8.- Grundschulzeit

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Es klingelte zur Pause und ich packte meine Sachen in meine Tasche, um den Raum schnell zu verlassen, in dem ich bis eben Unterricht hatte.

Ich zwängte mich schnell zwischen den ganzen Schülern durch, um bei Mrs. Brooks den Schlüssel für die Bibliothek zu holen, da sie heute Aufsicht hatte und mir somit nicht selbst aufschließen konnte. Eigentlich durfte sie das ja nicht, aber da es sowieso niemand mitbekam, ging das in Ordnung.

Ich lief an der "Elite" vorbei und bog um die Ecke zum leeren Bibliothekstrakt, als Ryan mich aufhielt.

»Hör mal, du musst das Referat fertig machen. Ich hab jetzt Training und somit wichtigeres zu tun.«, sagte er und wollte wieder gehen.

»A-aber das geht nicht. Ich schaff das alleine auch nicht. Ich habe auch was zu tun!«

»Und was hat ein Nerd wie du bitte nach der Schule zu tun, außer Schulsachen zu machen, wozu das Referat ja gehört?« Er sah genervt aus, aber das war ich auch. Ständig musste er sich so unausstehlich verhalten.

»Gewisse Sachen eben, das geht dich auch nichts an.« Ich konnte ihm ja schlecht hat sagen, dass ich Räuber und Gendarm* mit einem Unbekannten spielte.

»Dann mach deine Scheiße auch selbst.«

»Das ist nicht meine Scheiße! Immerhin bekommst du die Note genauso wie ich. Also entweder du hilfst mir dabei oder...«

»Oder was?« Er lächelte mich falsch an, da er dachte, ich hätte nichts gegen ihn in der Hand.

»Oder deine Eltern erfahren, was du alles mit Charlett treibst!« Es war kein Geheimnis, dass Charlett eine Schlampe war, aber sowas würde ich nie sagen. Ich hasste dieses Wort und auch wenn es stimmte, war es gemein.
Jedenfalls konnten Ryan's Eltern Charletts Eltern noch nie leiden, weil beide Väter reiche Ärzte waren und damals die Entscheidung stand, wer das Krankenhaus weiterführen durfte.

»Ich schwöre dir, wenn du das machst, dann bring ich dich um, Avery.« Als er mir unweigerlich näher kam, zweifelte ich doch an meiner Entscheidung und hätte es besser gefunden, das Referat alleine zu machen.

Meine Atmung verschnellerte sich, als ich nicht mehr zurückweichen konnte und gegen die Wand knallte. Ich schaute auf den Boden und mied seinen Blick, der mir noch mehr Angst machte, als Ryan es ohnehin schon tat. »Das wirst du mir büßen, Nerd.«

Er stieß mich nochmal an der Schulter, bevor er um die Ecke bog und verschwand.

Oh Jesus Maria, in was hatte ich mich da reingeritten?

*Räuber und Gendarm= Ein Kinderspiel (Versteck-Fangen)

+++

Als ich am Nachmittag an meinem Schreibtisch saß, beschloss ich, dem Finder meines Tagebuchs die nächste Frage zu stellen.

Was willst du eigentlich mal werden? Also berufstechnisch?

Ich wartete eine halbe Stunde, bevor ich nachschaute, ob er geschrieben hatte. Er hatte es gelesen, aber nicht geantwortet. Er war auch online. Verwirrt überlegte ich, ob er gerade darüber nachdachte, was er einmal werden wollte und ging wieder offline. Mehrere Stunden wartete ich auf eine seiner Nachrichten, aber nichts. Gegen 7 Uhr am Abend schickte meine Mum mich auch noch einkaufen und danach musste ich noch duschen und essen. Und selbst als ich gegen halb Zwölf im Bett lag, zeigte mein WhatsApp keine Nachricht, was normalerweise nicht ungewöhnlich wäre. Doch ich hatte das Gefühl, dass der Unbekannte sich an das hielt, was er sagte. Weswegen antwortete er also nicht mehr?

+++

Heute war Mittwoch und das hieß, dass ich nur noch zweieinhalb Wochen Zeit hatte, herauszufinden, wer der Unbekannte war. Und dass er mir nicht mehr schrieb, erschwerte meine Suche umso mehr.

Als ich auf mein Handy schaute, hätte ich tatsächlich eine Nachricht von ihm.

Unbekannt: Vielleicht sollte ich Krimineller werden, würde sicher gut zu mir passen, was? Übrigens habe ich für etwas Motivation bei der Suche gesorgt.

Ich runzelte verwirrt die Stirn, während ich mir meine Converse anzog und die Tür hinter mir zuzog. Was denn bitte für eine Motivation?

Der Weg zur Schule kam mir heute noch viel länger vor als sonst. Jede Minute fühlte sich wie eine Stunde an.

Ich schloss mein Fahrrad an, als mir Charlett lachend entgegenkam. Ich ignorierte sie, doch als sie »Hey, Nerd!« rief, blieb ich stehen und drehte mich geduldig zu ihr um. »Ja?«, fragte ich freundlich und hoffte, ihr Spruch wäre wenigstens so dumm wie die tausend anderen, die sie brachte, doch dieses Mal hatte ich mich getäuscht.

Als sie bloß weiter kicherte und Jenny und Mandy sie nachahmten, wie zwei Klone, beschloss ich zu gehen.

Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und ein Luftzug stieß mir entgegen. Auf dem Boden lagen tausende von verteilten Zetteln.
Gab es etwa schon wieder Werbung fürs Schultheater? Ich hob einen der Zettel auf und begann zu lesen:

12.12.2008
Liebes Tagebuch,
heute ist mir etwas Peinliches passiert. Wir hatten Schwimmunterricht und als wir uns wieder umziehen sollten, waren meine ganzen Anziehsachen weg. Deswegen musste ich mir von einem Jungen aus meiner Klasse Anziehsachen leihen, da er der Einzige war, der Wechselsachen dabei hatte. Sie waren mir viel zu groß und dann bin ich auch noch über das Hosenbein gestolpert und alle haben gelacht. Ich wette, es waren Ryan oder Charlett.

Ich könnte schwören, mein Herz war kurz stehen geblieben, als ich realisierte, dass das ein Tagebucheintrag von mir aus der 4. Klasse war.

Und er war tausendfach in der Schule verteilt. Schnell versuchte ich die ganzen Zettel aufzusammeln, bevor sie noch mehr sahen, aber das war schwerer als gedacht.

Ich warf einen ganzen Stapel in die Mülltonne unserer Schule, doch da es zum Unterricht klingelte, musste ich den Rest wohl oder übel liegen lassen.

Etwas das ich im Unterricht noch nie getan hatte, war am Handy zu schreiben. Doch jetzt war es einfach nötig.

Warum hast du das getan? Was hat es dir gebracht, meine Tagebucheinträge zu kopieren und tausendfach zu verbreiten?

The lost Diary  #WattyCompetitonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt