Was alles passieren muss, damit eine total unwahrscheinliche... (1/3)

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Was alles passieren muss, damit eine total unwahrscheinliche Entscheidung getroffen wird (1/3)

Shinjashank war in jeder Hinsicht ein Kaff. Die Bewohner lebten seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft. Die Männer züchteten Schafe und beschützten sie vor den Eiswölfen aus den Bergen. Die Schafe mit dem dicksten Fell überlebten den Winter und sorgten so dafür, dass ihr Besitzer an Einfluss gewann. Die Frauen ernteten Schneegurken. Die einzige nennenswerte Infrastruktur bestand aus einer Dorfkneipe, in der es Eisschnaps und Eshas Berühmten Schneegurkeneintopf gab.

Außerdem hatten die Shinjashanker sehr wenig für das Imperium übrig.

Shinjashank hatte nur eine Straße, die den etwas einfallslosen Namen Shinjashanker Straße trug. Es gab noch ein paar matschige Feldwege, die davon abzweigten, aber das waren eigentlich alles bloß Zufahrtswege.

Links und rechts neben der Shinjashanker Straße befanden sich die Gehöfte. Die meisten gehörten seit Jahrhunderten derselben Familie. Einige standen leer, weil die Familie ausgestorben war. Andere wurden ständig ausgebaut, weil die Familie alles andere als ausgestorben war. In einigen vegetierten nur noch alte Mütterchen vor sich hin, weil die Familie fast ausgestorben war.

In einem Gehöft wohnte jemand, obwohl die Familie schon ausgestorben war. Diese Person hatte sich die uralten Geheimgänge in den Gemäuern zunutze gemacht. Ursprünglich waren diese Gänge in erster Linie benutzt worden, um Angehörigen der jüngeren Generation gelegentliche geheime Besuche von geliebten anderen Mitgliedern der jüngeren Generation zu ermöglichen und so ein weiteres mangels Nachkommen leerstehendes Gehöft zu verhindern. Jetzt hatte die Bewohnerin des Gehöfts die Gänge ausgebaut, befestigt und sich tief unten im Keller eine geheime Kammer eingerichtet. Von dort aus schrieb sie Briefe an andere, ähnlich gesinnte Leute in anderen geheimen Zimmern in anderen Dörfern des Distreals 11,5. Weil sich a) Diener des Imperiums nur selten in dieses Kaff verirrten und b) die Bewohnerin des Gehöfts sehr großen Wert auf die Geheimhaltung ihrer Aktivitäten legte, wusste das Imperium bislang nichts vom Inhalt dieser Briefe, obwohl es sicher daran interessiert gewesen wäre. (Hätte es davon gewusste, wäre das Land sicher schon wieder umbenannt worden. In Distreal 3,141592.)

Die Bewohnerin schrieb gerade einen Brief an den Grafen von Pshelikalja (der offiziell noch auf der Seite des Imperiums stand, den sie aber in Wirklichkeit längst auf ihre Seite gezogen hatte). Denn Chouloushimajka muss den schändlichen Namen der falschen imperialistischen Herren ablegen und zu seiner alten Unabhängigkeit und Größe zurückkehren, notierte sie. Kritisch blickte sie auf den Satz. Imperialistisch, stand da. Imperialismus. Das war ein schönes Wort. Es endete auf Ismus. Die Bewohnerin mochte Wörter, die auf Ismus endeten. Es gab gute Ismuse und böse Ismuse. Sie überlegte. In den Satz sollte lieber noch ein Ismus rein. Wie wäre es mit Faschismus? Das war auch ein böser Ismus. Den schändlichen Namen der falschen imperialistischen Faschisten, ja, das war besser.

„Meisterin!", rief jemand.

Seufzend legte sie das Papier beiseite und stieg eine schmale Treppe hinauf. Die Bewohnerin hatte sich gut um die Gänge gekümmert, nirgendwo hingen staubige Spinnweben. Eigentlich schade, das hätte gut zu den Geheimgängen gepasst.

Die Treppe endete in einem kleinen kahlen Zimmer. Die Wand links führte in ein Schlafzimmer, die Wand rechts in eine Dusche. Die Bewohnerin drückte gegen die rechte Wand und trat in eine uralte Dusche, deren Fliesen fast von der Wand fielen. Aus der Dusche betrat sie ein Badezimmer, von dort aus den Flur mit der Treppe nach unten.

Auf dem Hof stand Harald. Harald war ein Waisenjunge, den die Bewohnerin des leeren Gehöfts aufgegabelt und zum Hass gegen das Imperium erzogen hatte.

„Meisterin! Da fliegt ein Drache! Ist er das?"

„Ja, er wollte auf einem Drachen kommen."

„Sind Drachen nicht die schändlichen unnatürlichen Werkzeuge des Imperiums?"

Horst Meier und die Stange des SchreckensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt