Okay, du kannst reingehen. Sie ist nicht nackt!«, rief meine Mum lachend und Ryan stellte sich in den Türrahmen neben ihr.

Fassungslos schaute ich meine Mum an. War sie verrückt geworden? Peinlicher ging es wohl echt nicht. Ich wurde glühendrot und war mir dabei nicht mal bewusst, ob es wegen der Wut auf meine Mutter war oder aus Scham.

»Ich lass euch beide erst mal in Ruhe.« Hinter sich schloss sie die Tür und trampelte die Treppen runter.

Zwischen uns entstand peinliches Schweigen. Zumindest war es von meiner Seite aus peinlich. Deswegen brach ich es auch durch die Frage:» Was machst du hier?«

»Das Referat, schon vergessen?«
»Du wolltest die Arbeit auf mich schieben, schon vergessen?«

»Musst du damit schon wieder anfangen? Kannst du nicht einfach damit zufrieden sein, dass ich da bin?«

Nun sollte ich über seine Anwesenheit auch noch glücklich sein? Klar wollte ich, dass er mir half, aber wenn er dann ein Gesicht zog, wie drei Tage Regenwetter, dann konnte ich auf seine Hilfe auch verzichten.

»Gut, aber dann mach auch was und sitzL nicht nur am Handy.« Am Liebsten hätte ich mir die Hand vor den Mund geschlagen. Das war immerhin Ryan, mit dem ich da redete.

»T-tut mir leid, das wollte ich gar nicht sagen.« Skeptisch betrachtete er mich, begann dann aber zu grinsen. Warum grinste der denn jetzt so blöd?

»Was?«, fragte ich beleidigt und verschränkte meine Arme. »Nichts.«, sagte er und unterdrückte ein Lachen. Fand er es lustig, dass er mich gerade total verwirrte? Ich fand das nämlich richtig blöd von ihm.

»Nun fang schon an.«, forderte er mich schließlich immer noch grinsend auf.

Ich verstand ihn einfach nicht. Er war so undurchschaubar.

+++

»Ich hab euch Essen gemacht, Kinder!«, rief meine Mum lautstark von unten.

Gequält verzog ich das Gesicht. Nicht weil meine Mum nicht kochen konnte. Eher weil sie den Drang hatte, immer etwas ganz Besonderes zu kochen, wenn jemand zu Besuch kam. Und dann ging es meistens total in die Hose.

Unten angekommen, meinte ich zu ihr:» Ryan muss jetzt eh gehen, Mum.«

»Ach Unsinn, ich bedanke mich sehr für die Einladung, Mrs. Mackenzie.« Mir warf er einen triumphierenden Blick zu. Er wusste genau, dass ich es hasste, wenn er mir oder meiner Familie nahe kam. Wir hassten uns und das sollte auch so bleiben. Jemand wie er und ich konnten nicht Freunde sein. Dafür war mir Charakter und ihm Aussehen zu wichtig.

»Wie habt ihr euch denn kennengelernt?« Was sollte das werden? Ein Verhör? Innerlich betete ich, dass dieser Tag bald ein Ende hatte, damit ich mich vor mein Ersatz-Tagebuch setzen  und nach Belieben Zeichnen und Schreiben konnte.

»Primary School«, antwortete ihr Ryan. Musste er das erzählen? Damals wusste meine Mum noch, wie es mir in der Schule ging. Sie wusste auch, dass dieser Junge und dieses Mädchen Ryan und Charlett hießen, aber anscheinend hatte sie es vergessen. 

Mum stellte irgendeinen grünen und angeblich gesunden Auflauf auf den Tisch. Wenn man nicht aufpasste, könnte er sich verselbständigen, davon kriechen und versuchen, andere Leute zu vergiften. Als hätten Spaghetti nicht einfach gereicht.

Ich lehnte mich zurück und grinste bösartig, als Ryan zu verstecken versuchte, wie sehr ihn das gesunde Essen anekelte. Mindestens genauso wie mich.

»Also ich hab vorhin in der Schule was gegessen, aber Ryan hat sicher Hunger, nicht?«

Er wollte zum Essen bleiben, um mein Leben für seine dumme, nächste Aktion auszuspionieren? Dann musste er auch mit meiner Mum und ihrem scheußlichen Gerichten klarkommen. Pech gehabt.

»Das freut mich. Wenigstens einer, der ordentlich was isst.«

Aber nichts von dir, fügte ich in Gedanken zu. Es klang zwar fies, aber je besser sie die Sachen machen wollte, desto schlimmer wurden sie. Die einfachsten Gerichte waren wirklich die besten. Zumindest was Mum betraf.

Ryan lud sich die Gabel voll und schob sie sich in den Mund. Dann schluckte er den ganzen Bissen auf einmal runter, ohne überhaupt zu kauen und trank zwei riesige Schlücke seines, natürlich frischgepressten Saftes.

Irgendwie schaffte er es, den ganzen Teller zu leeren, wobei ich ihm angeekelt, aber auch fasziniert zuschaute.

»Auf Wiedersehen, Ryan. Ich hoffe du kommst uns bald mal wieder besuchen.«, rief meine Mum, als er durch die Haustür trat. »Ja, komm doch mal wieder zum Essen.« Glücklicherweise erkannte nur er die Ironie in meinem Satz. Meine Mum hätte mich mit Sicherheit umgebracht.

Er warf mir einen bösen Blick zu, grinste dann aber und antwortete:» Das bekommst du schon noch zurück, Nerd.«

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt