Nun befand' ich mich in Till's Wohnung und ich muss sagen, ich habe noch nie so ein Saustall gesehen. Echt nicht. Er war derjenige, der mir vor 15 Minuten hinterhergerannt war und sich für das Verhalten seines Bruders entschuldigt hatte. Ich war enttäuscht, dass es nicht Felix war, um ehrlich zu sein. Aber das Thema war fertig und vergessen. Heute würde ich bei Till übernachten und morgen würde ich zurück nach Köln fahren. Sowas hatte ich echt nicht verdient. Ich musste mit meinem Leben zurechtkommen, doch alles was ich tat war davon zu laufen. Und während ich davon lief, rannte mir ein anderes Problem entgegen und alles prallte zusammen. So konnte ich nicht mehr leben.
Till platzierte eine Wodka und Organensaftflasche vor uns. Er mischte beides zusammen und gab mir ein Glas davon. Es fühlte sich so befremdlich an hier zu sein. Bei dem Jungen, dessen Bruder ich angeschrien hatte. War ich vielleicht doch zu hart? Hatte ich überreagiert? Ich war schon so völlig betrunken, doch der Wodka gab mir den Rest. Ich versank in den Konsequenzen meiner eigenen Taten.
''He, sei nicht traurig. Felix kommt sich bestimmt voll dumm vor, der sagt halt manchmal Scheiße die er nicht so meint.'', Till stupste mich leicht von der Seite an und ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln.
''War aber auch ziemlich dumm was ich da von mir losgelassen habe.''
''Nee, der Felix der braucht sowas manchmal. Den muss man zusammenscheißen und dann kapiert der was los ist. Mach dir da keinen Kopf.'', ich nickte und trank ein Schluck, dann noch einen und noch einen. Irgendwann schlief ich auf Till's Schulter ein und wachte gegen 5.30 morgens wieder auf. Mein Nacken schmerzte, doch Till schlief wie ein kleines Baby weiter. Ich stand auf um ins Bad zu gehen. Eiskaltes Wasser prallte auf meine Haut, als ich mich entschied mein Gesicht damit abzukühlen. Ich zog mein Shirt aus und stellte mich seitlich zum Spiegel. Der blaue Fleck war immer noch da. Und er war groß. Und ich spürte diesen Hass und die Verletzlichkeit als ich ihn im Spiegel betrachtete. Daniel konnte nichts dafür, dass ihn der Schmerz so auffraß, dass er den einzigen Ausweg im Alkohol sah. Trotzdem tat es mir körperlich und seelisch unendlich weh. Gewalt war niemals okay und eigentlich sollte man sie sich auch nicht schön reden.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Till die Badtür mit voller Wucht aufriss.
''Lynn, was ist das an deinem Rücken?'' Ich zog das Tshirt so schnell wie ich konnte wieder an.
''Nichts.''
''Zeig her oder soll ich dir das Tshirt persönlich ausziehen?'' Ich mochte nicht, wenn man so mit mir redet, doch ich drehte mich um, sodass Till das Kleidungsstück nur ein bisschen hochziehen musste.
''Alter Falter. Wurdest du geschlagen?'' Er stellte sich vor mich und blickte mir in die Augen.
''Hingefallen, alles gut.''
''Lüg nicht, ich erkenn Kampfwunden und Einschlagwunden. Wem machst du hier was vor?'' Ich fühlte mich bedrängt von ihm. Das war mir alles zu viel. Eine Träne machte ihren Weg aus meinen Augen, doch ich wischte sie schnell wieder weg.
''War es etwa Felix?'' Till riss die Augen weit auf.
''Um Gottes Willen, nein. Sowas würde er doch niemals tun!'', so lange kannte ich ihn zwar nicht, aber in der Sache war ich mir sicher. Ich spürte das Ausatmen von dem Jungen gegenüber.
''Gut. Nicht gut. Rück mit der Sprache raus!'' Einfühlsam sein war wohl nicht so seine Stärke. Okay, es war 5.30 morgens, wir beide hatten einen Kater und ich stand in seinem Badezimmer. Er bemerkte seinen harschen Ton und sah mich traurig an. ''Tut mir leid aber bei sowas werde ich echt aggressiv. Man schlägt doch niemanden! Und schon gar nicht das sowas bei rauskommt. Das Ding ist riesig!'', er deute noch mals auf meinen Rücken.
''Bitte mach dir keine Sorgen und erzähl niemanden was! Ich bin in Sicherheit. Bitte versprich es mir!'', ich kaute nervös in den Innenseiten meiner Lippe herum.
''Das geht nicht. Tut mir leid.''
Diese Konversation war wie schwerer Balast für meine Seele, ich beließ es dabei. Wem sollte er schon was sagen? Mit Felix hätte ich nach dem gestrigen Abend ja wohl nichts mehr zu tun, also wäre das auch egal. Ich blickte Till vorwurfsvoll in die Augen, doch alles brachte nichts. Wir wurden von unserem Schweigen durch ein Handyklingeln unterbrochen. Apropos Handy, ich sollte meins auch wieder anschalten.
''Was gibt's? Scheiße man, hast du mal auf die Uhr geguckt...? Ja.. Okay.. bis gleich'', er legte auf und fuhr sich durch die Haare. ''Ich muss weg, irgendwas mit Bandmeeting. Bitte bleib noch ein bisschen hier, ich bin in spätestens einer Stunde wieder da. Wenn du was brauchst, bedien dich einfach.'' Er zog sich seine Jacke an und stand vor der Wohnungstür.
