Im Namen des Volkes

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Nervös rutsche ich auf dem unbequemen Stuhl hin und her, während der Richter, ein alter Mann mit stechenden Augen, namens Henry Sullivan, eine kurze Pause ankündigt. Hannahs Vernehmung und auch die Aussage von Detektive Clarke sind schon vorbei und ich bin nervös.

Hydes vereidigte Aussage wurde am Anfang vorgelesen, und es nochmal zu hören, war nicht angenehm.

Richter Sullivan hat klar gemacht, dass ich nicht im klassischen Sinne freigesprochen werden kann, sondern dass er mein damaliges Schuldanerkenntnis aufhebt. Und dann wird das ganze Verfahren, welches nie ein richtiges Strafverfahren war, neu aufgerollt. Und diesmal bin ich nicht die Verdächtige, sondern anhand der vorliegenden Beweise und Indizien ein Opfer. Eine Lösung, mit der ich leben kann. Ich habe damals ja auch nur eine Vereinbarung unterschrieben, die von einem Richter und einem Staatsanwalt gegengezeichnet wurden.

Der Staatsanwalt nickt zu allem und wirft mir und Carrick immer wieder nervöse Seitenblicke zu. Ich glaube, er ist froh, wenn er uns los ist, und er sich auf Elena stürzen kann. Die Sache scheint ihn zu frustrieren, aber mein Frust und meine Hilflosigkeit, alle die Jahre über, sorgen dafür, dass sich mein Mitleid für diesen Mann in Grenzen hält. Das Versagen der Staatsanwaltschaft und der Polizei damals hat mich in meine missliche Lage gebracht, und man war froh, dass man eine Verdächtige hatte. Clarke hat dies kleinlaut und ziemlich stammelnd gestanden, auch, dass man die angeblichen Beweise meinem Mann mitgeteilt hat, bevor man mich damit konfrontiert hatte. Meine Bewusstlosigkeit wurde zu einem Vorteil von Elena und ihren Plänen. Clarke hat eingeräumt, dass eine Aussage von mir zu einem früheren Zeitraum – kurz nach den Geschehnissen – vielleicht die Ermittlungen anders gestaltet hätte. Aber man hatte einen Schuldigen und versuchte nur noch, das zu untermauern.

Carrick hat mehrfach meine Hand gedrückt, und obwohl ich weiß, wie sehr es ihn ebenfalls trifft, kann ich ihn nicht ansehen, sondern starre nur auf die dunkelbraune Tischplatte vor mir. Auch er hat damals alles nur zu bereitwillig geglaubt, und heute bin ich nicht in der Lage, darüber einfach hinweg zu sehen.

„Ana, komm, lass uns ein wenig vor die Tür gehen. Du musst etwas trinken", sagt er gerade und ich nicke.

Er meint es gut, aber ich kann ihm gerade nicht in die Augen sehen.

Wenn Elisabeth ausgesagt hat, wird noch die damalige Sprechstundenhilfe vernommen, die dafür gesorgt hat, dass meine Unterlagen so einfach in Hydes Besitz kamen. So viele Menschen, die Elena benutzt hat, wie eine Puppenspielerin.

Und auch Linc hatte sie für ihre Zwecke benutzt – deshalb haben Christian und Taylor damals erst so spät erfahren, dass Hyde schon kurz nach seiner Verhaftung wieder aus der Untersuchungshaft gegen Kaution entlassen wurde. Nur so konnten die Fotos manipuliert werden und alles glaubhaft auf mich abgewälzt werden. Hatte Elena das von Anfang an vor? Oder war es nur ein Reserveplan? Ich weiß es nicht, aber ich würde es gern in Erfahrung bringen.

Trotzdem macht sich eine leise Wut in mir breit, weil alle mich so einschätzen konnten – ich habe nie etwas getan, und sofort wurde das Schlimmste angenommen. Und wenn man sich alles Beweise ansieht, ist es für einen unbeteiligten Beobachter auch kein Wundern, wie Clarke vorhin selbst sagte.
Es hat gequakt wie eine Ente, gewatschelt wie eine Ente, geklungen wie eine Ente – also musste es eine Ente sein. Nur, dass ich hier die Ente war, die bereitwillig von allen für einen schnellen Abschluss der Sache geschlachtet wurde.

Langsam gehe ich hinter Carrick her. Auf dem Flur warten Luke und Sylvester. Luke sieht mich besorgt an, die letzte Woche haben wir viel gearbeitet und alles besprochen, was für heute und die folgenden Tage wichtig ist, vor allem, dass ich nicht alleine irgendwo hingehe und mich bedeckt halte.

50 Shades of DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt