Schwankend öffnete ich die Wohnungstür. Wie viel Uhr war es? Vier Uhr morgens? Ich wusste es nicht. Der Alkohol hielt mich warm und ich hatte keine Probleme länger draußen im kalten Herbstwind zu verweilen, aber Karl rief mich mehrere Male an und machte sich Sorgen.
''Da bist du ja!'', sagte er erleichternd als er mich sah. Ich nickte und alles drehte sich. Woah, da hatte ich wohl ein bisschen zu tief ins Glas geschaut. ''Wo ist Lynn?''
Ich fing wieder an zu Weinen und dachte an meinen Fehler. Ich war eigentlich nicht der Typ der heult, aber nun ja, Lynn war meine große Liebe und ich war stockbesoffen. Mit meinem Ärmel wischte ich mir die Tränen weg und zuckte mit den Schultern.
''Ich hab's ihr gesagt'', meine Stimme zitterte, ''ich bin so ein Idiot.'' Da waren sie wieder. Ich schmeckte das Salz der Tränen in meinem Mund und Karl umarmte mich. Fuck auf dieses Typen-können-sich-nicht-umarmen-Ding, er hielt mich fest und ich weinte. Laut. Selbst seine Freundin kam aus seinem Schlafzimmer, weil ich so laut heulte. Aber wo war eigentlich Lynn? Scheiße. Noch bevor ich weiter denken konnte, kramte ich mein Handy aus meiner Hosentasche und versuchte ihren Kontakt in meinem Telefonbuch zu finden. Schwierig, wenn man kaum klar sehen kann. 5 mal rief ich sie an, 3 mal sprach ich auf ihr Abi und hinterließ 4 Nachrichten per SMS. Wenn ihr irgendwas passiert war, dann war das ganz alleine meine Schuld.
''SCHEISSE'', schrie ich laut. Immer noch im Flur, neben Karl und seiner Freundin, Larissa. Beide zuckten zusammen und sahen mich an, als wäre gerade ein Weltkrieg ausgebrochen. ''Sorry'', kam es aus meinem Mund gemurmelt.
Ich spürte mein Handy vibrieren und voller Hoffnung ging ich, ohne vorher auf's Display zu gucken, ran.
''Lynn?'', erwartungsvoll sprach ich in den Hörer.
''Natürlich nicht, du Idiot.'', Till. Na super. ''Hab deine Freundin heute Nacht weinend an 'ner Bushaltestelle aufgegabelt, was denkst du dir eigentlich?''
''Geht's ihr gut?''
''Ja, super. Chillt mit 'nem Cocktail an den Malediven.'', ich konnte den ironischen Unterton von meinem Bruder erkennen. ''Natürlich nicht.''
Ich seufzte und hielt mir meine Hände vor den Augen. ''Bitte sag ihr, dass ich sie liebe.''
''Felix, dir ist bewusst, was du getan hast, oder? Man, reiß dich doch mal zusammen, die Nummer mit Ben war ja schon lächerlich, aber dann noch mit 'ner anderen rummachen? Deine Freundin hat Krebs, nur mal so. Sie könnte jeden Moment abkratzen.'', er klangt gereizt und seine Worte wirkten wie das Benzin schütten in eine Flamme. Doch mein Bruder merkte, dass er zu weit ging und entschuldigte sich. ''Tut mir leid, Felix. Aber ich weiß auch nicht was ich machen soll. Nach langem schläft sie jetzt endlich und ich will nicht wissen, was sie macht, wenn sie aufwacht. Kann sein, dass sie wieder zu ihrem Bruder abhauen will.''
''Kann ich zu dir kommen, bitte ich will sie sehen, sie ist doch -'', versuchte ich zu betteln. Ich wollte ihr Gesicht sehen und sie küssen, ihr sagen, wie sehr es mir leid tut.
''Nein, Felix. Jetzt nicht. Wir sprechen morgen weiter.'', dann erklang das Tuten nach dem Auflegen.
Ich sah zu Karl und Larissa, die mir während des ganzen Telefonats zugehört hatten. Karl meinte, ich solle auch schlafen gehen und Larissa stellte mir irgendeinen ekelhaften Pfefferminztee ans Bett, um 'mich zu beruhigen'. Ich trank einmal draus und spuckte den Rest in meine Pflanze, die auf meiner Fensterbank stand. Danach schaute ich noch mal auf mein Handy. Nichts. Vielleicht sollte ich noch mal anrufen, oder einfach doch nach ihr sehen? Ich wählte ihre Nummer und quatschte auf ihr Anrufbeantworter, danach bereute ich es. Zu Till zu gehen würde nichts bringen, er würde mir nicht mal die Tür öffnen.
Der nächste Morgen.
Scheiße. Mein Kopf schmerzte wie verrückt und der Wecker zeigte 14:21 Uhr an. Völlig verpennt griff ich in meine Schreibtischschublade und kramte Kopfschmerztabletten raus. Danach checkte ich mein Handy. Drei verpasste anrufe. Doch meine Hoffnungen erfüllten sich nicht, es war nur Till und nicht Lynn. Dennoch rief ich sofort zurück.
''Morgen'', verschlafen sprach ich in die Leitung.
''Guten Morgen Bruderherz, geht's dir besser?'', anders als gestern, klang er diesmal sogar ziemlich nett.
''Hm. Wie geht's Lynn, kann ich sie sehen?'', ich war aufgeregt.
''Geht so. Die ist jetzt in der Klinik, wegen Chemo und so. Ich hab ihr gesagt, dass sie wieder zu mir kommen soll, keine Ahnung, ob sie's wirklich macht.''
''Okay, danke. Bitte melde dich wieder, wenn sie da ist.''
''Mach ich, aber ich bezweifele, dass sie dich sehen möchte.''
Das Telefonat war schnell beendet und da ich sowieso keinen Hunger, geschweige denn die Energie hatte, irgendwas anderes außer schlafen zu tun, legte ich mich wieder ins Bett.
Tage vergingen, Till meldete sich zwischendurch und sein Verdacht wurde wahr. Sie wollte mich nicht sehen. Verständlich. Ich machte nicht mehr, als zu schlafen, zu trinken und auf's Klo zu gehen. Meine Hygiene ließ nach und ich war seit guten 5 Tagen nicht mal mehr duschen, dazu war ich einfach nicht in der Lage. Unsanft wurde ich von einem Klingeln geweckt. Gerade als ich aufstehen wollte, hörte ich Karl's Schritte und das Öffnen der Wohnungstür. Ich konnte Stimmen erkennen und erhob mich. War das etwa -? Ja, Lynn stand vor mir, in unserem Zimmer, sie sah verheult aus und hatte ihre typischen roten Augenringe, die sie immer nach der Chemo hatte. Vielleicht war es mir vorher nie so wirklich aufgefallen, aber sie war extrem dünn. Ich konnte glatt meine ganze Hand um ihren Oberschenkel legen. Wir standen nun beide Angesicht zu Angesicht da und regten uns nicht. Nach guten 15 Sekunden hob sie ihren Arm, um sich am Kopf zu kratzen.
Sie räusperte sich. ''Ich will nur meine Sachen holen.''
Lynn wollte gerade zum Schrank gehen, doch ich griff nach ihrem Arm und sah ihr in die Augen. ''Bitte Lynn, lass uns reden.''
''Reden? Da gibt's nichts zu reden, ich bin enttäuschst du..'', sie unterbrach ihren Satz um zu schnaufen, Tränen kullerten von ihrem Auge, ''.. du hast mich verletzt und ich hab mir Sorgen gemacht, dass ich was damit zu tun haben könnte, bin ich dir etwa nicht mehr gut genug, ist es das?'', sie weinte noch mehr.
''Nein, Lynn...''
''Weißt du was, lass es einfach, ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich..'', mit beiden Armen schlug sie auf mein Oberkörper ein und weinte, ich hielt sie fest und umarmte sie und nach kurzer Zeit hörte sie auf und weinte noch mehr. ''Ich liebe dich doch so sehr.'', unterzeichnet vom Schluchzen, kamen diese Worte aus ihrem Mund.
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The only exception // Felix Brummer (Kraftklub)
Fanfiction''Das ich dich mag heißt nur, dass ich nicht weiß, wie man das anders sagt.''