''Till, warte!'', er drehte sich um, ''danke für alles.''Er lächelte und schloss die Tür hinter sich. Ich machte mein Handy wieder an; 8 verpasste anrufe von Felix. Darauf waren auch mehrere Nachrichten auf der Mailbox. Ich wollte seine Stimme nicht hören. Auf einer Art, war ich sauer auf ihn. Wie konnte er mir nur vorwerfen was mit Till zu haben? Und dabei machte er selbst mit einer anderen rum! Auf der anderen Art, war ich sauer auf mich. Ich reagiere immer sofort über. Aber das war ja momentan nicht mein größtes Problem. Ich musste mit meiner Ärztin telefonieren. Nachdem ich das letzte Mal einfach so aufgelegt hatte, rief ständig eine unterdrückte Nummer bei mir an. Ich wollte nicht sterben, jedenfalls nicht so. Es gab oft Momente, in denen ich mir wünschte, dass ich einfach aufhörte zu atmen, aber dem Tod praktisch nahe sehen zu können, brachte mich in eine komplett neue Situation. Und ich ließ es alles in mir drinnen, ich redete mit niemandem. Nicht mal meine Mutter oder Henning wussten es. Jetzt war es gerade mal 6 Uhr am morgen, ich sollte das auf heute Nachmittag verschieben.
Felix Sicht.
''Ist sie bei dir?'', ich rannte im Proberaum auf und ab. Natürlich war das kein Bandmeeting, sowie ich es Till am Telefon erzählt hatte.
''Deshalb hast du mich hier her geholt?!'' Mein Bruder verzog sein Gesicht. Ich starrte ihn von der Seite an und er gab nach; ''Ja, ist sie. Wars das?''
''Kann ich sie vielleicht sehen? Ich möchte mich vergewissern, dass es ihr gut geht..'', ich stammelte meine Worte vor mich hin. Ich war eifersüchtig ohne einen Grund gewesen. Ein bisschen peinlich war mir das ja schon, so vor Till da zu stehen und zu betteln.
''Hm, gut geht's ihr auf jeden Fall nicht!'' Er zündete sich eine Zigarette an.
''Ich wollte sie wirklich nicht verletzen..''
''Das meine ich nicht. Auch wenn sie das richtig mitgenommen hat, da ist was anderes..'', er lehnte sich vor und stemmte seine Hände an seinen Beinen ab. Danach zog er von der giftigen Droge.
''Und was?'', fragend blickte ich zu ihm. Ich wollte es wissen, doch Till zog weiter an seiner Zigarette. 1 Minute lang Stille. Er zögerte kurz, danach atmete er tief ein.
''Ich glaube.. ich weiß, dass irgendein Arschloch Lynn schlägt. Da ist ein riesen blauer Fleck an ihrem Rücken. Das ist 'n ernstes Ding, man!''
''Hä? Lynn meinte, der sei vom Sturz, wir waren doch in dem Baumhaus und -''
''Felix, ich kenne diese Art von Verletzungen. Sowas könnte ein Sturz niemals auslösen.'', einfach so redete er mitten in mein Wort. Aber ich vertraute Till, er machte als Kind immer Karate, die Lehrer meinten, er 'müsse sich austoben, damit er in der Schule nicht so viel redet und rumalbert' und dabei hatte er sich die ein oder andere Kampfwunde geholt. Ich habe nie verstanden, warum die Lehrer so gemein gegenüber Till waren, er hatte doch nur ADHS und dafür konnte er wirklich nichts. Niemand kann etwas dafür und wenn man dafür gemobbt oder von den Lehrern tagtäglich vor die Tür gesetzt wird, dann ist das schon ein scheiß Gefühl.
''Wer war es?'', ich war sauer. Warum hatte sie mich überhaupt angelogen? Sie konnte mir sowas doch erzählen. Der kleine zuckte nur mit den Schultern.
''Komm wir gehen nach Hause, frag sie selbst.'' Er stand auf und war sichtlich genervt von mir. Wir liefen eine Weile stumm durch die Straßen Chemnitz's, irgendwann fühlte ich mich schuldig und entschuldigte mich bei ihm. Till meinte nur, es seie okay aber er wäre ziemlich müde und dass er dafür gerade keinen Kopf habe. Als wir bei Till ankamen, umhüllte mich der Duft meines Haarshampoos, das Shampoo, das nun auch Lynn trug. Till öffnete die Tür jedes Zimmers und blieb ihm Wohnzimmer stecken.''Sie schläft auf der Couch'', fast sanft flüsterte Till es und ich machte meinen Weg in den Raum. Sie lag seitlich, ihre Haare verdeckten fast ihr ganzes Gesicht und ich entschied mich wieder es langsam hinter ihr Ohr zu klemmen.
''Felix!'', sie wachte auf und schaute mich mit kleinen Augen an. Mit der einen Hand hielt sie meine andere fest.
''Es tut mir leid, Lynn.'', diesmal war ich derjenige, der sich entschuldigte. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Sie richtete sich auf und lächelte mich an.
''Ist schon okay.'', sie sagte es in einer ruhigen Tonlage und sie lächelte. Und wenn ich sie so ansah, dann realisierte ich, dass sie mein kleines Universum ist und dass ich sie fast verloren hätte. Obwohl ich sie nur wenige Zeit kannte, glaubte ich fest daran. Das konnte mir niemand nehmen. Und sie lächelte immer noch und ihre Augen waren leicht rötlich. Und dann kam sie näher, legte ihre Hände auf meine Wangen und küsste mich sanft. Und wir schlossen unsere Augen ein weiteres mal. Bitte, lass dieses Gefühl nie vergehen. Dieses Gefühl von Liebe und innerer Glücklichkeit. Dieses Gefühl gebraucht zu werden und zu brauchen.
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The only exception // Felix Brummer (Kraftklub)
Fanfiction''Das ich dich mag heißt nur, dass ich nicht weiß, wie man das anders sagt.''